Über Interviews und wie es dazu kommt. Und ein "erfundenes" Beispiel mit dazugehörigem Schriftwechsel

Interviews, wie sie später dann in Schriftform zu lesen sind, entstehen kaum noch spontan. Da müssen evtl. die Fragen vorab eingereicht werden, zumindest aber das Themengebiet eingegrenzt werden. Der Interviewte könnte sonst eventuell überfordert sein. Er muß ich also vorbereiten können. Wenn dann das Interview erfolgt ist, muß die Abschrift der jeweiligen Firma des Interviewten (oder ihm selbst) noch einmal vorgelegt werden, damit er es "autorisieren" kann. Wenn es zurückkommt, haben sich meist (oft) eine Reihe der spontan gemachten Äußerungen verändert. Alles ist ausgewogener, weicher, softer. Und manchmal werden sogar unangenehme Fragen ausgemerzt! Der Interviewer ärgert sich dann über die vertane Zeit. - Nachstehend erzählt WIlhelm Hahne, warum er schon seit Jahren keine Interviews mehr macht. Und er hatte - weil er einmal darstellen wollte, wohin die "Interview-Entwicklung" führen kann, eine Idee. - Lesen Sie nachstehend, wie es dazu kommen konnte. 

Nicht alle Manager scheinen zu wissen wovon sie in Interviews sprechen

98-11-13/01. Lassen Sie mich zunächst einmal von meinem letzten Interview erzählen: Zu einem bestimmten Termin warf die Entwicklung bei einer Firma - es handelt sich um einen Automobilhersteller - eine Menge Fragen auf. So bemühte ich mich um ein Interview mit dem Firmenchef. Frage des Pressechefs: "Zu welchem Thema?" - "Zum Thema Automobil, natürlich", war meine Antwort. Aber man wollte das schon etwas genauer wissen. Da ich mich aber nicht begrenzen lassen konnte und wollte, da sich nach meinem Verständnis von einem Interview die nächste Frage immer aus der Antwort vorher ergibt, sah man bei der angefragten Firma schon Probleme. Ein solches Interview setzt nämlich voraus, daß der Firmenchef alle die Probleme seiner Firma kennt, um alle Details weiß, eben ein richtiger Chef ist.

Und so hörte ich nach Tagen dann auch, daß "der Chef" dem Interview zwar zustimmen würde, aber nur unter der Bedingung, daß er seine Fachleute um sich scharen könne. Und ich mußte zustimmen, daß die Antworten dieser Fachleute im Interview als die Antworten "des Chefs" dargestellt würden.

Natürlich habe ich mich gefragt... - aber ich habe zugestimmt. Und dann mit vielen, vielen Fachleuten - und "dem Chef" - das Interview gemacht. Es ging über rund zwei Stunden. Motorsport, Sicherheit, Umwelt, alles kam vor. Ein wunderbares, ein aussagekräftiges Interview.

Nur hat man mich dann gebeten, es nicht zu veröffentlichen, weil es - trotz aller Fachleute - "den Chef" nicht gerade gut aussehen ließ. Und die Firma natürlich auch nicht.

Weil es - nach seiner eigener Darstellung - hier um das Überleben eines (exakter: zwei) Manager in dieser Firma ging, habe ich zugestimmt und das Interview in den Papierkorb geworfen. Das war mein letztes Interview. Und der, der es mit Bitten und Betteln (!) verhinderte, hat es immer in seinem Schreibtisch als als Beweis für eine seiner besonderen Leistungen griffbereit liegen gehabt.

Nicht alle Interviews sind "so schlimm". Aber sie oft sind entlarvend, wenn man ihre Entstehung kennt. Ich wußte damals nicht, warum ich mir das noch länger antun sollte, mit Managern zu sprechen, die offenbar nur eine unvollkommene Ahnung von dem haben, was sie eigentlich verantworten. Die meisten (nicht alle) sind von denen abhängig, die ihnen zuarbeiten. - Das ist leider so. Automobil-Manager müssen heute schließlich nicht mehr unbedingt etwas vom Automobil verstehen.

Ist es da ein Wunder, daß in der Automobilindustrie nicht alles rund läuft. Daß aber alles "rund" aussieht, darum bemühen sich die Öffentlichkeitsarbeiter und Pressechefs. Und es gelingt Ihnen ja auch oft.

Als jetzt Daimler-Benz die 19 Prozent Restanteile an MCC, dem Smart-Unternehmen, auch noch übernahm, da dachte ich, daß das doch eigentlich wirklich Stoff für ein Interview hergeben müßte. (Warum lesen Sie in einer anderen der aktuellen Geschichten.) - Aber ich habe die Interview-Idee wieder verworfen, zumal an einer Schlüsselstelle in dieser Firma ein Pressechef sitzt, den ich schon lange Jahre kenne. Gut kenne. - Nur zu gut kenne!

Aber so entstand dann die Idee zu einem Interview-Spaß, den ich - ganz ernsthaft - dem Pressechef dieser Firma, der Abteilung Presse Pkw Mercedes-Benz, z.Hd. Herrn Wolfgang H. Inhester, auf folgende Art vorgetragen habe:
 

"Lieber Herr Inhester,

nach meinen Beobachtungen in den letzten Jahren muß ich Sie den besten Interview-Bearbeitern dieses Landes zurechnen.

Sie haben nicht nur in einem Schrempp-Interview erfolgreich 'Fettnäpfchen' vermieden, sondern evtl. in anderen Interviews gleich ganze Fragen (und natürlich auch die Antworten) gestrichen.

Da taucht bei mir die Frage auf: Warum machen wir eigentlich die Interviews nicht gleich ohne die Interviewten? - Das würde doch Schrempp & Co. wertvolle Managementzeit ersparen.

Und so finden Sie als Anlage einen Interview-Entwurf, in dem ich nicht nur die Fragen stellte, sondern für Herrn Schrempp auch die Antworten aufbereitete. Das Thema - ganz aktuell - ist Smart. Ich habe versucht, sowohl das Niveau des Fragestellers (typischer Aldi-Käufer) als auch das des Interviewten (hochgebildet, Zweitwohnsitz in Südafrika) zu treffen.

Ich möchte Sie nun bitten, dieses Interview mit der ganzen Erfahrung, die Sie auf diesem Gebiet haben, zu überarbeiten und mir die korrigierte Version wieder zuzufaxen. Meine Fax-Nr. ist 02656-8282.

Ich wäre Ihnen für eine schnelle Erledigung dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

gez. W. Hahne"

... es folgt der Entwurf zu dem - bisher - fiktiven Interview

Nur eine gute Stunde später hatte ich die Antwort. Sie ist so gut, wie man das von einem Profi wie Wolfgang Inhester erwarten kann. - Bravo! - Und natürlich soll sie nachstehend auch in vollem Wortlaut zu lesen sein:
 
"Lieber Herr Hahne,

lassen Sie mich zunächst einmal Ihnen in aller Bescheidenheit herzlich danken für das großartige Kompliment, das Sie mir gleich im ersten Absatz Ihres Schreibens gemacht haben - so war es mir bisher wirklich nicht bewußt, es übertrifft selbst meine kühnsten Hoffnungen.

Entsprechend motiviert bin ich natürlich sofort an die Bearbeitung des von Ihnen vorgelegten Interviews gegangen und - lassen Sie es mich mit aller Zurückhaltung an dieser Stelle formulieren - bitter enttäuscht worden:

Die Fragen sind völlig inakzeptabel und müßten entweder komplett gestrichen oder völlig neu formuliert werden!

Da dies ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit wäre und mir dazu auch noch die fachliche Kompetenz fehlt, kann ich eine Freigabe leider nicht erteilen.

Außerdem - und das wissen Sie als guter Rechercheur selbstverständlich - liegt die Pressearbeit der Marke Smart in den Händen meines Kollegen Dr. Harry Roegner.

Ich bin überzeugt, daß Sie beim nochmaligen Lesen Ihrer Fragen für meine Haltung vollstes Verständnis haben und verbleibe (als ehemaliger Journalist)

mit kollegialen Grüßen

gez. Wolfgang H. Inhester"

Wolfgang H. Inhester gibt damit zu, daß er in der Vergangenheit auch nicht vor "massiven Eingriffen in die Pressefreiheit" zurückschreckte. Aber er hat sich nun wohl gebessert. Und was die Arbeit des Kollegen Dr. Harry Roegner betrifft, so ist die nicht nur zeitlich (31.12.1998) begrenzt, sondern... - Aber lassen wir das.

Damit die Leser von Motor-KRITIK wissen, was Wolfgang H. Inhester an meinem Interview-Vorschlag bekrittelt, folgen jene Fragen und Antworten, die Inhester vorlagen. - Wäre es nicht ein schönes Interview geworden?:
 

"Entwurf

... zu einem Interview, das Wilhelm Hahne (Motor-KRITIK) nicht mit Jürgen E. Schrempp (Daimler-Benz) führte. Aber das ein aktuelles Thema - Smart nämlich - auf interessante Weise behandelt.

Nachstehend die möglichen Fragen und Antworten. Ein fiktives Gespräch in einem virtuellen Umfeld. Niemals geführt, aber wahnsinnig ausdrucksstark.

"Um Power zu feelen, brauche ich Trouble!"

Frage: Mister President, you are... - oder dürfen wir  - anders als in Ihrem Konzern nun üblich, unsere Fragen auch in Deutsch formulieren?

Antwort: Yes, please.

Frage: Thank you, auch for coming.

Antwort: Oh bitte, mir ist es wirklich - wie sagt man auf Deutsch? - ein Vergnügen, mit Ihnen über die Problematik des Smart-Projekts zu plaudern.

Frage: Lassen sie mich also hart einsteigen: Warum haben Sie die letzten 19 Prozent an MCC, jene 19 Prozent, die Ihnen noch an 100 Prozent fehlten, nun von Hayek, dem schnellen Brüter in Sachen Smart-Projekt, gekauft?

Antwort: Lassen Sie es mich so formulieren: Um Power zu feelen, brauche ich Trouble!

Frage: Wunderbarer Einstieg! Das wäre dann direkt der Titel zu unserem Interview. - Wie sehen Sie denn das Smart-Projekt derzeit? - Können Sie es für unsere Leser irgendwie zuordnen?

Antwort: Smart, das ist derzeit ein unvollendetes Projekt der Moderne, eigentlich also mehr ein Antikenprojekt zum Thema Dreiliter-Auto, wobei ich mich hier im Hinblick auf eine präzise Definition auf die gute alte Atridentrilogie des Aischylos beziehen möchte.

Frage:  Und wie wird sich - nach Ihrer Einschätzung - das Projekt in Zukunft entwickeln?

Antwort:  Smart wird sicherlich einmal als Beitrag zum Selbstverständnis einer Epoche elaboriert werden, während es jetzt für uns - auch nach der Komplett-Übernahme durch den Markenverbund DaimlerChrysler - eher als Projekt der Herausforderung empfunden wird.

Frage: Liest man aber, wie die Presse in den letzten Wochen den gegenwärtigen Smart in seinen Praxisleistungen beurteilte, dann...

Antwort: Entschuldigen sie, wenn ich Sie unterbreche. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Lassen Sie mich Ihre nicht vollkommen gestellte Frage - Wer ist schon vollkommen?  (lacht: hah-haha!) - so beantworten: Ich weiß, daß dieses Projekt von einschlägigen Kreisen als nutzlos und deshalb als das ästimierteste Nullphomen der letzten Jahre empfunden wird. Wir betrachten Smart aber zunächst einmal - aber das nicht nur - als "3. Marke". Ich meine das aus der Sicht von Professor Hubbert, der das operative Tagesgeschäft auf dem Mercedes-Pkw-Sektor leitet. Er glaubt - und ich glaube es auch - daß wir als Firma Mercedes mit der A-Klasse die größtmögliche Spreizung im Modell-Mix erreicht haben.  Gleichzeitig ist Smart aber unser Einstieg in die - in unsere - Qualifizierungsoffensive des 21. Jahrhunderts. Als Konzern.

Frage: Aber ist es nicht eigentlich eine zu große Belastung für den Konzern, schmälert es nicht Gewinne, beeinflußt den Shareholder Value negativ, verdirbt die von Ihnen intelligent betriebene Bilanzkosmetik?

Antwort: Das Projekt wird nicht nur den Konzern belasten, sondern ihn gleichzeitig strahlen lassen. Und wenn ich Konzern sage, dann meine ich den Gesamtkonzern in seiner multikulturellen Verbindung. Die Fundamentaldaten sind positiv, die Risiken bewegen sich auf makroökonomischer Größenordnungsebene. Außerdem gibt es schon derzeit im Gesamtkonzern eine Querschnittszuständigkeit für dieses Top-Projekt. Und warten Sie es ab: die momentan noch vorhandenen Detail-Probleme werden in einem Quick-Trip beseitigt werden. Smart wird unseren Konzern niemals in eine ökonomische Schieflage bringen können.- Und vergessen Sie bitte nicht: Strategisch wichtige Investitionen oder Akquisitionen müssen sich nicht gleich im ersten Jahr rechnen. Smart wird den langfristigen Geschäftswertbeitrag stärker honorieren als den kurzfristigen.

Frage: Sie haben den - bisher - fehlerlosen transatlantischen Merger inszeniert. Logisch, daß Sie viele Dinge auf makroökonomischer Ebene sehen müssen. Wie sehen Sie z.B. die Probleme um die Preisgestaltung beim Smart

Antwort: Unserem Konzern wird es rasch gelingen, die Preisbruchproblematik auf europäischer Ebene im Sinne einer Preisbruchvergütung zu lösen. Die Preisgestaltungsfrage kann uns nicht in eine Systemkrise stürzen.

Frage:  Bitte entschuldigen Sie, wenn wir Ihnen auf grund fehlender schulischer Voraussetzung nicht ganz folgen können. Wir möchten darum nachfragen: Was bedeutet das für den Kunden?

Antwort: Wir werden mit dem Smart für den Kunden einen postmateriellen Wert schaffen, was seine Gesamtbefindlichkeit auf postkopernikanische Höhen heben wird, aber gleichzeitig wird das - und das ist nicht unwichtig - den uns entstandenen wirtschaftlichen Schaden in der Anlaufphase des Super-Projekts minimieren helfen.

Frage: Wenn sie von "Anlaufphase" sprechen, dann meinen Sie jenen Zeitraum, in dem eigentlich mit dem Smart - außer in der Entwicklungsabteilung - nichts lief?

Antwort: Ich finde das unkorrekt formuliert. Lassen Sie es mich korrekt so sagen: Wir hatten eine Wertsteigerungspause eingelegt, weil es uns wichtig erschien, das Projekt aufzuwerten. Wir wollen eben nicht nur gewichtige, sondern auch wichtige - und ich meine damit wichtigste - Automobile im Programm haben. So wie auf Jaguar Februar folgt, folgt auf Maybach Juni und auf die A-Klassse der Smart.

Frage: Ja - und auf Ihre Fehlentscheidungen bei der Dasa, z.B. Fokker,  folgen nun die bei Smart? - Wenn wir davon ausgehen, daß Herr Hayek schließlich....

Antwort: Genau das ist es, Herr Hahne! - Der Smart soll nicht als verwehter Reflex der Macher-Ideelogie eines Uhrmachers, sondern sozusagen als schneller Sattmacher,  als sahnefrische Doppelrahmstufe einer postphallischen Männlichkeit empfunden werden. Und die wird bestimmt von der Power ihrer Macher. Also von mir! - Wir müssen jetzt auch Opportunities nutzen.

Frage: Das klingt überzeugend. Und wie stellen Sie sich die Schritte dahin vor?

Antwort: Wir möchten den Smart penetrant popularisieren, um insgesamt eine professorale Schwerkategorie von Ansprüchen zu erfüllen, wie sie der derzeitigen Existenzphilosophie entsprechen.

Frage: Und wenn Sie nun am Ende unsere Gesprächs den Begriff  Smart noch einmal deuten sollten, wie würden Sie das in einem Satz formulieren?

Antwort: Smart, das ist aus meiner - aus unserer - Sicht quasi ein Großraumdekorations-Element zum Erfüllen von Grunddaseinsfunktionen in dem immer enger gewordenen Freiflächenentwicklungsplan unseres Lebens. - Nicht mehr und nicht weniger!

Schlußbemerkung des Fragenden: Danke für dieses Gespräch und diese hintergründige Einsicht in Ansichten, die wir vordergründig bisher nicht wahrnehmen konnten. - Wir haben verstanden. - Danke! - Es reicht!."

So lustig sich das alles liest: es hat einen ernsten Hintergrund. Diese Geschichte sollte darum eigentlich nur einen Anlaß zum Nachdenken (und Zurückdenken an evtl. eigene Interview-Erfahrungen) sein.

Und vielleicht mache ich ja irgendwann wieder ein Interview. Aber dann nur mit jemand, der auch etwas von dem versteht, was er verantwortet. Und ohne nachträgliche Korrektur seiner ursprünglichen Aussagen.

MK/Wilhelm Hahne