Bei Porsche gibt es neben den bekannten, auch noch unbekannte Probleme

Die Porsche-Aktie steigt und steigt. Inzwischen zahlt man für eine 50 Mark-Aktie mehr als 5.000 Mark und irgendwelche bedeutenden Analysten, die Lehman Brothers, sagen für die nächsten 12 Monate ein Kursziel von 6.500 DM voraus. Wegen des Geländewagen-Projekts, das 2002 kommen soll? - Motor-KRITIK hat sich lieber mit der Gegenwart beschäftigt, ist auf eine bisher unbekannte Rückrufaktion für den Porsche 996 (mit Boxster-Vorgeschichte) gestoßen und auf Produktionsprobleme. - Oder studieren Sie keine Zulassungszahlen?

Rückrufe, Zuliefererprobleme und Produktionspannen

98-06-05/01. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hat für andere immer einen guten Rat parat. Gerade den Politikern sagt er gerne, wie er es anpacken würde, wie sie es machen sollen. Aber was macht er denn nun bei den intern anstehenden Problemen?

Motor-KRITIK hatte bereits von der Pleuel-Geschichte bei den Motoren für die Super-Cup-Renner berichtet. Und auch davon, daß in der Rennszene die Karosse des 996 als "zu weich" empfunden wird, wenn man sie mit der des guten alten 911 (993) vergleicht. Wir haben inzwischen über dieses Thema noch einmal mit Porsche-Werkstätten gesprochen, die diesen Eindruck aus der Rennszene eigentlich nur bestätigten.

Daraufhin haben wir uns noch einmal mit der Entwicklungsgeschichte des 996, insbesondere mit der der Karosserie, beschäftigt. Tatsächlich ist die deutlich "moderner" verlaufen, als die Entwicklung des alten 993. Sie war schneller, kostengünstiger und deutlich geprägt vom Begriff des "virtuellen Prototyping".

Zur Grundauslegung der gesamten Fahrzeugstruktur - im Hinblick auf das Crashverhalten - wurden z.B. insgesamt 130 Simulationsrechenläufe auf leistungsfähigen Computern durchgeführt. So eine Rechnung dauert trotzdem noch immer um 40 Stunden. Interessant ist, daß von den 130 Simulationsversuchen sich um 55 auf die Gestaltung der in Deformationsabschnitte gegliederten Vorderwagenstruktur bezogen. Nur so ließen sich auch die Rechenzeiten relativ kurz halten. (Das Finite-Elemente-Crashmodell des 996 weist rund 180.000 Elemente auf!) Und tatsächlich ist der 996 ja auch - wie wir inzwischen aus Crashversuchen (z.B. "ams") wissen - ein relativ sicheres Automobil geworden. Aber es treten nun in Karosseriebereichen Schäden auf - z.B. bei einem Frontalcrash hinter den Türen - die man beim alten 993 nicht kannte. Das beeinflußt zumindest die Kosten negativ. Beim Kunden.

Dem Hersteller Porsche brachte es Kosteneinsparungen durch Minimierung von Entwicklungsschleifen und der Zahl der benötigten realen Prototypen. Motor-KRITIK hat nichts gegen den Einsatz von Simultaneous-Engineering, aber es sollte auch ein Kundenutzen daraus resultieren. - Man muß diese Entwicklung einmal kritisch beobachten.

Daß Porsche gerade offiziell rund 9.600 Boxster zurückruft, ist dagegen eine Sache, die den Normalitäten der Automobilproduktion zugerechnet werden muß. Und so ein klarer Rückruf, dazu noch an Teilen, die man nicht den sicherheitsrelevanten zurechnen kann, schafft eigentlich Vertrauen in den Hersteller. - Offen und klar sich zu Fehlern bekannt, sie detailliert beschrieben, das paßt zu Porsche.

Aber warum vernebelt man einen anderen Rückruf, der nach zuverlässigen Informationen alle Porsche 911 Carrera (996) des Modelljahres 1998 betrifft? Hier müssen Spannrolle und Umlenkrollen des Antriebsriemens für die Motoren-Nebenaggregate ausgetauscht werden. Wie man den Schreiben (Datum Ende Mai) an die Besitzer eines 996 entnehmen kann, hat man einen Fertigungsfehler ausgemacht: "Durch den Bruch einer der Rollen wird der Antriebsriemen für die Motorennebenaggregate zerstört, das Fahrzeug bleibt liegen", schreibt Porsche sehr offen.

Bei Motor-KRITIK-Recherchen wurde dann erst deutlich, daß dies ein Fehler ist, den man vorher schon bei den Boxster-Motoren ausgemacht hatte. Auch hier hatte man ein wenig "die Decke drüber gehalten", weil man in der Anlaufphase des Verkaufs das strahlende Image des neuen Fahrzeugs nicht ankratzen wollte. Wie hatte doch Wendelin Wiedeking gesagt: "Wir sind die Sportwagen-Spezialisten. Nur wir bauen seit rund 50 Jahren Sportwagen - und diesen Vorsprung an Erfahrung kann uns niemand nehmen. Und so hatte man z.B. den Boxster in Amerika eingeführt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie man den Fehler abstellen könnte und warum er auftrat. - So hört man aus "eingeweihten Kreisen".

Wie hat Wendelin Wiedeking doch gerade noch dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder geraten: "Wagen Sie den Aufbruch, denken Sie das Unmögliche, befreien Sie sich von den Ratschlägen der Kleingeister und Bedenkenträger. Meine Alternativen bei Porsche waren damals auch nicht besser."

Wie das Beispiel oben zeigt, handelt Wendelin Wiedeking tatsächlich selbst danach. Aber er bekam tatsächlich immer wieder die Kurve. - Bisher jedenfalls. - "Befreien Sie sich von den Ratschlägen der Kleingeister und Bedenkenträger."

Da wurde z.B. beim Motor für Boxster und 996 eine riskante Entscheidung getroffen. Man wollte nicht nur den besten Motor, sondern auch den (in der Herstellung) billigsten. So kann z.B. der Kurbeltrieb komplett vormontiert zwischen die beiden Hälften des Motorgehäuses eingebaut werden. Das Motorgehäuse ist darum in der Mitte senkrecht geteilt. Und es weist auch noch eine andere Besonderheit auf, die es von anderen, alten wassergekühlten Vier- und Achtzyindermotoren von Porsche unterscheidet: deren Blöcke bestanden aus einer nicht billigen Aluminium-Silizium-Legierung. Beim Motor des Boxster und des 996 wird nun das widerstandsfähige Silizium, das gebraucht wird, um eine verschleißfeste Oberfläche für die Zylinderlaufbahnen zu schaffen, exakt dort eingelagert, wo es gebraucht wird: in den Laufbuchsen. Die werden beim neuen Porsche-Motor in die Gußform des Gehäuses eingelegt und in einem speziellen Gußverfahren (squeeze-in-casting, ein Niederdruckverfahren) mit Aluminium umgossen. So lassen sich die Zylinderblockteile besser bearbeiten, weil sie (ohne das Silizium) weniger spröde sind, während die Oberflächen der Laufflächen sich nun auch mit geradezu idealen Eigenschaften präsentieren: die Lokasil-Laufbuchsen bieten geringere Reibwerte, damit geringeren Verschleiß, was auch auf bessere Verbrauchswerte hinausläuft.

Kolbenschmidt in Neckarsulm hat - soweit wir das recherchieren konnten (s. "Guten Tag") - so um 10 Millionen für das Produktions-Instrumentarium der Porsche-Zyinderblockteile aufgewendet. Und Porsche ist der erste Hersteller, der die Vorteile des neuen Verfahrens für sich nutzen wollte. Ein Nachteil - wie sich erst heute herausstellt: nur Kolbenschmidt kann diese Produktion derzeit durchführen. Und wenn es mal dort mit der Produktion nicht klappen sollte... -

Dieser Fall ist eingetreten! Und er ist an den Zulassungszahlen abzulesen. (So ist auch Motor-KRITIK auf dieses Thema gestoßen.) Allein im April dieses Jahres mußte Porsche einen Zulassungsrückgang seiner Fahrzeuge gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres um 21 Prozent hinnehmen. - Wie ist so etwas erklärlich, wenn es riesenlange Lieferzeiten gibt, also - angeblich - Bestellungen für Neufahrzeuge mehr als genug vorliegen? - Im ersten Quartal 1998 ließ Porsche in unserem Land um 15,7 Prozent weniger Fahrzeuge zu als im letzten Jahr!

Der Grund liegt nach unseren Recherchen bei Kolbenschmidt. Der Ausschuß bei den produzierten Zylinderblöcken ist zu hoch. Nach Motor-KRITIK-Informationen liegt er bei 35 - 40 Prozent. Das heißt nichts anderes, als daß 35 - 40 Prozent aller produzierten Teile wieder eingeschmolzen werden müssen. Was da an Stückzahlen für die Produktion der Motoren übrig bleibt, reicht einfach nicht. Da die Produktion von Boxster - der ja auch in Finnland gebaut wird - und des 996 aber große Stückzahlen dieser wichtigen Basis- Motorenteile benötigen... -

Das Ganze hatte sich inzwischen fast zum (der Öffentlichkeit bisher verborgen gebliebenem) Drama entwickelt. Da standen die Fertigungsbänder bei Porsche, aber auch bei Valmet in Uusikaupunki/Finnland tagelang still. Vornehmlich in Finnland ruhte die Produktion, weil es da auch unauffälliger ist. Um keine zu hohen Einbußen hinnehmen zu müssen, hatte Porsche natürlich zunächst die Produktion des Boxsters gestoppt und alle guten Zylinderblockteile zunächst für die Produktion des gewinnträchtigeren 996 verwendet.

Und bei Kolbenschmidt weiß man offenbar zunächst keinen anderen Ausweg, als Sonderschicht um Sonderschicht zu fahren. Um rund 40 Prozent der Produktion dann wieder wegzuwerfen. Wie zu hören gab es sogar den Plan, die Produktionsanlage zu vergrößern, zu verdoppeln. Aber der Lieferant dieser Anlagen hat Lieferzeiten von 6 - 8 Monaten. Wie zu hören, hat man aber trotzdem inzwischen eine weitere Anlage (man spricht von einem Kaufpreis von 7 Millionen Mark) bestellt.

Durch Sonderschichten muß man nun den Rückstand aufholen. Aber das reicht wohl nicht. So werden nach Informationen von Motor-KRITIK inzwischen auch Zylinderblöcke "aufgearbeitet", die vorher noch als "Ausschuß" (Lunker im Guß) wieder eingeschmolzen worden wären. Auch bei Porsche sind Sonderschichten in der Produktion eingeplant . Bis Ende Juli möchte man in Zuffenhausen alle Rückstände aufgearbeitet haben. So verspricht man jedenfalls dem Handel. Der lebt schließlich auch nicht vom Verkaufen, sondern vom Ausliefern. Und der Porsche-Käufer möchte sein Auto.

Bei Porsche gibt es also zur Zeit größere Probleme, als sie derzeit mit dem "kleinen Rückruf" von 9.600 Boxstern öffentlich dargestellt werden. Da hilft auch nicht der Bau von Geländewagen ab dem Jahr 2002. Und auch nicht die Vorhersage einer Bank, daß die Aktien in den nächsten 12 Monaten weiter steigen. - Was wissen diese Analysten vom Automobilgeschäft? - Und was wissen die von den Problemen bei der Herstellung eines Automobils?

Man kann davon ausgehen, daß Porsche statt der fürs jetzige Geschäftsjahr geplanten 38.000 Einheiten nur 30.000 auf die Räder stellen kann. Wiedeking möchte aber gegenüber seinen Mitarbeitern klarstellen, daß er sie dafür nicht verantwortlich macht und er plant einen entsprechenden Brief an seine Mitarbeiterf.

Bei Porsche vermischen sich derzeit die - angeblich - guten Zukunftsaussichten mit den Rückrufaktionen und Produktionspannen der Gegenwart. - Was ist da wohl von größerer Bedeutung?

MK/Wilhelm Hahne