Was Sie bisher noch nicht von der neuen Mercedes S-Klasse aus dem Hause Daimler-Benz wußten

Die Medien sind voll davon. Neue S-Klasse hier, neue S-Klasse da. Und alles ist wundervoll. Waren also Smart, A-Klasse, M-Klasse - und, und, und - nur Ausreißer? - Motor-KRITIK kann nachstehend nur niederschreiben, was unsere Recherchen ergaben. Das ist sicherlich nicht alles, was sich "hinter den Kulissen" abgespielt hat. Aber es verschafft ein "runderes Bild", relativiert auch z.B. die Aussagen eines Prof. Hubbert, als Vorstandsmitglied bei Daimler-Benz verantwortlich für das Ressort Personenwagen, der seine Mannschaft sehr lobt, die Entwicklung der neuen S-Klasse "in Rekordzeit" bewältigt zu haben. - Ist das die Erklärung dafür, daß einiges nicht so lief wie es schließlich gelaufen ist? - Und was hat eigentlich ein Opel Omega, den ich hier wochenlang in der Eifel beobachten konnte mit der neuen S-Klasse zu tun? - Nach dem Lesen der nachstehenden Geschichte werden Sie es wissen. Und noch einige interessante Details mehr erfahren haben, von denen Sie bisher noch nirgendwo lesen konnten.

Von Nieten, Nachbesserungen, Pannen - und neuen Produktionsverfahren

98-09-11/04. Die neue Mercedes S-Klasse ist ein schönes Fahrzeug geworden. Ich habe es schon seit Monaten bei Fahrversuchen - zuletzt praktisch ungetarnt - beobachten können. Verglichen mit seinem Vorgänger wirkt es geradezu zierlich, seine Linie ist "futschik". (Das hat nicht mit flutschig zu tun. Der Projektleiter Design heißt Dieter Futschik.)

Aber noch vor wenigen Wochen haben mir die Haare zu Berge gestanden, wenn ich die neue S-Klasse über die Nürburgring-Nordschleife fahren sah. Was heißt hier fahren? - Die Fahrzeuge taumelten, schwankten, wogten über die Strecke. Ein unglaublicher Anblick.

Jetzt, in dieser Woche sind sie wieder da. Und nun endlich umrunden sie die schwierigste Rennstrecke der Welt - eigentlich mehr ein Landstraßen-Rundkurs - in einer Art und Weise, wie man es nun erwartet, nachdem in allen Interviews und Verlautbarungen immer wieder das Wort "Fahrfreude" vorkommt, wenn man von der neuen S-Klasse spricht. Man hat den Eindruck, daß an den Fahrzeugen bis zur letzten Sekunde entwickelt wird. Ist die Entwicklung eigentlich abgeschlossen, wenn jetzt der Serienanlauf erfolgt?

Ich habe da meine Bedenken. Die Entwicklung des Fahrzeugs verlief durchaus nicht so, wie sich das in den offiziellen Darstellungen liest. Die Problematik lag darin, daß gleichzeitig mit der Entwicklung des Fahrzeuges auch die Fertigung nicht nur geplant, sondern auch vorbereitet werden mußte. Maschinen und Roboter müssen schließlich lange vor Anlaufen der Fertigung bestellt werden.

Die Fertigungsvorbereitung der S-Klasse war in den Kalkulationen nach meinen Recherchen mit über 100 Mio. DM eingeplant. Jetzt, wo die Fertigung anläuft, hat sich diese Zahl aber fast verdoppelt. Das resultiert aus den Nachbesserungen, die im Laufe der Entwicklung des Fahrzeugs erforderlich wurden.

Da war z.B. der Chrashtest. Daimler-Benz hatte sich die Vorgaben selbst gesetzt, die klar oberhalb der gesetzlichen Anforderungen liegen. Und alles war vielfach durchgerechnet und im Computer durchgespielt worden. Aber dann zeigte sich bei den realen Versuchen, daß der Vorderwagen zu weich geworden war. Hier wurde dann konstruktiv nachgebessert, der Vorderwagen praktisch neu konstruiert. Unter anderem kam es dann so auch zu der zweiten Längsträgerebene (oberhalb der ersten), so daß nun (man möge mir bei Daimler meinen Vergleich verzeihen) bei einem Crash mit einem "Verkehrspartner", der nun von insgesamt vier Speerspitzen (= vier Längsträger) getroffen wird. Wobei die unteren Längsträger den nicht so sehr (zer-) stören werden, wie die oberen zwei.

Aber in Verbindung mit anderen "kleinen" Maßnahmen erreichte man so was man wollte: eine erhöhte Chrashsicherheit der neuen S-Klasse. Nur war dadurch der Vorderwagen sehr schwer (zu schwer) geworden. Also mußte man durch entsprechende Maßnahmen ausgleichen. Und so kam es zu einer Motorhaube aus Aluminium und einem vorderen Fahrschemel aus dem gleichen Material.

Es ist überall nachzulesen: die neue S-Klasse ist um 7,5 Zentimeter kürzer, um 1,7 Zentimeter schmaler und um 4,1 Zentimeter schmaler als die alte Karosse. Da spart man also - logischerweise - eine Menge Material. Und so natürlich auch Gewicht. Und so ist es auch einleuchtend, wenn Prof. Hubbert (und andere Daimler-Würdenträger) bei jeder Gelegenheit in diesen Tagen deutlich machen, daß die neue S-Klasse um bis zu 300 Kilogramm leichter geworden ist.

Vergleicht man einmal die Zahlen, die aus normalen Auto-Katalogen stammen, so ist dieser Gewichtsabbau nicht nachzuvollziehen. Hundert Kilo, hundertfünfzig Kilo: Ja, das scheint möglich. Aber 300 Kilogramm? - Wie will man das geschafft haben. Und bei den Recherchen zur Beseitigung aller Zweifel stoße ich dann darauf, daß auch eine andere Behauptung leitender Herren des Hauses Daimler (oder Mercedes) nicht stimmt, nach der "der Rohbau" (Prof. Hubbert spricht z.B. von "Rohbaustruktur") leichter geworden ist. Prof. Hubbert spricht z.B. davon, daß man "alle Fähigkeiten und Erfahrungen der letzten 40 Jahre" in die "gewichtserleichterte Struktur" einbringen mußte, um "die gleiche Sicherheit zu garantieren". - Er ist "stolz" auf das Ergebnis.

Recherche-Ergebnis von Motor-KRITIK: der Rohbau der neuen S-Klasse ist um einen zweistelligen Kiloanteil schwerer geworden, als der Rohbau seines (größeren) Vorgängers. Nicht zuletzt durch die oben bereits geschilderten Nachrüstmaßnahmen. - Ist Herr Prof. Hubbert vielleicht nicht umfassend informiert worden? - Denn er wird doch sicherlich nicht bewußt die Unwahrheit sagen. - Auf der anderen Seite: wer recherchiert schon so wie Motor-KRITIK?

Daß ich mir die "erschwerenden Nachrüstmaßnahmen" nicht aus den Fingern gesogen habe, wird auch daran deutlich, daß
die Abteilung Fertigung dadurch in größere Schwierigkeiten geriet. Schließlich hatte man dort aufgrund der ursprünglichen Vorgaben auch ein entsprechendes Fertigungs-Layout vorgesehen, die Roboter und Maschinen plaziert. Nun wurden plötzlich neue Maschinen notwendig, die mußten eingefügt, das ursprüngliche Layout verändert werden. Das machte Nachbestellungen und Umbauten notwendig.

Klar, daß man aus offiziellen Quellen keine Antwort auf die Frage bekommen würde, welche Mehrkosten durch diese Umstellung in der Fertigung entstanden sind. Aber durch geschicktes Hinterfragen (auch im Zulieferbereich) konnte ermittelt werden, daß so die im Etat vorgesehenen Kosten der Fertigungsvorbereitung (vom Tag an dem die Produktion beschlossen wurde bis heute) um mehr als 50 Prozent (!) gestiegen sind.

Wobei ich übrigens von Kennern der Gesamt-Kosten für die Entwicklung der neuen S-Klasse bis hin zur Präsentation damit getröstet wurde, daß dieser Kostenanstieg - z.B. verglichen mit den Kosten, die etatmäßig für die Präsentation des neuen Modells vorgesehen sind, sich direkt klein ausnehmen. Einer der's wissen muß: "Herr Hahne, das ist geradezu eine unfaßbare Summe!" - Auch ein Trost.

Nun, den Käufer einer neuen S-Klasse werden nicht die Kosten bei Daimler-Benz, sondern das Ergebnis interessieren. Und das ist gut. Die Rohbaukarosse ist nun richtig steif, vor allen Dingen im Vorderwagenbereich. Und was den Partnerschutz betrifft... - Nun ja, man kann nicht alles haben. Sollen doch auch die "Partner" einfach Mercedes fahren.

Einmal mit den Produktionsvorbereitungskosten beschäftigt, hat Motor-KRITIK sich natürlich auch für die eigentliche Produktion der neuen S-Klasse interessiert. Und plötzlich gab es dann auch eine Auflösung des Rätsels um die wochenlangen Testfahrten eines Opel Omega durch die Eifel. Natürlich hatten meine Recherchen hier auch schon ein Ergebnis gebracht, aber ich konnte damit wenig anfangen.

Die Testfahrten des Opel Omega wurden von einem General Motors-Technikerteam (alles Amerikaner) durchgeführt. An dem Auto war aber nichts besonderes zu entdecken. Und ganz gleich, ob es sich um einen deutschen oder die amerikanische Version des Omega (Cadillac) handelte: Was prüfte das Team mit hohem Zeit- und Kostenaufwand?.

Mein Recherche-Ergebnis: an dem Omega gab es keine einzige Schweißnaht mehr. Alles war genietet. - Wie mir jetzt erst klar wird, handelte es sich wohl um einen Extremversuch, der die Schwächen dieser Art von Materialzusammenfügung beim Automobil ermitteln sollte. Inzwischen weiß ich nicht nur, daß bei allen Automobilherstellern auf der Welt (die auf sich halten) an einem solchen System gearbeitet wird, sondern daß es bereits bei der Fertigung der neuen S-Klasse eingesetzt wird.

Ein Mercedes-Mitarbeiter klärt mich auf: "Wenn man das richtig macht, ist die Festigkeit einer Nietstelle genauso hoch wie bei einem gut gesetzten Schweißpunkt". Und ich erfahre dann noch, daß nicht alle Schweißpunkte, auch wenn sie von Robotern gesetzt werden, die gleiche Festigkeit aufweisen. Es gibt hier durchaus Differenzen. Eine gute Punktschweißung erkennt man optisch daran, daß hier beim Schweißen keine Funken sprüchen. (Die also immer wieder gerne von Schweißvorgängen gemachten Fotos, die einen irren Funkenflug zeigen, sind eigentlich der Beweis für einen nicht perfekten Schweißvorgang.)

Bei der Karosse der neuen S-Klasse wird es auf einen mehr oder weniger nicht ankommen, denn insgesamt werden hier von Robotern rund 5.500 Stück gesetzt. (Um noch einmal auf den Omega zu kommen: dort werden es so um 2.500 sein. Nieten gibt es beim Serien-Omega derzeit keine.) Zählt man die Nietpunkte bei der neuen S-Klasse, kommt man auf knapp 300 Stück. - "Aber es wäre falsch, diese Punkte alle als Nietpunkte zu bezeichnen", werde ich aufgeklärt, "denn eine Reihe von ihnen sind 'mechanische Fügepunkte', weisen keine Niete auf".

Ich gebe hier wieder, was mir so erklärt wurde: So werden z.B. die Aluminiumteile der vorderen Motorhaube per "Durchsetzfügen" miteinander verbunden. Es wird ein Prägestempel durch die aufeinanderliegenden Teile gedrückt, und es entsteht ein Profil, das die beiden Teile fest miteinander verbindet. Auch das Nietverfahren ist ein besonders, das man als "Stanznieten" bezeichnet. Dabei wird kein Loch vorgestanzt, sondern dieser Vorgang ist in den eigentlichen Nietvorgang integriert. Dadurch erhält die Nietung eine höhere Präzision.

So ist z.B. die Trennwand zwischen Passagier- und Kofferraum (aus Gewichtsgründen) aus Aluminium und wird mit Stanznieten im vorhandenen Stahlblechrand (und -Streben) befestigt.

Beschäftigt man sich noch weiter mit den Produktionsmethoden, mit denen die neue S-Klasse gefertigt wird, so fällt auf, daß gegenüber dem alten S-Klasse-Modell (W 140) nur noch rund 20 Prozent Schweißnähte anfallen. Aber die Klebe- und Dichtnähte haben um das fünffache (!) zugenommen. (In Metern gerechnet.)

Die Fertigung der neuen S-Klasse erfolgt im Werk Sindelfingen, wo das Fahrzeug nach einem komplett neuen Konzept, in einer neuen Halle ("Bau 30"), mit neuen Maschinen gebaut wird. Hier wird nur die S-Klasse gebaut, sonst nichts. Darum bezeichnet man diese Art einer Fertigungsanlage für ein einziges Modell, als "Solitär"-Fertigung.

Bei der Fertigung der neuen S-Klasse entstehen Vorder- und Heckwagen zunächst getrennt. Nach deren Zusammenfügen fällt im Heckteil - da wo der Kofferraum ist - ein großes Loch auf. Hier wird dann später - auch aus Gewichtsgründen - eine Kunststoffplatte mit Ersatzradmulde eingeklebt.

Und wenn ein anderes großes Loch geschlossen wird, nämlich durch Einschweißen der Dachhaut, dann imponiert, daß hier ein Laserschweißverfahren eingesetzt wird, das große Präzision erfordert, weil hier Dachhaut und Seitenteile ohne Zusaztmaterial praktisch miteinander verschmolzen werden. Die Länge der Laser-Schweißnähte bei der neuen S-Klasse (W 220) ist z.B. um das fünffache größer, als bei der alten S-Klasse (W 140).

Zwischen dem ersten Mercedes mit der Zusatzbezeichnung "S", der als Mercedes 170 S Innenlenker (so nannte man damals eine Limousine) im Jahre 1949 vorgestellt wurde und der heutigen S-Klasse, liegen Fertigungs-, Material- und Gewichtswelten. Der 170 S wog damals 1220, die neue S-Klasse heute 1770 Kilogramm. Dabei bestand im Radstand kein allzu großer Unterschied: damals reichten 2845 mm, heute sind es 2965. Doch die S-Klasse von 1949 hatte nicht nur gegenüber der heutigen den geringeren Normverbrauch (9,7 zu 11,5 l), sondern er begnügte sich mit seinem 6,5:1 verdichteten Vierzylinder auch mit Normalbenzin und kam mit einem Wendekreis von exakt 11 Metern zurecht. Bei der neuen S-Klasse zieht man schon 11,7 Meter große Kreise.

Keine Frage: In den letzten 50 Jahren hat sich im Automobilbau einiges getan. Der Fortschritt in Aufwand und Kosten ist gewaltig. Das Ergebnis in den Fahrleistungen auch. Und ich erinnere mich sogar, daß das schnelle Fahren damals in einem 170 S (ich fuhr ihn zum ersten Male 1950) eine Menge Spaß machte. Besser zu sein als die heimtückische Pendel-Hinterachse eines 170 S konnte schon Befriedigung verschaffen. Auch heute, in Verbindung mit der neuen S-Klasse, reden die Daimler-Verantwortlichen wieder von Fahrfreude. Aber das ist eine Fahrfreude anderer Art. Vor allen Dingen ein teure Fahrfreude.

Wollen wir hoffen, daß sie für die Käufer einer neuen S-Klasse lange erhalten bleibt, weil der Hersteller inzwischen alles im Griff hat. - Was, wie man oben nachlesen kann, nicht immer der Fall war.- Aber das kommt unter Leitung des Prof. Hubbert nicht zum ersten Male vor. Mit Pannen - und deren Beseitigung - hat man bei Daimler (Mercedes) inzwischen Erfahrung.

MK/Wilhelm Hahne