"Where do you want to go away?"
(Spöttische Abwandlung des bekannten Microsoft-Slogans)

Rückblick auf die CeBIT ´98 und ein Blick voraus - in die mögliche Zukunft der Automobilindustrie

Ein freundlicher Siemens/Nixdorf-Mitarbeiter drückte uns - wissend schmunzelnd - eine Fotokopie in die Hand, auf der zu lesen war: "23 Dinge, die anders wären, wenn Microsoft Autos bauen würde". Nun ist Siemens/Nixdorf nicht Microsoft. Aber abgesehen davon, daß die meisten ihrer PC´s damit laufen, dreht es sich bei dieser "Selbstbetrachtung" mehr um die Gepflogenheiten der Computer-Branche - und die wurden (und werden!) durch Microsoft bestimmt. Insofern handelt es sich nicht um das hämische Grinsen über das Verhalten eines Konkurrenten, sondern eher um eine selbstironische Eigenbetrachtung. - Oder sogar um das Aufbegehren der "Leute an der Basis" gegen die "Machenschaften" in den Führungszentralen? - Das gibt es übrigens auch in der Automobilindustrie. Wie käme Motor-KRITIK sonst an so manche Information? - Aber ist die folgende Darstellung wirklich nur Fiktion?

Wenn Microsoft auch den Automobilmarkt bestimmen würde

98-03-30/03. Soweit die Ironie. Aber wie bei aller Ironie, verbirgt sich dahinter mehr. Sehen wir uns doch einmal um, wie weit Microsoft schon "den Fuß zwischen der Tür hat", um Automobile (mit) zu bauen.

In der "c't", Deutschlands sachkundigster Computerzeitschrift, war in der Ausgabe 6/98 vom 16. März zu lesen:

"Mit Windows CE hält Redmont einen Trumpf in der Hinterhand, der bereits heute in Handhelds, Setup-Boxen und modernen Telefonen anzutreffen ist, und - seit Microsoft mit Siemens an einem Strang zieht - morgen in Waschmaschinen, Kühlschränken und Elektroherden. Microsoft will sich nicht nur im Haushalt unentbehrlich machen, sondern pflastert mit Windows CE nun anscheinend auch konkurrenzlos den Weg in andere Massenmärkte."

Und "c't" erinnert daran, daß sich Ende Februar die Teilnehmer einer Konferenz der Autoentwickler in Detroit von den Absichten "der Firma aus Redmont" überzeugen konnten: Microsoft, Intel und Ford wollen gemeinsam den sprachgesteuerten Auto-PC ICES entwickeln..

Im Herbst 1997 hatte Microsoft fast unauffällig den belgischen Software-Spezialisten Lernhout & Hausspie geschluckt, mit der Erklärung, es gehe darum, künftige Windows-Versionen mit Spracherkennungsfähigkeiten aufzuwerten. In Detroit zeigte sich nun, daß Microsoft dabei gleichzeitig gierig auf die Fleischtöpfe der Automobilhersteller blickt. - Natürlich hinter einer dunklen Sonnenbrille.

Auch bei General Motors setzt man auf das Computerzeitalter im Automobil. Schon in 1999 soll der erste Saab mit einem Computer an Bord zu sehen sein. Microsoft steuert das Betriebssystem bei!

Bereits in diesem Sommer will z.B. Clarion herkömmliche Autoradios durch Radio-PS´s ersetzen. Für die mehr als 2000 Mark teuren sprachgesteuerten Geräte liefert wer das Betriebssystem? - Richtig geraten: Microsoft.

"Mit der freien Fahrt sei es dann wohl endgültig vorbei, witzeln bereits die Mitarbeiter in amerikanischen Autoschmieden. Der Verkehrsstau des Jahres 2005 werde durch reihenweise liegengebliebene Fahrzeuge verursacht. Bevor sich die Bordelektronik verabschiede, sondere sie den Hinweis auf ´allgemeine Schutzverletzung´ ab", beschreibt "c't" die Zukunft.

Womit wir wieder bei unserem Anfangs-Szenario wären. Nur sieht die Geschichte jetzt viel ernster aus.

Moderne Automobile enthalten bereits heute jede Menge Computer:

Insofern ist Silizium im Automobil nichts neues. Neu ist aber, daß statt vieler Steuerungen die Richtung hin auf ein einheitliches Betriebssystem geht, das all diese und weitere Funktionen (wie Radio, Navigationssystem usw.) steuert. - Microsoft steht in den Startlöchern!

Man kann die Oberen in Detroit, Tokyo und Wolfsburg nur warnen: Neben der Abhängigkeit von einem monopolitischen Hersteller, deren Auswirkungen sie in der Computerindustrie beobachten können, führt dies unweigerlich zu den "23 Dingen..."! Noch geben die Autogiganten die Richtung an, führen die Zulieferer am Gängelband. Wenn aber Microsoft z.B. auch das Motormanagement - in Zusammenarbeit z.B. mit Siemens - übernimmt, wären auch so Dinge wie "Sie dürfen nur noch Microsoft-Benzin tanken" nicht mehr abwegig. Es gibt z.B. Software die sich weigert mit einem AMD- statt einem Intel-Chip zu arbeiten, obwohl er einen kompatiblen Befehlssatz enthält.!

Man muß die Automobilindustrie ebenfalls warnen, Unsitten (um sich vornehm auszudrücken), die in der Computerbranche (scheinbar) kommentarlos akzeptiert werden, zu übernehmen. So ist es z.B. in der Software-Branche "üblich", unausgereifte Programme auf den Markt zu bringen und den Anwender die Fehler herausfinden zu lassen, die dann, entgegen jeder Garantieverpflichtung, mit einem kostenpflichtigen Update bereinigt werden. Microsoft hat es sogar geschafft, die Neugierde auf Windows 98 soweit zu steigern, daß sie die Beta-Versionen, die ursprünglich zum Testen bei ausgesuchten Entwicklern im harten Computer-Alltag gedacht waren, nun an jedermann verhökern. DM 39,-- läßt sich "Big Bill" dafür zahlen, daß die Anwender ihm jetzt auch noch die Testarbeit abnehmen. - Man stelle sich vor, Opel - oder ein anderer Automobilhersteller - beschäftigt keine Testfahrer mehr, sondern verkauft "Vorabversionen" seiner Fahrzeuge. Da kann man dann früher als die Konkurrenz auf dem Markt sein. Und so etwas wie mit dem neuen Opel Astra... -

Zurück zur CeBIT ´98: Was gab es sonst noch im Zusammenhang mit Automobilen zu sehen? - Da zeigte Computer Associated z.B. die von ihr geschaffene Telemetrie-Software für McLaren - nebst der Show-Version von Coulthards F 1-Renner.

Bei Toshiba war das Highlight der "Libretto" in seiner leistungsstärksten Version, CT 100. In Kombination mit einem GPS-Navigationssystem läßt er sich transportabel in jedem Automobil einsetzen. Vom eigenen Fahrzeug bis zum Leihwagen.Toshiba´s Kleinster bietet für viele Dinge die besten Voraussetzungen. Er ist nicht nur klein, sondern hat auch Power (Pentium MMX 166, 32-64 MB Ram, 2 GB Festplatte) und kann z.B. mit seinen serienmäßig vorhandenen Soundfähigkeiten, erweitert um eine GSM-Karte, zu einem vollwertigen Funk-Telefon (mit Daten- und Fax-Fähigkeiten) werden. Und er arbeitet mit einem vollwertigen Windows 95-Betriebssystem (nicht mit dem "kastrierten" Windows CE), kann somit alle Standard-Applikationen verarbeiten und ist daher als ein vollwertiger Reise-PC einzustufen. Selbstverständlich gibt es einen Autoanschluß dafür. - Der Toshiba "Libretto" CT 100 ist als Klein-Computer in jedem Falle perfekter als z.B. die Mercedes A-Klasse als Klein-Wagen.

Silicon Graphics, Hersteller von Grafik-Workstations, demonstrierte, wozu heutige 3-D-Grafik-Computer fähig sind. Zusammen mit Daimler-Benz und der GMD (Gesellschaft für Mathematik) gaben sie einen Einblick in einen Automobilverkaufsraum der Zukunft: Ein bewegliches LCD-Display zeigte virtuelle Fahrzeuge aus frei wählbaren Perspektiven, die auf Knopfdruck Farbe, Ausstattung und Typ wechselten. Die Händler benötigen so - könnte der Eindruck entstehen - keine Vorführ- und Ausstellungsfahrzeuge in jeder Ausstattung und Farbe mehr. - Das wäre aber - und das ist die Meinung von Motor-KRITIK - nur die scheinbare Lösung eines Problems, weil sich der Autokauf nur bis auf eine bestimmte Ebene versachlichen läßt.

Eine Vorhersage - und Warnung in Richtung Automobilindustrie: Die Computer-Industrie ist dabei, die Automobilindustrie als "Wirtschaftslokomotive" abzulösen. In naher Zukunft werden Neuentwicklungen auf technischem Gebiet nicht mehr aus der Automobilindustrie kommen, um dann auch in andere Bereiche unseres Alltags übernommen zu werden. Diese Vorreiterrolle wird die Computerindustrie übernehmen. Das Wohlergehen von Volkswirtschaften wird dann nicht mehr vom Wohlergehen der Automobilbranche abhängen, sondern von dem der Computer- und Software-Firmen. Der Arbeitsmarkt wird nicht auf neue oder weggefallene Arbeitsplätze in den Autofirmen reagieren, sondern auf die in der Computer-Industrie. Dann wird sich auch etwas ändern, was in den "23 Punkten" aufgeführt war und dem man schon etwas Positives abgewinnen könnte:

"Die Regierung würde Subventionen von den Autoherstellern bekommen, anstatt an sie zu zahlen."

MK/Christoph Theuring