Wie Falschmeldungen in der Tagespresse - und anderswo - entstehen können

Nachrichtenagenturen beherrschen heute den Informationsmarkt. Je größer, je glaubwürdiger. Selbst der größte Quatsch, sofern er nur von einer Nachrichtenagentur verbreitet wurde, wird heute nachgedruckt. Denn deren Nachrichtenquellen müssen ja die besten sein. Nachstehend soll an einem Beispiel die heute mögliche Praxis geschildert werden. Daraus muß die Frage resultieren:

Berufsbezeichnung Öffentlichkeitsarbeiter: Eine Lizenz zum Lügen?

98-03-30/01. Die Meldung in einer renommierten Tageszeitung am Donnerstag war nur wenige Zeilen kurz, aber inhaltsschwer:

"Audi trennt sich von Agentur
Ingolstadt (dpa) - Audi wird sich von seiner Deutschland-Werbeagentur Jung von Matt (Hamburg) trennen. Diese Branchengerüchte bestätigte ein Firmensprecher."

Natürlich hatte die Tageszeitung die Meldung im Vertrauen auf die Qualität der Agentur, "dpa", übernommen. - "...bestätigte ein Firmensprecher". - Und wer fragt nach der Qualität der Aussage eines Firmensprechers? - Hauptsache: abgesichert.

Am Nachmittag des gleichen Tages kannten wir bei Motor-KRITIK bereits die Hintergründe. Die wurden am Abend des gleichen Tages aber noch durch den kleinen aber feinen Wirtschaftsdienst "Dossier B" sehr deutlich enthüllt.

Auch (?) dort hatte Rainer Nistl, Kommunikationschef des Autobauers Audi angerufen. Der Chefredakteur und Herausgeber von "Dossier B", Peter Carl, schildert das so und stellte seine Geschichte unter das Obermotto: "Das Allerletzte".

Zitat: "Der Anruf aus der Ingolstädter Audi-Zentrale klang ganz konspirativ und schrecklich wichtig. Rainer Nistl, Kommunikationschef des Autobauers, teilte ganz vertraulich und ´bitte keine Quelle nennen´mit, Audi werde sich von seiner Werbeagentur Jung von Matt trennen. Es hapere schon seit einiger Zeit sehr an der Kreativität der Kreativen. Aber bitte kein Wort, daß dieses Urteil von Audi direkt kommt. ..." Zitat Ende.

Peter Carl ist keiner von denen, die alles schlucken, wenn es nur "aus einem berufenen Munde" kommt. Und so hat er schnell festgestellt - und auch niedergeschrieben - was er recherchierte - und sich im übrigen mit den Recherchen von Motor-KRITIK deckt:

Nicht Audi hat gekündigt, sondern sondern die Hamburger Agentur Jung von Matt hat Audi mitgeteilt, daß man sich zum Jahresende leider trennen müsse. Jung von Matt wird dann für die BMW-Werbung einschließlich der Prospektgestaltung verantwortlich sein.

Rainer Nistl mußte diese Fakten kennen. Wenn er trotzdem "dpa" oder "Dossier B" anders informierte, war das nichts anderes als eine bewußte Lüge. Natürlich im Interesse von Audi.

Es ist nicht das erste Mal, daß Nistl durch unwahre Informationen auffällt. Erinnern wir uns doch seines Weggangs bei Ford, wo er bis zuletzt bestritt, Ford verlassen zu wollen. Der Chefredakteur eines Stuttgarter Fachblattes erinnert sich noch gut der Nistl-Erklärung ihm gegenüber. Tage später sah die Realität ganz anders aus. - Notlüge?

Warum gab Nistl z.B. im Zusammenhang mit der SPIEGEL-Geschichte über "PS-report" eine - nach meiner Auffassung - falsche Eidesstattliche Versicherung ab? - Die Fakten waren anders, nachweisbar anders, als von ihm beschrieben. Als sich Nistl im Zuge einer Recherche durch einen ZDF-Redakteur auf diesen Umstand ansprechen lassen mußte, fiel ihm nichts anderes ein als: er habe es aber "mental so empfunden". Als ich vor einiger brieflich bei Nistl anfragte, was er sich denn dabei gedacht habe, da hat Nistl erst gar nicht geantwortet.

Nistl ist sicherlich ein lieber Mensch. Vielleicht hat er mit dieser eidesstattlichen Versicherung ja auch nur einem guten alten Bekannten eine Gefälligkeit erweisen wollen. - Wer das wohl war?

Rainer Nistl hat also schon zu Ford-Zeiten nicht immer die reine Wahrheit gesagt. Als Vorstand Öffentlichkeitsarbeit. Rainer Nistl ist heute der oberste Öffentlichkeitsarbeiter bei Audi. Hat er damit wirklich eine Lizenz zum Lügen?

Sein aktueller Versuch, "seine" Firma bei einer Vertragskündigung gut aussehen zu lassen, läßt jetzt Audi in einem negativem Licht erscheinen. Hat Audi solche Methoden nötig? Oder ist heute so etwas üblich geworden?

Audi hat Motor-KRITIK gerade auf eine Anfrage (die an Herrn Nistl gerichtet war) antworten lassen. Dort steht nicht zu lesen, was man eigentlich auch als Information - und Antwort auf meine Fragen - erwarten konnte, sondern es findet sich jene "Sprachregelung" wieder, die allerdings schon in der Vor-Nistl-Zeit bei Audi zum angesprochenen Thema "vorgeschrieben" war. Rainer Nistl hat sie sicherlich gerne übernommen.

Solche "Sprachregelungen" reichen auch sicherlich als "Absicherung" für große Nachrichtenagenturen. Aber das macht Meldungen wie, "Audi trennt sich von Agentur" nicht besser, wahrhafter. - Eine Lüge wird so lediglich zu einer "abgesicherten" Lüge. Oder die Wahrheit wird "kaschiert".

Wir sollten uns damit auf Dauer nicht zufrieden geben, weil unsere Leser ein Recht auf Wahrheit, die ungeschminkte Realität haben. Und die läßt sich inzwischen oft besser ohne Mitarbeit der jeweiligen Presseabteilung recherchieren.

Wobei wir den Öffentlichkeitsarbeitern schon einen Kommentar zum jeweiligen Recherche-Ergebnis zugestehen sollten. - Wenn sie denn antworten. Was inzwischen ja nicht überall mehr der Fall ist. - Und Presseinformationen? - Die könnten vielleicht aufmerksam gelesen werden. - Und Einladungen zu Neuvorstellungen... -

Meine Großmutter wußte das schon vor 60 Jahren: "Nur liebe Kinder erhalten ein Bonbon." - Als Journalist sollte man auf solche Belohnungen nicht angewiesen sein. - Und im übrigen bin ich inzwischen für "Bonbons" schon zu alt.

MK/Wilhelm Hahne