Wilhelm Hahne gibt hier seine ganz persönliche Sicht der Dinge wieder.

Thema heute:

Diktatur der elektronischen Fahrhilfen beim A-Klasse Mercedes

Ich habe nichts gegen Horoskope. Ich habe auch nichts gegen Leute, die sie jeden Tag lesen und daran glauben. Ich habe aber etwas gegen Leute, die mir klarzumachen versuchen, ihre Meinung wäre die allein seligmachende. Nur bei ständigem Beachten der Horoskope käme man zu Ergebnissen die befriedigen. Und die sich auch selbst auf Horoskope verlassen. Und darauf hoffen, daß ihr Horoskop irgendwann einmal gut ist. Wenn sie selbst nicht gut sind, hilft auch kein Horoskop. - Und dabei wären wir beim A-Klasse Mercedes und „Predigern" wie Jürgen Hubbert:

Ohne ESP keine gute Fahrt?

98-02-02/02.  Es war exakt am 29. Oktober 1997 in Stuttgart, als Jürgen Hubbert, Daimler-Benz-Vorstandsmitglied verantwortlich für den Sektor Personenwagen bei Mercedes-Benz vor die Presse trat um zu verkünden, was denn ihm und seinen Technikern als Gegenmittel zum Ergebnis des „Elchtests" eingefallen war.

Jürgen Hubbert erinnerte daran, daß auch er Techniker sei und führte dann aus, daß das Fahrwerk des A-Klasse Mercedes keiner Verbesserung irgendwelcher Art bedürfe, man werde auch die Grundabstimmung nicht ändern, sondern bei der endgültigen Version einfach ESP, eine elektronische Fahrhilfe mit dem Ausgleich von menschlichen (Fahr-) Fehlern beauftragen.

Der stellvertretende Chefredakteur von „mot" fragte - ein wenig ungläubig - noch einmal nach, ob am Fahrwerk wirklich nichts sonst verändert würde und ob das sogenannte ESP denn abschaltbar sein würde. Hubbert: Nein, am Fahrwerk würde sonst nicht verändert. Und das ESP wäre - natürlich - nicht abschaltbar.

Und das war der Moment, wo ich daran zweifelte, ob Jürgen Hubbert wirklich Techniker sei und ob er überhaupt wußte, was er da sagte.

Denn beim Betrachten der Fernsehbilder war jedem einigermaßen erfahrenen Autokenner klar, daß der eigentliche Grund für die Kipp-Reaktion der A-Klasse in der Basis-Fahrwerkabstimmung begründet lag. Mir jedenfalls war es klar. Aber ich bin kein Techniker. Ich verstehe nur etwas davon.

Es war eigentlich die Übersteuertendenz - die serienmäßig vorhandene - bei der A-Klasse, die die Kippsituation provozierte. Und die Schuld daran trugen die Vorstandsmitglieder, die bei ihren Vergleichsfahrten immer wieder darauf gedrungen hatten, die Komfortseite der A-Klasse-Fahrwerkabstimmung deutlicher zu betonen. Und so wurde die A-Klasse weich und pampig. Die Chefs hatten es bestimmt und die Techniker, die es eigentlich wissen mußten, ordneten sich unter. - Jawohl Chef, der Schnee ist schwarz.

Und so wurde der vordere Stabilisator zu weich, so war die Dämpferabstimmung... - und, und, und. Und herauskam - in Verbindung mit der Lenkungsübersetzung - ein Fahrzeug, daß sich bei der durch den „Elchtest" provozierten Fahrsitution - nicht mehr beherrschen ließ.

Und Techniker Jürgen Hubbert war der Meinung... - Was sie wert war, sieht man am nun bekannten Resultat: es wurde doch das Fahrwerk, seine Abstimmung geändert. Aber es wird nun trotzdem serienmäßig das ESP verbaut. Weil Jürgen Hubbert es so angekündigt und versprochen hatte. Aber Jürgen Hubbert hatte es eigentlich nur als „serienmäßig" angekündigt, weil er seine Entscheidung zur damaligen Fahrwerkabstimmung abschirmen mußte. Eigentlich diente die ESP-Zusage nur seinem ganz persönlichen Schutz, der Absicherung seiner Position. - Und diese - ganz persönliche - Schutzmaßnahme kostet nun den Konzern richtig Geld, mehr jedenfalls, als es der Öffentlichkeit gegenüber nun mit 300.000 Millionen zugegeben wird.

Schaut man einmal in die Pressemappe zur „Neuvorstellung" der A-Klasse (mit geänderter Fahrwerkabstimmung und ESP) auf dem Testgelände von Goodyear in Frankreich, dann kommt einem in Verbindung mit diesem Fahrzeug nur der Begriff „Unfallgefahr" in den Sinn.  Selbst im Inhaltsverzeichnis wimmelt es von Begriffen wie: „Rundum-Sicherheit", „Real Life Safety", „Sicherheit bis in den Grenzbereich", „Insassenschutz mit System", wird von „Über 25 Innovationen für noch mehr Sicherheit..." gesprochen.

Was möchte denn wohl der Käufer eines A-Klasse-Automobils: Auf deutschen Straßen in Kämpfe verwickelt werden? - Muß er ständig mit den Angriffen von Konkurrenzfahrzeugen rechnen, um sein Leben fürchten?

Eigentlich soll doch wohl ein Automobil wie die A-Klasse dem Personentransport dienen, diese Aufgabe so erfüllen, daß Fahrer und Mitfahrer dabei Freude und Spaß empfinden. Davon ist in den Unterlagen zum „Internationalen Presse-Workshop" keine Rede. Es ist immer wieder in allen Variationen von kritischen Verkehrssituationen die Rede und natürlich auch davon, wie sie dank moderner Technik - High-Tech natürlich - erst beherrschbar geworden ist. Bei Mercedes schätzt man die Käufer eines A-Klasse-Modells wohl als wenig fahrgeübt und unterdurchschnittlich veranlagt ein.

Und es wird der Versuch unternommen nachzuweisen, wie blödsinnig doch eigentlich ein „Elchtest" ist. Denn wer - so wird unterschwellig die Frage aufgeworfen - weicht schon einem Elch aus, ohne auf die Bremse zu treten. Und natürlich wartet die Mercedes-Presseabteilung mit Zahlen auf, die beweisen sollen, „daß sich nur wenige Autofahrer so verhalten, wie es beim ´Elchtest´ vorgeschrieben ist". - „Vorgschrieben"! -

Vorgeschrieben sollte doch wohl die praxisgerechte Fahrwerkabstimmung eines Automobils sein. Und die der A-Klasse - wie sie zunächst auf den Markt kam - war es nicht. Und auch mit ESP wäre sie nicht besser geworden.

Um noch einmal kurz auf das „normale" Verhalten von Kraftfahrern bei schnellen Ausweichmanövern einzugehen. Tatsache ist doch wohl, daß ein Fahrer die Hände am Lenkrad hat. Tatsache ist wohl auch, daß er im Falle eines Falles zunächst einmal den Fuß vom Gaspedal auf die Bremse bewegen muß. - Dreht er nun zunächst am Lenkrad -weil er es in seinen Händen hält - bevor er auf die Bremse tritt? - Oder wartet er zunächst ab, bis sein Fuß vom Gas- auf das Bremspedal gewechselt ist?

Tatsache ist doch wohl, daß niemand bewußt auf ein Hindernis zielt, obwohl er die Möglichkeit hat auszuweichen. - Aber vielleicht kennt Mercedes den Typus A-Klasse-Käufer besser.

Wie dem auch sei: In der s. Zt. vorgestellten Abstimmung war das Fahrzeug in der Hand von ungeübten Fahrern gefährlich und mußte anders abgestimmt werden. Wie der Presse zu entnehmen, hat man die A-Klasse nun sportlich hart gemacht. Und verwendet auch andere Reifen als vorher.

Hier wurde am 29. Oktober übrigens auch einem Reifenhersteller - Goodyear nämlich - die Schuld an der Kippneigung zugeschoben. Von Jürgen Hubbert. Die Reifen seien zu komfortbetont gewesen und dann bei scharfer Kurvenfahrt sozusagen abgeknickt. Und dann sei es zu Reibwertveränderungen gekommen, die zu einem Aufstellen des Fahrzeug mit anschließendem Umkippen geführt hätten. - So erklärte es „Techniker" Jürgen Hubbert. Und schämte sich nicht. Hörte ihm doch ein Saal voller „Auch-Techniker" gläubig zu. Sie gingen von dannen und berichteten entsprechend. - Und die Mercedes-Presseabteilung hatte ihr Erfolgserlebnis.

Was passierte nun wirklich? - Wie schon oben beschrieben, war durch die vorhandene Fahrwerkabstimmung eine Anlage zu deutlichem Übersteuern (Ausbrechen des Hecks) vorgegeben. Unter normalen Umständen würde sich ein Fahrzeug, das in einen solchen Fahrzustand gerät, ohne einen korrigierenden Eingriff des Fahrers drehen. Aber nun kommen wir - im Falle der A-Klasse - zum mitbestimmenden Reifenfaktor.

Wie Jürgen Hubbert am 29. Oktober 1997 vor der Presse ausführte, hatte man die Reifenindustrie zur Entwicklung eines besonders komfortablen Reifen veranlaßt. Offenbar war Goodyear unter allen Konkurrenten der beste Wurf gelungen. Der Reifen hatte Grip und Komfort. Und darum war er auch auf (fast) allen Testwagen für die Presse zu finden. Und da passierte nun folgendes. Ich erkläre es als Laie für Laien und darum - hoffentlich - verständlich:

Das Fahrzeug gerät durch seine unperfekte Fahrwerkabstimmung nach Wanken und Aufschaukeln in eine nach außen gerichtete Beschleunigungsphase. Ein Reifen, der vertikal gut, sehr gut federt - wie der Goodyear, kann nun aber lateral keine großen Kräfte aufnehmen, nicht sehr steif sein. Und so kommt es nun zu einer lateralen Verformung des Reifens da, wo die Kräfte am größten sind: vorne. Der Reifen „knickt ein", weil er  in der Flanke nachgibt. Und so kommt es zu einer Beschleunigung in der Beschleunigung, denn nun verringert sich plötzlich an einer Seite nicht nur die Abstützhöhe, sondern auch die Abstützweite, die Spurweite also. Da der Reifen nach innen wegknickt, kommt es praktisch zu einer Spurweitenverringerung. Da muß nun das Fahrzeug einfach kippen.

Aber nicht der Reifen ist schuld, er ist nur das von Mercedes schuldig gemachte Glied in einer Kette. So wie in einem Krimi meistens der Gärtner der Mörder ist, so ist im Falle Mercedes das verantwortliche Vorstandsmitglied der Schuldige.

Denn was wäre, wenn das Fahrzeug in der Grundabstimmung perfekt gewesen wäre? - Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, daß tatsächlich - wie Mercedes es behauptet, praktisch jedes Fahrzeug auf zwei Räder zu bringen ist. Das ist bei vernünftiger Fahrwerkabstimmung aber kein gefährlicher Vorgang. Das Fahrzeug - gehen wir einmal davon aus, daß es wie die A-Klasse ein Fronttriebler ist - steigt also kurz auf und ... - es passiert gar nichts. Es fällt von ganz alleine wieder auf die Räder. Da braucht es keinen Bremseneingriff durch ESP. Ein ESP muß auch nicht ins Motormanagement eingreifen. Selbst der Fahrer muß gar nichts tun. (Vielleicht hält der, wenn´s zum ersten Mal passiert, die Luft an.) Und wie von Geisterhand heruntergezogen fällt das Fahrzeug wieder auf die Räder. - Sie glauben das nicht?

Ich habe einmal ein Foto herausgesucht, daß mich am Steuer eines Opel Astra bei einem Rennen zeigt. Ich empfinde den hier gezeigten Fahrzustand als nicht aufregend. Weil  - bei richtiger Fahrwerkabstimmung - gar nichts passieren kann. Dafür sorgt die Differentialwirkung. Wenn nämlich auf der einen Seite das Vorderrad die Bodenhaftung verliert, geht´s auch auf der anderen Seite nicht mehr vorwärts, gibt es keinen Vortrieb mehr. Was bleibt dem Fahrzeug anderes übrig als auf die Räder zurückzufallen?
 
Auf zwei Rädern. Das sieht gefährlich aus, ist es aber nicht. Hier wurde exakt eine Kurve mit der Geschwindigkeit gefahren, die so groß ist, daß sich beim Aufbau der Querbeschleunigung gerade noch der vorhandene Grip des - guten - Reifens entgegenstellen kann. Und das Fahrzeug steigt auf. - Wäre ich mit einem Geschwindigkeitsüberschuß in diese Kurve gefahren, hätte ich den Punkt überwunden, wo der Reifen noch greift, der Wagen wäre über die Vorderachse nach außen gerutscht. Ein klarer Fall von Untersteuern. Und im gezeigten Fall? - Nun, da es durch die Differentialwirkung (hat das eine Rad, das in der Luft ist, keinen Vortrieb mehr, stellt auch das andere Rad den Vortrieb ein) praktisch nicht mehr vorwärts geht, „klatschten" die aufgestiegenen Räder einfach wieder auf die Straße. Und alles ohne ESP. Aber das funktioniert nur, wenn die Fahrwerkabstimmung stimmt. Hier bei dem Opel Astra, der für den Renneinsatz als Gruppe N-Fahrzeug vom Mühlner-Team vorbereitet wurde, stimmt einfach alles. - Übrigens: der Fahrer hatte hier auch an der Fahrwerkabstimmung mitgearbeitet, vielleicht fühlte er sich darum auch so sicher. - Er hat nicht mal gezuckt.
Was soll also in einem solchen Falle das ESP? - Im Falle der A-Klasse hat es bisher nur Herr Hubbert geholfen. Nämlich auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben. Weil man bisher seinen technischen Ausführungen geglaubt hat. Die aber nur die von ihm veranlaßten oder abgesegneten Fehlleistungen verdecken sollte. Ein „Spaß", der den Daimler-Benz-Konzern per Saldo eine Milliardensumme kosten wird.

Ich habe nichts gegen ESP. Ich habe auch nichts gegen Horoskope. Aber ich habe etwas dagegen - egal ob mit ESP oder Horoskop - „auf den Arm genommen" zu werden. Und obwohl ich kein Techniker bin: Anders als die Mercedes-Techniker, unter der Aufsicht von „Obertechniker" Jürgen Hubbert, hätte ich für die A-Klasse eine Fahrwerkabstimmung in Verbindung mit dem „weichen" Goodyear-Reifen gefunden, die mehr Fahrkomfort garantiert, als ihn die A-Klasse in der Serienversion bietet, die ab sofort vom Band läuft. - Und Fahrsicherheit ohne ESP.

Manchmal ist es besser ein interessierter Laie mit Erfahrung zu sein, und aufgeschlossen gegenüber technischen Innovationen, als ein erfahrerer Techniker mit den Scheuklappen der Tradition herumzulaufen. - Aber man muß entschuldigend feststellen: Eigentlich haben die Mercedes-Techniker im Umgang mit Fronttrieblern auch keine Erfahrung. - Geben wir ihnen noch ein wenig Zeit zum Lernen.

MK/Wilhelm Hahne