Selbst der Tod braucht ein Umfeld - Helfer und solche, die ihn nutzen

Auf der Nürburgring-Nordschleife ist ein Fahrer ums Leben gekommen. Das ergibt dann eine 30 Zeilen-Meldung in den Zeitungen. Und einen Bericht bei RTL, weil zufällig ein Fernsehteam vor Ort war. Und dann diese Formulierungen wie, "raste mit hoher Geschwindigkeit"... - Motor-KRITIK war auch vor Ort, möchte den Tod eines Menschen nicht einfach für sich betrachten, sondern in das Umfeld stellen. Und zu beschreiben versuchen, wie ein solches Unglück dann zu welchen Handlungen führt. Zu Entscheidungen, die eigentlich vom Geld, von persönlicher Vorteilsnahme (in diesem Falle des Veranstalters) bestimmt sind. - Folgende Geschichte gibt nicht nur meine persönlichen Beobachtungen wieder, sondern auch meine ganz persönliche Meinung. Andere werden anderer Meinung sein. Aus ganz persönlichen Gründen. Ich bin aber der Überzeugung, daß meine Meinung von dem, was passierte - auch als Reaktion auf den Tod eines Rennfahrers - die wahrscheinlich richtige ist. - Aber lesen Sie doch einfach meine Geschichte. Sie kennen auch wahrscheinlich die Zeitungsmeldungen zu dem Unglück. - Bilden Sie sich sich Ihre eigene Meinung.

Das war nicht im Sinne des Sports

98-09-28/06. Es war ein schöner Morgen, der des 19. September 1998, er war sonnig, warm. Und ich freute mich auf den 8. Lauf zum Veedol-Langstreckenpokal 1998. In der Nacht zum Freitag war bei mir ein Fax der Veranstaltergemeinschaft eingegangen, indem von Problemen die Rede war, die man mit der Abwicklung des 8. Laufes zum Veedol-Langstreckenpokal in diesem Jahr hatte. Der Termin lag acht Tage vor dem "GP von Luxemburg", dem Formel 1-WM-Lauf, und die Nürburgring GmbH stand wohl zeitlich unter Druck.

Wieso? - Warum hatte sie denn - in Kenntnis des Formel 1-Termins - noch die Rennstrecke, die Nordschleife in Verbindung mit der Kurzanbindung des GP-Kurses, vermietet?

Man wußte doch vorher, daß die Formel 1-Teams nicht in letzter Minute anreisen. Man wußte vorher, daß die Boxen gestrichen werden mußten. Man wußte vorher, daß DF1 und andere schon vorher im Fahrerlager ihre Zelte aufschlagen würden. Aber in letzter Minute, praktisch beim Anreisetermin der Teams, die am Veedol-Langstreckenpokallauf teilnehmen wollen, wird denen - und auch mir als Journalist - mitgeteilt, daß man die Veranstaltung, den 30. ADAC-Barbarossapreis (Veranstalter: MSC Sinzig e.V. im ADAC) ein wenig raffen muß.

Das Training sollte (lt. Fax) von 8.30 - 9.30 Uhr gekürzt werden; der Start sollte dann um 11 Uhr erfolgen und das Rennen nur bis spätestens 13.30 Uhr gehen. Und das Fahrerlager müsse bis 14 Uhr geräumt sein.- Auf diesen Zeitplan habe ich mich dann eingestellt.- Aber eigenartig: während ich erst den Faxinhalt kannte, wußten andere schon, daß Training und Rennen noch früher durchgeführt werden sollten.- Wie ich allerdings erst später hörte.

Am Freitagmorgen riefen Teams bei mir an, die mir erzählten, daß sie bei Rückfragen erfahren hätten, daß auch die Boxen nicht zu nutzen wären. Die wären schon gestrichen, noch nicht richtig trocken, dürften also nicht betreten werden. Und in der McLaren-Mercedes-Box war schon polierter italienischer Granit verlegt. Darauf rutscht sich sicherlich besser (auf Knien), wenn man um eine Audienz nachsucht, bei Mercedes.

Als ich dann um 10.45 Uhr, eine Viertelstunde vor dem per Fax angekündigten Starttermin am Nürburgring eintreffe, da läuft das Rennen bereits. Der Start war schon um 10.30 Uhr erfolgt. Und das Training hatte man von 8.30 Uhr auf 8.00 Uhr vorverlegt. Eine Unterstellung von mir: diese Termine kannte man sicherlich schon vorher. (s.o.) Aber man hat den Teams zunächst einmal versöhnliche "Übergangstermine" mitgeteilt.

Und trotzdem kam es zu Ärger. Weil Fahrzeuge nicht ins Fahrerlager konnten, weil die gekürzte Trainingszeit einigen nicht paßte, weil aus einem Langstreckenrennen nun ein längeres Kurzstreckenrennen wurde. - Kurz und gut: ein paar Teams sind dann schon abgereist.

War das alles nötig? - Nein. Die Nürburgring GmbH hätte zu diesem Termin - so kurz vor dem Formel 1-Lauf die Strecke (wegen der Fahrerlager- und Boxennutzung) schon nicht mehr vermieten dürfen. Dem Reglement nach darf sie es auch nicht. Aber sie vermietete ja nicht den GP-Kurs (auf dem das Formel 1-Rennen läuft), sondern die Nordschleife mit der Kurzanbindung. Das ist natürlich gaaanz etwas anderes. - Und Geld ist Geld. - Schließlich hatte man schon in dieser Saison einige Terminausfälle. Wenn man das vorher gewußt hätte, hätte die GmbH auch sicherlich dem Veedol-Langstreckenpokal einen anderen genehmeren Termin anbieten können. - Aber Geld ist Geld. Man möchte alles mitnehmen.

Natürlich wollte auch der Veranstalter das Rennen nicht an diesen (mit der Nürburgring GmbH vereinbarten) Termin wegen der notwendig gewordenen Beschränkungen absagen. Wann hätte man das Rennen nachholen sollen? - Im November? - Und das Nenngeld zurückzahlen? - Und dann den Ärger mit der Wertung, weil ein Lauf evtl. ausgefallen wäre? - Also: Augen zu - und durch. Und so hatten die teilnehmenden Teams ihr Werkzeug und Material vor den Boxen, in der Boxengasse, aufgebaut. Gut, daß es ein schöner, sonniger Vormittag war.

Man muß sich einmal vor Augen halten, was so alles zusammenkommen muß, bevor etwas passiert: Hätte die Nürburgring GmbH nicht diesen Termin, den 19. September als Renntermin angeboten; hätte der Veranstalter das Rennen (wegen der Beschränkungen) abgesagt, hätte sich Wolfgang Scholz, der Geschäftsführer einer Versicherungs-Agentur über alles so geärgert, daß er abgereist wäre... - Das Rennen fand statt, Scholz fuhr mit - und das Unglück nahm seinen Lauf.

Schon in der dritten Runde, rund 25 Minuten nach dem Start, also kurz vor 11 Uhr, kam es dann zum Unfall im Streckenabschnitt "Breidscheid". Zwei VW Golf waren bis dahin immer eng zusammen gewesen. Mal war der, mal der andere vorne. Das Rennen machte Spaß. Beide gehörten zwar nicht in eine Klasse, aber - aus welchen Gründen auch immer - ihre Fahrleistungen waren ähnlich.

Und so hat denn auch der Fahrer des vorne liegenden Golf kurz vor der Linkskurve auf der Brücke in "Breidscheid" noch einmal in den Rückspiegel geschaut, wo denn der Konkurrent war. Schließlich ist das hier auch eine Stelle, wo man sich vorbeischieben kann. Aber er hat den Golf von Wolfgang Scholz nicht mehr gesehen, sondern nur noch einen Schlag verspürt. - Scholz war mit seinem Golf auf seinen Vordermann mit Überschußgeschwindigkeit aufgefahren.

Wieso Überschußgeschwindigkeit? - Hatte die Bremse versagt? - Es gibt - für Kenner jener Stelle - auch eine andere Erklärung: Scholz war mit seinem Golf dichtauf. Am Bremspunkt vor der Brücke in "Breidscheid" gibt es eine Bodenwelle (die um so stärker wirkt, je weiter man rechts ist), die das Fahrzeug (gerade wenn es - wie viele Renntourenwagen - nur über kurze Federwege und harte Federn verfügt) kurz aushebt. Vermindert man jetzt nicht den Bremsdruck, dann hat man beim Aufsetzen ein blockierendes Vorderrad und das Gefühl, als wäre kaum noch Bremsleistung vorhanden.

Jetzt muß man - spätestens - den Fuß ein wenig von der Bremse nehmen, den Bremsdruck vermindern, weil man zum Einlenken in die Linkskurve auf der "Breidscheid"-Brücke Räder braucht, die sich drehen. Sonst kann man nicht einlenken.

Scholz hatte jedoch den anderen Golf wie ein Hindernis vor sich. Und wer hebt schon den Bremsfuß, wenn sich ein Hinderniss vor ihm auftut? - Trainierte Rennfahrer, ja. - Weil die das kleinere Übel - aber bewußt! - wählen. - War Wolfgang Scholz ein mental trainierter Rennfahrer? - Ich kann es nicht beurteilen.

Aber ich habe mir nach dem Rennen die Unfallstelle angesehen. Es gibt dort tatsächlich auf der rechten Seite einen weit nach unten führenden schwarzen Streifen, der von einem radierenden, sich nicht drehenden Rad herrührt. Es könnte also so gewesen sein, wie ich vermute. Und Scholz hat dann wohl das Auto verrissen (oder es ist durch das Auffahren in eine Drehung geraten) und schließlich rückwärts (!) in die Brückenmauer eingeschlagen. Sicherlich kräftig. Aber diese Art des Einschlags ist sicherlich noch die "sicherste". - Wenn der Sitz hält!

Wie man hört, ist der Sitz im VW Golf des Wolfgang Scholz abgebrochen. Und nach dem was ich von Beobachtern gehört habe, muß Scholz bei der nun entstehenden Beschleunigung seines Körpers und dem natürlich folgenden harten Aufprall, eine schwere Kopfverletzung (trotz Schutzhelm) erlitten haben. - Er ist daran praktisch sofort nach seiner Bergung, die sehr schnell erfolgte, verstorben. Der angeforderte Hubschrauber wurde nicht mehr gebraucht.

Aber das Rennen ging weiter, wurde erst in der 10. Runde abgebrochen. Weil - so die offizielle Erklärung - die Rennleitung erst kurz vorher vom Tod des Fahrers informiert worden war. Und der Abbruch des Rennens sei eben der Pietät wegen erfolgt, der Achtung vor dem Toten.

Dieser zeitliche Ablauf, bzw. deren Darstellung paßte natürlich optimal zu den Interessen des Veranstalters. Wäre das Rennen am Ende der 4. Runde abgebrochen worden, wäre keine Wertung möglich gewesen. Aufgrund der Zeitbeschränkung durch die Nürburgring GmbH (s.o.) hätte auch kein Neustart mehr erfolgen können.. Der Ärger mit den Teilnehmern (aus den unterschiedlichsten Gründen) wäre programmiert gewesen.

Aber warum hat die Rennleitung keine Rücksicht auf die Lebenden genommen? - Nimmt man nur Rücksicht auf Tote? - Die Fahrbahn auf der Brücke war durch die dort liegenden Unfallfahrzeuge stark eingeschränkt. Eine Menge von Helfern waren mit der Bergung des Schwerverletzten beschäftigt. Und das Rennen ging - unter "Gelber Flagge" an der Unfallstelle - weiter. Natürlich wurde die Unfallstelle so von den Teilnehmern "mit angepaßter Geschwindigkeit" passiert. Aber jeder versteht etwas anderes darunter. Da, wo in den Klassen ein Zweikampf tobte, wirkte sich das "langsame Überfahren" der "Breidscheid"-Brücke in den Rundenzeiten anders aus, als in einer Klasse, wo z.B. ein Fahrzeug alleine am Start war. Ich habe mir die entsprechenden Rundenzeiten angesehen.  Ich habe auch mit Fahrern gesprochen. - Warum wurde nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Rennen hinter einem Saefty-Car zu neutralisieren? - Durch die Entscheidung der Rennleitung das Rennen weiterlaufen zu lassen, wurde Rettungspersonal unnötig gefährdet. - Wie ist das mit der Achtung vor Leben?

Es wirkt schon eigenartig, wenn man "aus Pietätsgründen" ausgerechnet dann ein Rennen abbricht, wenn die Minimalrundenzahl für eine Wertung des Rennens (9 Runden) erreicht ist. Es ist auch eigenartig, daß ich zum gleichen Zeitpunkt schon über den Tod eines Fahrers, seinen Namen, sein Fahrzeug usw. informiert war, als gerade das Rennen abgebrochen wurde. Ich wäre also - ohne jede offizielle Verbindung zur Unfallstelle - genauso gut (oder schlecht) informiert gewesen, wie die Rennleitung selbst. - Meine Angaben kann Bernd Ostmann, Chefredakteur von "auto motor und sport" bestätigen, den ich zufällig bei Abbruch des Rennens traf und der mich fragte: "Wissen Sie, warum das Rennen abgebrochen wurde?" - Und ich gab ihm exakte Auskunft, allerdings mit der Einschränkung, daß ich diese Angaben noch nicht selbst überprüft hätte.

Natürlich kann die Rennleitung nachweisen, daß der Todesschein durch den Rennarzt erst kurz vor Abbruch des Rennens ausgestellt wurde. Aber was ist das für ein Beweis? - Warum mußte das Rennen überhaupt abgebrochen werden? - Weil man die zeitlichen Auflagen, die das Rennen durch die Nürburgring GmbH erfahren hatte, so einfacher erfüllen konnte?

Natürlich wurde mit der getroffenen Entscheidung praktisch viele Ansprüche erfüllt und damit viel Ärger vermieden. Aber aus Pietät? Aber es ist ein so menschliches Argument, genauso treffend wie das Argument der Nürburgring GmbH für die zeitlichen Auflagen: die Vorbereitungen des GP von Luxemburg hätten leider diese Lösung erzwungen.

Wie wichtig das frühe Räumen des Fahrerlagers durch die Teilnehmer des Langtreckenpokals am Samstag wirklich war, wurde einem zufälligen Besucher des Fahrerlagers am Sonntag - am Tag danach - klar: die Nürburgring GmbH hatte das Fahrerlager der Firma Zender in Koblenz zur Präsentation seiner Automobile und Zubehörprodukte (einer Verkaufsschau) vermietet.

MK/Wilhelm Hahne