"First man, then maschine", ist das Motto der Honda-Pressemappe zum neuen HR-V

Hans Wilhelm Gäb, einst ein hervorragender Tischtennis-Spieler, später auch ein genauso guter Vice-President (nicht zu verwechseln mit Vize-Präsident!) bei GM, konnte sich über kritische Geschichten die seine Firma betrafen schon sehr ärgern. Vor allen Dingen dann, wenn eine solche Geschichte z.B. eine Opel-Presseinformation betraf. "Was soll das? - Wen interessiert das?", fauchte er 1994 in Genf einmal den Autor dieser Geschichte an. - Und er hatte recht. - Wer interessiert sich schon für Presse-Mappen und ihren - oft - umfassenden Inhalt? - Wer liest so etwas wirklich aufmerksam? - Was Wilhelm Hahne aber nicht davon abhält, jede Pressemitteilung so ernst zu nehmen wie z.B. auch Hans Wilhelm Gäb. Der war übrigens eigentlich - aus anderer Sicht betrachtet - auch so etwas wie eine personifizierte Pressemitteilung seines Konzerns. Ein Sprachrohr. Aus dem auch oft Worthülsen kamen. Besonders schöne sind gerade in der akutellen Honda-Pressemappe zum neuen HR-V zu lesen:

"Multifunktionales Kompaktmodell" mit "innovativem Styling"

99-01-31/02. Mit diesen schönen Worthülsen ist weder Arnold Schwarzenegger noch Hans Wilhelm Gäb gemeint, sondern wird der neue Honda HR-V beschrieben, das "kompakte Multitalent". Honda, Offenbach hat viel Geld in eine formal gute Pressemappe investiert. Da fehlt weder die Diskette mit dem kompletten Presse-Text (zur bequemen Bearbeitung in Journalisten-Computern), noch eine Foto-CD.

Aber leider hält der Inhalt nicht, was die Fassade verspricht. Manches deutet darauf hin, daß die Macher bei Honda z.B. auch das aufwiesen, was sie als Vorzug des HR-V besonders herausstellen: "eine ausgeprägte Kopffreiheit".

So habe ich z.B. beim Lesen der Presseinformationen drei unterschiedliche Werte für das maximale Drehmoment des 1,6 l-Motors hinnehmen müssen: 135 Nm bei 3.400 Umdrehungen, 135 Nm bei 3.500 und 140 Nm bei einer Drehzahl von 3.600 Umdrehungen der Kurbelwelle. - Was denn nun? - Technische Daten sind eigentlich eine feste Größe.

Warum beschleunigt der neue Honda HR-V das eine Mal (immer mit Fünfganggetriebe) in 12,1 sec von Null auf 100 km/h, das andere Mal benötigt er 12,0 sec. - Aber wir wollen nicht kleinlich sein. - Trotzdem: wurde der Text nicht gegengelesen, die Daten verglichen?  - Tolerieren wir diese Fehler als Flüchtigkeitsfehler.

Es ist aber nicht zu tolerieren, wenn durch die kreativen Worthülsengestalter der Honda-Pressemappe dem neuen HR-V eine Einzelradaufhängung angedichtet wird. Zitat: "Alle vier Räder sind einzeln aufgehängt: Die vorderen werden an MacPherson-Federbeinen geführt, die hinteren an einer De Dion-Konstruktion." - Weiß man bei Honda nicht, was eine De Dion-Hinterachse ist? - Aufklärung: es ist eine verfeinerte Art der Starrachse, bei der der Endabtrieb (Differential) getrennt von der Achse am Chassis befestigt ist. So nimmt der Fahrzeugboden praktisch die Antriebsmomente auf und die ungefederten Massen verringern sich erheblich. Diese Fahrwerklösung wurde übrigens 1896 von den Herren De Dion und Bouton erfunden und fand besonders bei sportlichen Automobilen Verbreitung.

In einem anderen Kapitel der Presseinformation machen die Honda-Leute auch deutlich, daß "das Hinterachsdifferential ... unabhängig von der Radführung direkt mit der Karosserie verschraubt" ist, "was die ungefederten Massen um rund 30 Prozent reduziert", verkündet man. Aber man vergißt darauf hinzuweisen, daß das eben bei einer De Dion-Achse immer so ist. Und das eine Einzelradaufhängung in bestimmter Hinsicht noch besser wäre.

Ein anderes Argument für eine hintere Starrachse (gleich welcher Art), das gerade bei einem Fahrzeug, das auch im Gelände unterwegs sein kann eine Rolle spielt (es betrifft die Praxis-Bodenfreiheit bei unebenem Gelände) wird in der Honda-Pressemappe gar nicht aufgegriffen. Man weist wohl darauf hin, das der neue HR-V "von seiner großen Bodenfreiheit (175 mm)" profitiert, wenn er mal "im leichten Gelände" unterwegs ist. Weiß man in Offenbach eigentlich, daß selbst eine Repräsentations-Limousine wie der große, alte Rolls Royce eine Bodenfreiheit von 160 Millimetern hat? - Dieses Maß ist nicht so entscheidend bei einem Geländewagen. Entscheidender ist da die Wahl der Hinterachse. - Aber warum soll ich Honda eine vernünftige Argumentation für die verwendete de Dion-Hinterachse gegenüber einer hinteren Einzelradaufhängung vorkauen?

Bei Honda weist man stolz darauf hin: "Im Vergleich zu herkömmlichen Fließhecklimousinen der Kompaktklasse steht den Insassen vorn und hinten deutlich mehr Raum im Schulter- und Beckenbereich zur Verfügung." - In der technischen Tabelle findet man dann die Auflösung für das "Raumwunder" Honda HR-V: "4 Sitzplätze". - Bei den Limousinen, die hier zum Vergleich herangezogen wurden, werden meist 5 Sitzplätze angegeben. Da wird's dann tatsächlich schon enger.

Interessant ist auch die Zielgruppe die Honda mit dem neuen HR-V anpeilt: "Junge Käufer mit aktivem Lebensstil." Bei Honda glaubt man daran, daß die so zu erkennen sind: "Sie vertreten ihre Ansichten bewußt und engagiert und scheuen sich nicht vor klaren Bekenntnissen." - Wenn Honda von denen leben müßte, ginge es Honda in Zukunft schlecht, denn dieser Typ ist leider in der modernen Berufswelt nicht sehr häufig anzutreffen. - Vielleicht an Stammtischen, in Diskos, in Tennis- und anderen Clubs; eben an allen Orten der "ungefährlichen Selbstdarstellung". Aber im Beruf, da "ist der Schnee schwarz", wenn der Chef das so sieht.

Die Honda-Pressemappe ist ein schönes Beispiel dafür, daß man das, was in solchen Presseinformationen zu lesen ist, nicht so ernst nehmen sollte. Hans Wilhelm Gäb hatte schon recht: Da ist eigentlich jede Kritik überflüssig. Nicht nur bei Opel-Pressemappen. - Wen interessiert das schon?

Trotzdem: Honda ist schließlich nicht der einzige Automobilherteller auf der Welt, der Pressemappen erstellen läßt. Und sollte auch hier nur als kleines Beispiel dienen. Motor-KRITIK hätte auch z.B. den "30 Innovationen" der neuen Mercedes S-Klasse nachgehen können, von denen in der DaimlerChrysler-Pressemappe gesprochen wurde. Auch DaimlerChrysler läßt in Pressemappen "erfinden" und schreiben. Und es wird abgeschrieben. Schließlich kommt es aus einer zitierfähigen Quelle. - So einfach läßt sich heute Blödsinn verbreiten.

Doch zurück zu Honda: Auch wenn man in der Honda-Pressemappe eine Menge Worthülsen bemüht, falsche Daten nennt, falsche Erklärungen abgibt; so wird das alles nicht den Verkaufserfolg des neuen Allzweckfahrzeuges verhindern können. Andererseits: wenn es keine Honda-Pressemappe zum HR-V gegeben hätte, würde das Automobil, das neue "multifunktionale Freizeitfahrzeug mit Allradantrieb, Honda HR-V,  trotzdem zum Verkaufserfolg. - Das ist eine Motor-KRITIK-Vorhersage.

MK/Wilhelm Hahne