VW testete fünf Arbeitstage auf der Nürburgring-Nordschleife fürs 24-Stunden-Rennen

Für eine große Firma ist es unmöglich, aus dem Stand gleich in die Pole-Position zu sprinten. Wenn es sich um eine Autmobilfirma handelt und den Motorsport. Alles braucht seine Zeit. Weil man auch Erfahrung nur über die Zeit gewinnen kann. Wer sich intensiv bemüht, kann weiter kommen als jener, der den Motorsport "nur so nebenbei" betreibt. Und bei VW wird unter Firmenchef Ferdinand Piech nichts "so nebenbei" gemacht. Aber die Organisation bei VW scheint von den Anforderungen ihres Chefs überfordert. Und niemand macht den Mund auf. Und manchmal sind auch wohl die richtigen Leute in der falschen Position. Und umgekehrt. Das Beobachten der Nürburgring-Versuche (in Verbindung mit dem Wissen um andere Dinge) war sehr aufschlußreich. Alle haben es sicherlich gut gemeint. Aber durch scheinbar intelligente Lösungen können kann aus 1 minus 1 plötzlich 2 werden, weil im Motorsport so manche andere Formel gilt.

Ein Problem gelöst = Problem verdoppelt

99-03-18/02. Natürlich wußte ich, daß VW die Nordschleife - und nicht nur die - sondern auch noch den Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings für Tests angemietet hatte. Bei der Nürburgring GmbH glaubte man wohl, daß die VW-Leute da "ein wenig rumrodeln" wollten. Denn auf dem Grand-Prix-Kurs gab es zu der Zeit Tiefbauarbeiten. Man würde also die Baustellen markieren und die VW-Tester könnten dann bequem darum herum fahren.

Pustekuchen. VW hatte die Strecke gemietet und bestand darauf, hier wirklich einen Renneinsatz simulieren zu können. Schließlich wolle man sich mit bestimmten Fahrzeugen auf das 24-Stunden-Rennen vorbereiten, einen Langstreckentest (wenn auch mit zeitlichen Unterbrechungen) vornehmen. Also mußte der Bauunternehmer seine Baustellen abräumen.

Der Aufwand, den VW hier beim Testen betrieb, war schon erheblich. Immerhin waren insgesamt um 60 Leute in die Eifel gekommen. Mit einem Troß an Fahrzeugen. Und wenigen Wettbewerbswagen. Die Fahrzeuge um die es eigentlich ging, waren der Golf IV-Diesel, ein Bora-Diesel und ein Golf IV-Kit-Car. Außerdem hatte man einen Polo Gruppe N mit dabei und einen Lupo. Vom Lupo wurde gesagt, daß es sich um ein 1,4 l-Modell handeln würde.

Leider konnte ich das nicht exakt überprüfen, da dieser Lupo schon am ersten Testtag verunfallte. Ich persönlich hätte ihn für einen 1,6 Liter gehalten. Wie es zu dem Unfall kam, ist schon ein wenig typisch für die Gesamterfahrung der VW-Mannen im Motorsport.

Da die Firma Abt am Aufbau des Lupo erheblichen Anteil hatte und auch durch einen ihrer Meister am Nürburgring vertreten war, wollte man diesem die Möglichkeit geben, einmal "seine Arbeit" in der Fahrpraxis auf einer richtigen Rennstrecke zu erleben. Und so flog dann der Meister von Abt exakt an der Stelle, wo sich viele Nürburgring-Neulinge von der Strecke verabschieden, hinein in die Leitplanken: am "Adenauer Forst".

Auch ich bin schon vor Jahr und Tag während einer Testsitzung z.B. von BMW das damalige DTM-Fahrzeug gefahren. Ohne Zustimmung des Vorstandes oder Anmeldung durch die Presseabteilung. Sondern einfach so. Darum, weil jeder wirkliche Motorsportfachmann weiß, daß ich nicht nur über etwas schreibe, sondern mir gerne - durch eigene Erfahrung - ein eigenes Bild mache. Ich möchte nicht nur schreiben, was mir interessierte Kreise sagen.

Aber selbstverständlich bin ich dann das Fahrzeug am Ende aller Tests gefahren, kurz bevor die Testzeit ablief. Ein paar Runden haben mir ja schon einen Eindruck verschafft. Und für das Team war das dann auch kein Risiko. - Aber ich kann doch nicht am ersten Tag einer fünftägigen Testreihe das einzige Testfahrzeug von einem "Laien" auf einer (offensichtlich) weitgehend unbekannten Rennstrecke pilotieren lassen.

Aber offenbar war der Lupo nicht so wichtig. Denn es hat sich niemand über den Ausfall des Testwagens aufgeregt. Zumindest nicht so, daß mir das aufgefallen wäre.

In der Hauptsache ging es auch wohl darum, die für das 24-Stunden-Rennen vorgesehenen Einsatzfahrzeuge, den Bora-Diesel und das Golf IV Kit-Car auf die Rennstrecke und ihre Bedingungen abzustimmen.

Das Kit-Car wird von einem Privat-Team eingesetzt. Hier waren so um 10 Leute beschäftigt. Und hier wurde auch sehr effektiv gearbeitet. Das Fahrzeug machte einen hervorragenden Eindruck. Ich habe mir das Fahrzeug auf den unterschiedlichsten Streckenabschnitten angesehen und muß sagen: Ich habe noch niemals vorher einen besser liegenden Golf hier am Nürburgring beobachten können. So weich war auch vorher noch niemals zuvor ein Golf abgestimmt. Das wird nun beim Golf IV auch durch die vorhandene größere Spurweite möglich. Und gibt richtig Grip.

In den ersten Gesprächen mit den VW-Technikern habe ich aus meiner Begeisterung für diese Abstimmung auch keinen Hehl gemacht, aber darauf hingewiesen, daß nach meiner Erfahrung nun mit einer erhöhten Beanspruchung der Antriebswellen zu rechnen wäre. - Und es kam dann auch so: die Antriebswellen gaben ihren Geist auf. Aber das ist in den Griff zu bekommen. Auch der auftretende kleine Getriebeärger.

Die Zeiten, die in diesem Falle Kurt Thiim mit dem Fahrzeug fuhr, waren herausragend: 9:37 min. Ohne Zweifel gehört dieser VW damit in diesem Jahr zu den möglichen Gesamtsieger-Autos. - Aber davon dürfte es mindestens so um 20 Stück geben. Es kommt darauf an, bei welchem Fahrzeug die wenigsten Probleme auftreten, welches Fahrzeug die geringsten Standzeiten hat.

Es war auch der Golf IV mit einem Fünfzylinder-Dieselmotor zum Test da. Wie man hört, soll das Fahrzeug so in Italien gefahren werden. Mit 2,5 Liter Hubraum und einer Leistung, die nach meiner Schätzung näher bei 300 als bei 250 PS liegt. Und dem entsprechenden Drehmoment.

Durch das Drängen der VW-Leute ist nun beim 24-Stunden-Rennen die 2.0 Liter-Klasse weggefallen. Die Hubraumgrenze beträgt nun 2,5 Liter. Das geschafft zu haben, darauf ist man nun bei VW besonders stolz. Ich hatte bereits im letzten Herbst den Veranstalter darauf hingewiesen, daß man hier eine große Dummheit begeht, weil man so die Zweiliter-JKlasse eliminiert. Einwand von VW und dem ADAC-Nordrhein: der Zweiliter könne ja auch 100 Kilogramm leichter sein und darum gegenüber dem 2,5 l schon konkurrenzfähig. - Das ist ein Kinderglaube.

Tatsache ist, daß in der normalen Zulassungsstatistik der Zweiliter-Diesel die größte Rolle spielt. Darum müßte diese Klasse auch eigentlich die Ausgangsbasis für einen Einsatz im Motorsport darstellen. In der letzten Saison wäre ein solcher Zweiliter (entsprechend dem geltenden Reglement) mit einem Mindetgewicht von 1000 Kilogramm einsetzbar gewesen. Aber wie man bei VW und auch BMW) weiß, war dieses untere Gewichtslimit nicht zu erreichen. Und wenn, dann hätte das richtig Geld gekostet.

Also hat man jetzt, im neuen Reglement, dieses Gewichtslimit auf 1050 Kilogramm hochgesetzt. Damit der "alte Abstand" zum Zweiliter erhalten blieb, beträgt das untere Gewichtslimit für den 2,5 l-Diesel nun 1150 Kilogramm. Und auf jedem Taschenrechner läßt sich ausrechnen, daß man so - rein rechnerisch (von der möglichen Leistung und Drehmoment) immer einem Zweiliter-Diesel so überlegen sein wird, daß der keine Chance hat. - Bei einem Kurzstreckenrennen mag diese Rechnung aufgehen. Die VW.-Leute werden nun die Feststellung machen müssen, daß sie mit ihrem intelligenten Vorschlag, der auch umgesetzt wurde, nun plötzlich statt einem Problem, plötzlich zwei haben.

Sie haben nun kein Problem mehr, das festgesetzte Mindestgewicht zu erreichen, dafür trotzdem ein Gewichtsproblem. Die 100 Kilogramm Mehrgewicht vergrößern die Fahrwerk- und Antriebsstrangbelastung um ein wesentliches. Und sie erhalten nun noch ein weiteres Problem dazu, das mit dem Gewichtsproblem kumuliert: das erhöhte, zu hohe (!) Drehmoment.

Und das war es auch, was ich beim Bora beobachten konnte. Bis zur vollkommenen Blockade der Antriebsachse. Abgesehen davon, daß schon bei leichtem Berühren des "Grüns" (neben der Strecke), dem Bora vorne alles abfiel. - So baut man keine 24-Stunden-Einsatzfahrzeuge.

An diesem Bora ist noch viel zu tun. Obwohl der sich auch sehr schnell um den (Gesamt-) Ring bewegen ließ. Seine von mir gemessene Bestzeit: 9:27 min. Das ist ein Tick schneller, als es der Zweiliter-BMW im letzten Jahr in seiner schnellsten Runde war. Aber das ist unwesentlich, weil noch etwas anderes hinzukommt:

Die VW-Mannen sind der festen Meinung, daß man im Juni, beim 24-Stunden-Rennen mit Kit-Car und Renn-Diesel deutlich schneller fahren kann, "weil bei den hier derzeit herrschenden Außentemperaturen von plus 5 - 6 Grad die Reifen keinen besonderen Grip aufbauen". - Das scheint logisch, beeinhaltet auch ein Körnchen Wahrheit. Tatsache ist aber, daß bei den im Juni (normalerweise) herrschenden Außentemperaturen die Motoren deutlich weniger Leistung aufweisen, so daß sich der dann herrschende Grip-Vorteil insgesamt mehr hin zu einem kleinen Nachteil verwandelt. - Wir werden es beim 24-Stunden-Rennen beobachten können.

Zeigt sich auch hier die - aus meiner Sicht - relative Unerfahrenheit der VW-Motorsportgruppe, so wird die an einem weiteren Beispiel noch deutlicher:

Da wird am Freitag, am letzten Testtag dann der Golf IV mit Diesel-Motor (auch Fünfzylinder-) noch einmal aufgrund der gemachten Erfahrungen fahrwerkmäßig umgebaut. Gleichzeitig soll auch noch ein Versuch mit einem größeren Turbolader gefahren werden. - Gleichzeitig!

Zu welcher Aussage soll denn da ein Fahrer kommen? - Was soll eine so gefahrene Zeit aussagen? - War der Motor besser? - Brachte die Fahrwerkänderung Vorteile? - Ich habe das mit einem gewissen Kopfschütteln beobachtet.

Und dann fuhr der Rennprofi (der Name tut in diesem Falle nichts zur Sache) mit dem Fahrzeug aus der Boxengasse heraus, fuhr eine "kleine Runde" auf dem Grand-Prix-Kurs um dann "fliegend" auf die große Schleife (wie sie auch beim 24-Stunden-Rennen gefahren wird) zu gehen. - Meine Stoppuhr lief. Nach rd. 12 min auf meiner Uhr gingen dann die Warnlichter auf der Strecke und der Boxenausfahrt an. Alles gesperrt. Also offensichtlich ein Abflug.

Als die VW-Leute dann gegen die Fahrtrichtung auf die Strecke fuhren, war mir klar, daß der Unfall nur gegen Ende der Runde entstanden sein konnte. Also bin ich zur Besichtigung "von außen" an die Strecke gefahren.

Der Unfallort war der Streckenabschnitt "Tiergarten", eine richtig schnelle Stelle. Da wo das Fahrzeug (übrigens nun ein Totalschaden - Fahrer praktisch unverletzt) die Strecke verlassen hatte, wird der Diesel so etwa 250 km/h erreichen. Durch das zuvor erfolgte Tieferlegen schätze ich, daß es hier bei der Kompression, die beim Durchfahren der Talsohle (von richtig bergab wechselt es nach steilbergauf) erfolgt, das Fahrzeug aufsetzte und unkontrolliert abflog. Bis dort wo es zum Stehen kam (gut 100 m weiter) war das Fahrzeug dann insgesamt dreimal eingeschlagen.

Der Fahrer war hier auf dem Gas geblieben (obwohl er von der Qualität dieser neuen Fahrwerkabstimmung schon nach Umkreisen des GP-Kurses nicht überzeugt war), weil er auch zur Leistung des Motors (mit anderem Turbolader) eine Aussage machen sollte, bzw. wollten die Techniker die Max-Daten am Ende der Runde mit dem Computer auslesen können.

Ein völlig unnötiger Unfall. Aber so ist das derzeit bei VW: einer gibt die Anweisung. Und die wird ausgeführt. Egal ob unsinnig oder nicht. Und das geht so von oben nach unten.

Beispiel: Herr Piech sieht im letzten Herbst in Salzburg ein Rennen mit alten VW-Käfern. Wieder in Wolfsburg, fragt er, warum man solche Rennen nicht mit dem Beetle durchführen kann? - Man kann. Sagt man. Also machen. Sagt Piech. - Wer spricht da von Geld?

Es gab bis vorige Woche keine Vorstandsentscheidung, die einen Etat für den Beetle-Cup sicherstellt. Eine Vorstandsvorlage war so laienhaft ausgeführt, daß aus ihr gerade noch die Gesamtkosten hervorgingen. Und der Vorstand fragte: Wofür?

Fragt man aber die Techniker: Alles läuft. Wir sind in der Zeit. Der Aufbau der Fahrzeuge läuft parallel zur Entwicklung. Alles schön. Alles gut.

Wenn man dann den Finger in die Wunden legt, dann wird deutlich, daß hier vielen Leuten vieles zu viel ist. Zur Zeit sind bei VW ungefähr ein Dutzend Motorsport-Projekte in Arbeit. Und keiner sagt etwas, wenn z.B. kein Prüfstand zu einem Dauerversuch mit dem Dieselmotor frei ist. Dann muß man es eben auf der Strecke machen. Keiner trägt seine (begründeten!) Einwände oder Argumente vor. Man hat Angst. "Herr Piech erwartet eine positive Einstellung zur Arbeit." - Irgendwer muß hier irgendetwas verwechseln. Sachargumente haben doch nichts mit Negativeinstellung zu tun. - Nur: man muß sich rechtzeitig melden.

Ferdinand Piech hat die richtigen Ideen. Aber es gibt bei VW zu wenig Leute seines Niveaus. Und manche haben zwar eine Menge Erfahrung. Aber nicht gerade auf dem Motorsport-Sektor. Wie z.B. die Entscheidung für den 2,5 Liter-Diesel zeigt.

Mal ganz abgesehen davon, daß diese Renndieselmotoren nicht Pumpe-Düse-Motoren sind, wie sie für die Serie propagiert werden, sondern daß es sich um Motoren handelt, die von einer modernen Hochdruckpumpe (wie beim Zweiliter BMW) befeuert werden.

Vieles ist für mich beim VW-Motorsport unverständlich. Würden die ganzen Ideen von Ferdinand Piech aber durch- und umgesetzt, dann wäre VW in drei Jahren auf allen Gebieten des Motorsport führend, könnte sich jede Formel 1-Beteiligung ersparen, weil man auf allen Sektoren unschlagbar wäre. - Das schwebt Herrn Piech sicherlich auch vor. - Aber so, wie beobachtet, geht es leider nicht.

Damit ich den Gruppe N-Polo nicht vergesse: der Abrollumfang der Räder hatte sich mit Sliks offensichtlich zum Negativen hin verändert, weil sich die Gesamtübersetzung so verändert hatte, daß das Fahrzeug nicht mehr ausdrehte. Aber das war für die vorgesehenen Versuche auch nicht so wichtig. Wie ich beobachten konnte, ging es um die ABS-Abstimmung. Toll, daß man bei VW auch daran denkt. Aber nach meinen persönlichen Erfahrungen mit der Kombination von Serien-ABS und Slickreifen, kann man mit dem Serien-ABS schon darum nicht glücklich werden, weil die Regel-Zyklen zu groß sind. - Aber vielleicht ist man bei VW ja schon weiter, hat einen anderen Weg gefunden. Ich kennen bisher nur einen in der 100.000 DM-Preislage.

Aber vielleicht spielt Geld ja keine Rolle bei VW. Diese Arbeitswoche hier am "Ring" z.B. würde ich mit rund 500.000 DM ansetzen. Wenn alle daraus das Richtige mitgenommen haben, war es vielleicht trotzdem noch preiswert. - Denn es gasb eine Menge Erfahrungen dafür. Und wenn man die nun richtig umsetzt... -

MK/Wilhelm Hahne