Wenn der Großaktionär von Daimler-Benz seine Interessen wahrnimmt...

...dann "zuckt" auch schon mal eine Redaktion. Nicht alle Geschichten, die auf der Welt geschehen, sind berichtenswert. Aber berichtenswerte Geschichten dürfen oftmals dann nicht öffentlich werden, wenn die Interessen von Mächtigen im Spiel sind. Da greifen dann Be- und Verhinderungs-Mechanismen. Da greift evtl. sogar ein Vorstandsmitglied selbst zum Hörer, um Einfluß auf eine Redaktion zu nehmen. Und - die Geschichte "stirbt". - Motor-KRITIK macht nachstehend Wiederbelebungsversuche und erzählt eine wahre Geschichte aus der schönen heilen, unbegrenzten Welt der Kreditkarten. Für Motor-KRITIK-Leser exklusiv:

Ein Blick hinter die Kulissen der MercedesCard

98-06-30/01. Der Prospekt verspricht die schöne, heile Welt. Die der Kreditkarte. Sogar kostenlos. Das ist die Kulisse für die MercedesCard. Doch kratzt man einmal an dieser Prospektoberfläche, dann blättert schnell an manchen Stellen die Tünche ab. Und man erkennt: dahinter wird mit allen Mitteln gearbeitet. Miteinander, gegeneinander, gegen andere - und wenn´s den Kunden kostet. - Doch der Reihe nach.

Prolog

Ein Journalist fährt Mercedes. Einen alten Mercedes. Da ist es nicht ungewöhnlich, wenn er schon mal einen Mercedes-Vertragshändler aufsucht, um z.B. Original-Mercedes-Benz-Ersatzteile zu erstehen. Und so steht der im Februar dieses Jahres mal wieder an der Ersatzteilausgabe des örtlichen Mercedes-Händlers - Sie wissen: vier Schreibtische, eine Person - und wartet auf die Ausgabe eines Teils. Und das dauert. Und weil es sich offenbar um ein gut sortiertes Unternehmen handelt, dauert das und dauert das.

Und dem Wartenden fällt ein MercedesCard-Antrag in die Augen und Hände. Aha, eine Kreditkarte ohne Grundgebühr, wenn er jedes Jahr ein wenig aus seinem Mercedes-Leben preisgibt. - Verführerisch. - Er wartet immer noch. Und er füllt den Antrag aus, nimmt ihn mit, schickt ihn ab. Und die Geschichte nimmt ihren Lauf. - Pech für ihn.

Erster Akt

Das Drama beginnt. Am 7. März 1998 findet unser Hauptdarsteller im Briefkasten ein Schreiben von der Bank24, nicht zufällig Buchhalter der MercedesCard. Schließlich ist die Bank24 ein Tochterunternehmen der Deutschen Bank. Und die Deutsche Bank ist zufällig Großaktionär bei Daimler-Benz. Und weil Mercedes... - Also: es ist reiner Zufall. Aber was die Bank24 nun unserem Journalisten schreibt, kann der einfach nicht glauben: "Wir bedauern..."

Und er liest noch einmal: "Wir bedauern, Ihrem Wunsch auf Ausstellung einer MercedesCard nicht entsprechen zu können. Bei der Prüfung ... haben wir alle von Ihnen im Antrag gemachten Angaben berücksichtigt." - Und dann kommt der verhängnisvolle Satz: "Falls es Informationen über Ihre Einkommens- und Vermögenssituation gibt, die wir aus Ihrem Antrag nicht ersehen konnten, senden Sie uns bitte die entsprechenden Unterlagen zu."

Das kann nur ein Irrtum sein, denkt unser Mann. Noch nicht einmal beim Finanzamt hat er Schulden. Und er greift zum Hörer.

Zweiter Akt

Der junge Mann am anderen Ende der Leitung bemüht sich. Zunächst, unserem Hauptdarsteller zu helfen: Ja, die im Computer gespeicherten Angaben stimmen. Dann, ihn abzuwimmeln: Nein, das sei alles kein Irrtum. Der Computer habe das nach einem Standardprogramm so entschieden. - Basta. -

"Falls es Informationen über Ihre Einkommens- und Vermögenssituation gibt, die wir aus Ihrem Antrag nicht ersehen konnten, senden Sie uns bitte die entsprechenden Unterlagen zu." - Welche denn?

Unser Journalist, übrigens ein Freelancer, wendet sich an Daimler-Benz. Er ruft bei der Wirtschaftspresse an. Der Kollege beruhigt ihn, verspricht mit der Bank24 zu sprechen und sagt schon vorab deren Rückruf zu.

Unser Hauptdarsteller ist nachdenklich geworden. Ein Computer hat gegen ihn entschieden. Warum? - Und er hakt am 20. März mit einem Fax bei der Bank24 nach. Er stellt die Fragen: Aus welchem Grund wurde mein Antrag abgelehnt? Nach welchen und wessen Kriterien - PS: Er will die Karte nicht mehr.

Schon elf Tage später kommt die Antwort von der Bank "die keiner mehr braucht" (oder wie war der Slogan?): "Die Prüfung von Mercedes-Card-Anträgen durch die BANK 24 erfolgt vorrangig durch ein standardisiertes statistisches Verfahren, das sogenannte Antrags-Scoring. Bei dieser standardisierten Verarbeitung kann es vorkommen, daß Interessenten abgelehnt werden, obwohl sie finanziell einwandfrei beleumundet sind." - Und dann: "... haben wir Ihren Fall nochmals eingehend geprüft und sind zu einem positiven Ergebnis gekommen"

Aha, wenn "nochmals geprüft", dann war der erste Bescheid also kein Irrtum. Und da das Schreiben der Bank24 mit dem Angebot endet, "Falls Sie weitere Fragen haben, steht Ihnen die Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gerne zur Verfügung", macht unser Hauptdarsteller gerne davon Gebrauch.

Am 14. März bestätigt er per Fax nochmal, daß es also offensichtlich kein Irrtum gewesen sei, der in seinem Falle zur Ablehnundes Kartenantrags geführt hätte und er möchte nun wissen: Warum das Antrags-Scoring in dieser, sicherlich nicht optimierten Art, durchgeführt wird und welcher Prozentsatz der MercedesCard-Anträge, nach diesem Verfahren überprüft, denn nun abgelehnt wird?

Gleich am folgenden Tag antwortet die Bank24 und muß "leider" etwas mitteilen: "Daß wir alle Angaben, die wir über das Scoring von Kreditkartenanträgen machen möchten, Ihnen bereits mitgeteilt haben."

Also, so war war das wohl nicht gemeint mit dem vorherigen Angebot, "zur Verfügung zu stehen". - Ruhe jetzt!

Aber unserem Hauptdarsteller läßt die Sache keine Ruhe. Er ist Journalist, neugierig, schon von Berufswegen. Und einen Monat später, am 14. April, kann er seine berufliche Neugier nicht mehr bezähmen und er stochert bei Daimler-Benz fernschriftlich nach: Ob denn dieser beim Scoring verwendete Standard nicht mit den Interessen bei der individuellen Mercedes-Kundenbetreuung kollidiert? - Ob es theoretisch vorkommen kann, daß ein Kunde zwar einen 100.000 Mark-Mercedes bestellt, sein MercedesCard-Antrag aber mit dem Hinweis auf seine "Einkommens- und Vermögenssituation" abgelehnt wird? - Und: Welche Einflußmöglichkeiten hat Daimler-Benz, schließlich Namensgeber, eigentlich auf die Verfahrensweise der Bank24? -

Unser Kollege wußte nicht, was er da tat. Er hätte auch einen Kanonenschlag in einen Ameisenhaufen schmeißen können. Die Wirkung wäre die gleiche gewesen.

Dritter Akt

In der Daimler-Konzernzentrale, jenem Hochsicherheitstrakt zu Stuttgart-Möhringen, laufen intern die Drähte heiß: Wer denn wohl jener Journalist sei? Und dann kommt ein Rückruf. Und eine Mitarbeiterin des Konzerns, zuständig für MercedesCard, erzählt unserem Journalisten - vertraulich, versteht sich - daß das angesprochene Scoring-Problem "immer ein wunder Punkt" gewesen wäre. Der von unserem Journalisten in seinem Schreiben dargestellte theoretische Fall, sei "nicht nur theoretisch möglich, das ist auch tatsächlich passiert." Und die Dame (Name der Redaktion bekannt) poltert weiter: "Da gab es sogar jemand, der hat fünf, zehn Lkw samt MercedesCard bestellt und dann so eine Absage bekommen". - Aber wieviele tatsächlich abgelehnt wurden, das wisse nur die Bank24. Und die sage nichts. Gar nichts. Datenschutz. "Aber jetzt haben die eben den Falschen erwischt", frohlockt sie über die laufende Recherche unseres Kollegen. - "Sie haben ja so recht!"

Jetzt ist unser Hauptdarsteller plötzlich zur Trumpfkarte von Mercedes geworden. Zwischen Mercedes-Benz und der Bank24 hängt der Haussegen schief. Das Scoring-Programm der Bank 24 hat sich offenbar als Flop erwiesen. Bisher mußte man bei Mercedes zähneknirschend zusehen: Schließlich ist die Bank24 eine Tochter der Deutschen Bank. Und die Deutsche Bank ist Hauptaktionär von Daimler-Benz.

Und eine verantwortungsbewußte Mercedes-Mitarbeiterin sieht jetzt endlich die Chance, die Banker-Phalanx aufzubrechen und das Problem im Sinne der Mercedes-Kunden (und damit auch Mercedes selbst) zu bereinigen. Aber dafür braucht sie etwas Zeit. - OK, unser Hauptdarsteller will mitspielen. Schließlich hat er kein Interesse daran, vernünftigen Lösungen im Wege zu stehen oder sie zu gefährden. - Er will nur seine Story. Leben und leben lassen. Bisher hatte er sich immer daran gehalten. - Sein Fehler!

Inzwischen hat er das Card-Thema - und wie es dazu kommen konnte - einer Redaktion angeboten. Dort ist man begeistert. Wann erfährt man sonst schon mal etwas über die Vorgänge hinter den Kulissen einer Kreditkarte? - Man will noch die letzten Ergebnisse des Tauziehens "hinter den Kulissen" abwarten (s.o.) und hat auch schon einen Termin ausgeguckt, an dem man mit diesem Thema an die Öffentlichkeit will.

Und auch bei Mercedes und der Bank24 weiß man inzwischen, daß aus dem ganzen Ablauf der Dinge nun eine Geschichte werden soll. Weil es eine berichtenswerte Geschichte ist.

Hinter den Kulissen spitzt sich die Lage zu. Bis zur Veröffentlichung der Geschichte will man eine Lösung anbieten können. "Sie können dann auch mit Fug und Recht behaupten", sagt die verantwortungsbewußte Dame bei Mercedes unserem Hauptdarsteller, "daß Ihre Recherchen der Auslöser für die Bereinigung des Problems gewesen seien." - Und bittet, noch mit der Geschichte zu warten. - Und der Kollege sagt: Meinetwegen. Seine Kollegen, an die er die Geschichte verkauft hat, halten auch still.

Noch im April, die Krönung: Ein Formbrief trudelt bei unserem Hauptdarsteller ein, in dem man ihm Konto und Kreditkarte der Bank24 für ein Jahr kostenfrei anbietet. Andreas Kunst, Leiter Marketing, meint ihm "vor einiger Zeit die souveränen Leistungen der Bank24 vorgestellt" zu haben. - Als die Dame bei Mercedes davon hört, fällt ihr fast der Hörer aus der Hand. Dieses Schreiben will sie unbedingt haben.

Und sie legt es vor. Während in Stuttgart die Hauptversammlung von Daimler über die Bühne geht, treffen am Rande die Akteure von Bank24 und Daimler aufeinander. Als sich die Banker zugeknöpft zeigen, kommt Stimmung auf. - Aber man einigt sich. So heißt es wenigstens offiziell. - Aber wer weiß das schon?

Denn in der Zwischenzeit it noch etwas anderes passiert: Ein Vorstandsmitglied der Bank24 hat in der Redaktion angerufen, der unser Hauptdarsteller die MercedesCard-Geschichte verkauft hatte. Ob man ihn da wirklich kennen würde? - Und daß man in aller Öffentlichkeit verbreiten werde, daß die Geschichte nur deswegen publiziert worden sei, weil es einen Mitarbeiter getroffen habe. Und daß es ja nur ein Einzelfall sei. - Es sei ja nur ein Irrtum gewesen.

Ein Irrtum? - Aus dem Ablauf der Geschichte ergibt sich, daß es keiner war, sondern ein Stück Normalität bei der Bank24. Auch die bisher so gesprächsbereite Dame bei Mercedes-Benz gibt sich gegenüber unserem Hauptakteur plötzlich zugeknöpft. Auch sie spricht plötzlich von einem Irrtum. Andere Fälle, von denen sie vorher erzählt hatte (s.o.) will sie nun nicht mehr kennen. - Wurde die Dame eingebremst? - Da kann man sicher sein.

Und dann fällt auch die Redaktion um. Ja, wenn man nun einen konkreten zweiten Fall hätte... - Aber so... - Unser Journalist weist darauf hin, daß er alle anfänglichen Erklärungen der Bank24 schriftlich hat, daß er... - Na ja, er hat´s eben kommen sehen. Weil er nicht weltfremd ist. - Seine Einwände: Erfolglos!

Epilog

"Die Erlebniskarte und Kreditkarte exklusiv für Mercedes-Fahrer" steht immer noch auf dem Antrag für die Mercedes-Card. - Erlebniskarte? - Das kann man wohl sagen! - Aber wie lange wird unser Journalist noch Mercedes-Fahrer sein?

MK/Wilhelm Hahne