Für Sie heute noch einmal gelesen: "rallye + racing", Ausgabe Nr. 1, vom 1. August 1966

Unsere Zeit ist schnelllebig. Wir vergessen schnell. Dabei täte uns die Erinnerung an Situationen, Probleme - und Problemlösungen - vergangener Tage oft ganz gut. Motor-KRITIK stieß beim Suchen nach ganz anderen Unterlagen - wirklich zufällig - auf die 1. Ausgabe von "rallye + racing". Natürlich ist die nicht mehr mit der von heute zu vergleichen. Weil damals noch Dinge in der Zeitschrift mit diesem auch heute noch bekannten Titel zu lesen waren... - Also lassen Sie uns doch mal blättern. Und zitieren. Und uns wundern. Erkenntnis:

Offene Worte waren zu allen Zeiten selten - aber darum wichtig

98-12-12/04. Diese erste Ausgabe von "rallye + racing" kostete DM 3,00, hatte einen Umfang von 36 Seiten und bezeichnete sich als "Das Magazin für passionierte Sportfahrer". Das Titelfoto zeigte Hubert Hahne (ein Bruder von mir) mit seinem berühmten M-VK 567. - Wenn man einmal überlegt, wie viele Tourenwagenfahrer "mit Profil" es damals gab: de Adamich, Sir John Whitemore, Jacky Ickx und eben Hubert Hahne. Und man konnte diese Fahrer eindeutig bestimmten Fabrikaten zuordnen. Hubert Hahne stand für BMW, de Adamich für Alfa, Ickx für Lotus-Ford-Cortina, wie auch Sir John Whitmore.

Es war - aus der Sicht der Zuschauer - eine wunderbare Tourenwagenzeit. Und in "rallye + racing", Nr. 1, wird man daran erinnert.  Da berichtet ein gewisser Rainer Braun über den "Großer Preis der Tourenwagen" auf der Nürburgring-Nordschleife, das ADAC-6-Stunden-Rennen. Interessant die Klassenaufteilung: bis 700 ccm, bis 850 ccm, bis 1000 ccm, bis 1300 ccm, bis 1600 ccm, bis 2000 ccm und über 2000ccm.

Wie sich doch heute alles nach oben verschoben hat: Ob man sich bald nicht mal wieder an die alten "kleinen Klassen" erinnern sollte? Drei von sieben Klassensiegern fuhren damals Veedol-, zwei BP-, einer Shell- und einer Castrol-Öl. Und alle waren auf Dunlop-Reifen unterwegs. Und man erfährt, daß es bei BMW "green spot", bei Alfa "white spot" (eine weichere Mischung) im Einsatz war und daß Alfa mit der gewählten Mischung zum Schluß ohne weiteren Wechsel durchgefahren wäre, hätte man Konkurrenzdruck verspürt. Aber Hahne/Mairesse hatten einen Felgenbruch, Whitmore/Gardner verloren ein Rad, Ickx/Hawkins verloren ein Rad und auch Ben Pon/Pfuhl (Mercedes 300 SE) mußten nach einem verlorengegagenen Rad suchen.

Das liest sich fast wie ein Bericht vom 24-Stunden-Rennen 1999. Dabei steht das uns erst bevor. Waren 1966 die Felgen der Beanspruchung (Stahlfelgen!) nicht gewachsen, so werden es 1999 oftmals die Radaufhängungen sein. Alles kehrt wieder, weil niemand bereit ist, aus den Lehren der Vergangenheit zu lernen.

Nur so zum Vergleich mit dem VLN-Langstreckenpokal, wo um 120 startende Fahrzeuge schon als "sehr wenig" empfunden werden: beim 6-Stunden-Rennen 1966 starteten 81 Fahrzeuge, wovon 37 das Ziel in Wertung erreichten.

Im "Lieber Leser" auf Seite 4 der ersten Ausgabe von "rallye + racing" hatte der Herausgeber Obering. A.W. Mantzel versprochen: "Sie werden finden, daß wir kein 'Tabu' kennen, daß wir also das sagen wollen, was man in anderen Zeitschriften nicht erfährt, um nicht 'anzuecken'."

Also blättern wir mal in Heft 1. Und tatsächlich steht schon auf Seite 10 eine sehr kritische Geschichte, die sich mit der Kritik eines Mr. Nader (wer kenn den noch?) an Heckmotor-Automobilen, wie z.B. dem VW Käfer beschäftigt. Zitat: "Von VW sagt Mr. Nader schlankweg, er sei ein krasser Übersteurer, habe unzureichende Bremsen, beschleunige in Notfällen lahm, sei schlecht belüftet, sein Tank sei unsicher gebaut und die Sichtverhältnisse seien nicht ausreichend."

Und es wird auch auf die VW-Argumentation eingegangen. Zitat: "Und was die Äußerungen von VW anbelangt, so sind auch diese zu sehr verallgemeinert und gehen am Kern der Sache vorbei. Die Behauptung, der VW sei nicht unfallträchtiger als andere Autos, ist nicht beweisbar, sie ist nicht mehr als eine Schutzbehauptung."

An anderer Stelle ist zu lesen: "'Sicherheit verkauft sich schlecht' - so sagten die Marktforscher der Automobilindustrie bisher -, Chrom verkauft sich besser. Diese Unterschätzung zumindest des europäischen Publikums hat sich gerade bei unseren Werken schlecht ausgewirkt, denn inzwischen kennen wir Automobile aus anderen europäischen Staaten, die in punkto Fahrsicherheit teilweise richtungsweisend für die gesamte Entwicklung wurden. Bei uns hat man zur Zeit bei den großen Firmen hier nicht viel entgegenzusetzen - unsere kleinen Firmen sind in dieser Beziehung weiter als die Giganten."

Daß man bei General Motors sich immer schon mächtig fühlte und sich auch entsprechend benahm, ist einer anderen Textpassage zu entnehmen, wo aber auch zu lesen ist, daß damalige Präsidenten dieses Automobil-Giganten zumindest Format hatten. Zitat: "Mr. Nader wurde erst richtig bekannt, als es herauskam, daß die von ihm angegriffene Industrie mit allerlei Machenschaften versuchte, in seine Intimsphäre einzudringen, ihm Fallen zu stellen und ihn, abseits vom Sachlichen, zu Fall zu bringen." - Das kommt sicherlich nicht nur mir, sondern auch dem Herausgeber von "PS-report" bekannt vor. Aber damals, in den 60er Jahren, ging die Sache so weiter:

"Dies gelang aber nicht, und kein Geringerer als der Präsident von General Motors persönlich mußte vor dem Senatsausschuß in aller Form eine Ehrenerklärung, verbunden mit einer Entschuldigung, aussprechen."

Das waren noch Zeiten! - Und in "rallye + racing" werden auch die Aussagen des Herrn Prof. Nordhoff (damals VW-Chef) zu den Vorwürfen des Herrn Nader kommentiert. Zitat: "So einfach, Herr Nordhoff, geht das nicht - und 12-millionenfache Fehler werden durch ihre Häufigkeit nicht besser!" - Und zum Schluß seiner Geschichte faßt Obering. A.W. Mantzel zusammen: "Wir wünschen Herrn Professor Nordhoff für die letzten Jahre seines Wirkens bessere technische Informanten - diejenigen, die ihm die Überzeugung vermitteln, der VW sei das beste Auto der Welt, sind wahrscheinlich ebenso schlecht wie dessen Fahreigenschaften."

Wenn man die Aussagen anderer Publikationen in der gleichen Zeit zum gleichen Thema kennt, muß man sagen: Mutig, mutig!

Es gibt in der Nr. 1 von "rallye + racing" auch einen Test. Man prüft einen BMW 2000 TI. Es ist ein Fahrzeug, das Obering. A.W. Mantzel gekauft hat. Es dient u.a. als Zugfahrzeug beim Transport eines Renntourenwagen. Mantzels Sohn fährt nämlich zu dieser Zeit einen Abarth Corsa 1000. - Erinnern Sie sich noch an dieses beeindruckende Sportgerät mit der aufgestellten hinteren Motorhaube? - Der Testbericht über den BMW 2000 TI ist eigentlich kein Test von der Art, wie man ihn heute in den Fachblättern findet, sondern ein echter Erfahrungsbericht, der z.B. auch die Werkstatterfahrungen mit einschließt.

Weiter wird in "rallye + racing", 1. Ausgabe, der "Anhang J", der internationalen Sportgesetze kommentiert. "Reif für den Papierkorb" ist der Titel. Aber man kritisiert nicht nur, sondern macht auch Vorschläge, wie man alles besser machen könnte.

Ein paar Zitate: "Wir sind der Auffassung, daß ein moralischer Niedergang im Motorsport - wenigstens zum Teil - auf Reglements zurückzuführen ist, die viel zu kompliziert sind, um kontrollierbar zu sein. Überschaubare Bestimmungen sind dringend erforderlich, wenn sowohl die überhandnehmenden Mogeleien, wie auch die ebenfalls überhandnehmenden Proteste von Fahrern gegeneinander auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden sollen."

Das hätte auch heute geschrieben werden können. Obering. A.W. Mantzel kam damals zu der Erkenntnis, daß eine Einstufung nach Hubraum nicht mehr zeitgemäß ist, daß auch ein "Leistungsgewicht-Faktor" nicht ausreicht, sondern daß man nach seiner Meinung für jedes Fahrzeug eines Fahrleistungsziffer errechnen müsse, die sich für Rallyes und Rundstreckenrennen für das gleiche Fahrzeug ein wenig unterschiedlich errechnete.

Und man wird als Leser im Jahre 1998 daran erinnert, daß schon damals - 1966 - das für Le Mans gültige Reglement so manche vernünftige Anregung lieferte. In "rallye + racing" ist zu lesen: "Schließlich sollte man auch die Einführung von Kompressoren und Ladegebläsen erlauben und damit ausgestattete Fahrzeuge nach der bewährten Le-Mans-Formel in einer Klasse einstufen, deren Hubraum dem 1,3-fachen des tatsächlichen Motorhubraums entspricht."

Das Schlußwort der Mantzel-Betrachtung könnte man auch den heutigen Sportfunktionären vorhalten. A.W. Mantzel schreibt: "Mit serienmäßigen Fahrzeugen möchten wir auch dem weniger begüterten Mann, der den Sport liebt, sich anständig verhält und gut autofahren kann, eine Chance zum ehrlichen Wettkampf eröffnen. Modifizierte Fahrzeuge sollen durch entsprechende, überschaubare Bestimmungen ebenfalls ehrlich gemacht werden - und alles dies auch dann, wenn die FIA oder die CSI zunächst einmal beleidigt sein sollte. Uns ist der ehrliche Motorsport lieber als die falsche Rücksicht auf Leute, die offensichtlich den notwendigen Kontakt mit der Praxis des Motorsports schon seit Jahren verloren haben."

Ja, es macht einfach Spaß, in dieser alten Fachzeitschrift zu lesen. Da werden u.a. auch Fehlleistungen von Fahrern "Am Pranger" beschrieben. "Wir sind für Sauberkeit und Ritterlichkeit im Sport", heißt es in einem Vorwort zu den dann folgenden Beispielen. Wenn man eine solche Darstellung einmal mit jenen Informationen vergleicht, die uns heute in Fachzeitschriften geboten werden... - Schade, daß es keine "rallye + racing" mehr gibt. Wobei natürlich ein Titel ähnlichen oder gleichen Namens keine Gewähr für eine kritische Berichterstattung bietet.

Mir hat es Spaß gemacht, in dieser 32 Jahre alten Zeitschrift nicht nur zu blättern, sondern auch zu lesen. Und manches wäre auch heute noch tagesaktuell. - Leider. - Manche Probleme bleiben offensichtlich immer dieselben, verändern sich nur leicht. Nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch im Motorsport.

"rallye + racing" lieferte dafür ein paar gute Beispiele, eine Zeitschrift, die eigentlich "Der Sportfahrer" heißen sollte. Aber wie auf Seite 4 zu lesen, mußte dieser Titel "aus Titelschutzgründen" in "rallye + racing" abgeändert werden. So begann also damals diese Zeitschrift ihren Weg. Der führte noch über einen weiteren Verlag (wenn ich mich recht erinnere) dann zu Springer. Und jetzt wird das Blatt auf viel besserem Papier als damals gedruckt. - Leider kommt es nicht nur darauf an.

MK/Wilhelm Hahne