Fahrerlebnis im Jahre 1974: BMW R 90 S - das damals beste Langstreckenmotorrad der Welt?

Es ist nun 29 Jahre her, dass ich dieses Motorrad mit dem legendären Zweizylinder-Boxermotor über bundesdeutsche Landstraßen  und Autobahnen bewegte. Dass ich keine Vorlagen für Stammtischgespräche zu schaffen versuchte geht schon daraus hervor, dass ich z.B. die Höchstgeschwindigkeit dieser BMW nicht "langliegend" gemessen habe. Und vieles, was ich damals schrieb, hat auch heute noch Gültigkeit. Denn der technische Fortschritt kann Motorräder nicht unbegrenzt verbessern. Natürlich sind die Reifen heute besser geworden, aber entscheidend für die Praxisfahrleistung eines Motorrades ist immer noch das Fahrkönnen des Fahrers. Und das nimmt mit der Zeit, mit der Erfahrung zu. Insofern macht das Lesen solcher "alten Geschichten" auch Sinn, denn manche Erfahrung kann man sich auch anlesen. Oft ist es teurer - und evtl. schmerzhafter - sie selber zu machen. - Aber nun zum Objekt der (damaligen) Begierde. Das gab es schon für 8.510 Deutsche Mark!

Für Löwenbändiger ein Spaß-Gerät

03-09-23/01. - Die Krönung der neuen Motorradserie von BMW heißt R 90 S. Einfallsreiche Werbetexter nennen sie "Meisterboxer", gaben ihr "Maxi-Mumm" mit auf den Anzeigenweg und forderten schließlich zum "Power-Play" auf. Innerhalb von wenigen Monaten wurde dieses Super-Motorrad zum bayerischen Wappentier. Es gab der neuen R-6-Reihe das sportliche Image, das ihre Vorgänger nicht hatten.

Eine Image-Aufwertung der Münchner Motorrad-Schöpfungen durch ein solches Spitzenmodell war natürlich beabsichtigt. Aber diese Aufwertung sollte allgemein allen BMW-Motorradmodellen (gegenüber der starken japanischen Konkurrenz) zugute kommen, deren Absatz fördern helfen. Staunen jetzt die BMW-Marketingstrategen: das in diesen Monaten meist bestellte BMW-Motorrad ist mit einem Anteil von rund 60 Prozent am Gesamtverkauf die neue R 90 S.

BMW weiß nun offensichtlich, was Männer wünschen, die gerne 8510 Mark in die BMW-Kasse zahlen, um ihren Traum vom Motorrad Wirklichkeit werden zu lassen. Wie sich der Männertraum in der rauen Wirklichkeit  bewährt, wo seine Stärken und Schwächen liegen, versuchte ich während vieler tausend Kilometer auf Landstraßen, Autobahnen, aber auch auf abgesperrten Rennstrecken, heraus zu finden.

Die BMW-Motorradkonstrukteure wählten schon 1923 den Boxermotor für ihr erstes Motorrad als ideale Antriebsform aus, zumal sie es mit dem Kardanantrieb, einer sauberen, pflegeleichten Kraftübertragung versehen wollten. Der Boxermotor bietet nicht nur den besten Massenausgleich aller Motorbauarten. Da  er quer zur Fahrtrichtung dreht, brauchten die Konstrukteure auch vorne an der Antriebseinheit keine Kraftumlenkung vorzunehmen, sondern nur noch am Hinterrad.

Diese technische Grundkonzeption hat bei BMW-Motorrädern über 50 Jahre seine Gültigkeit behalten und prägt auch die neue R 90 S in Erscheinung und Verhalten. Nach kurzem Druck auf den Elektrostarter sprang der Motor stets zuverlässig an. Die hohen Massenkräfte der zweimal 449 Kubikzentimeter lassen dann an der Drehrichtung des Motors keinen Zweifel aufkommen.

Bei kurzen Gasstößen aus dem Leerlauf heraus kippt das Motorrad nach rechts weg. Diese Eigenheit lässt den BMW-Routinier ein Fahren und Beschleunigen aus dem unteren Drehzahlbereich (unter 3.000 U/min) vermeiden; darüber läuft der Motor sanft-weich.

Von dieser Boxer-Eigenheit einmal abgesehen, gibt es über den ganzen Drehzahlbereich kaum spürbare Vibrationen. Die maximale Leistung wird bei 7.000 U/min mit 67 PS erreicht, die die Konstrukteure dem einfachen Stößelstangen-Motor ohne besondere Kunstgriffe zu entlocken vermochten. Zwei Dell'Orto-Vergaser mit 38 mm Durchmesser versorgen den Hubraum-Protz in jedem Drehzahlbereich mit dem richtigen Benzin/Luft-Gemisch.

Der Testverbrauch betrug erstaunliche 6,58 Liter pro 100 Kilometer. Im Maximum wurden exakt sieben, als Minimum 5,44 Liter Superbenzin in Vortrieb umgesetzt.

Was durch einen kräftigen Dreh am Gasgriff an Beschleunigung spürbar wird, ist selbst für verwöhnte Ansprüche beeindruckend. Keine fünf Sekunden vergehen, bis 100 km/h erreicht sind. Und bereits nach 12,6 sec ist die 160-Kilometer-Marke überschritten. In normaler Sitzposition erreichte ich mit der Testmaschine eine Höchstgeschwindigkeit von 198 km/h. Die Stammtisch-Schallmauer von 200 km/h wäre langliegend sicher überschritten worden.

Auf Langstreckenfahrten lernte ich die serienmäßige Cockpit-Verkleidung an der Maschine sehr schätzen. Sie ermöglicht es, hohe Autobahn-Dauergeschwindigkeiten anstrengungsfrei zu ertragen. Auf Autobahnreisen erübrigt sich fast jeder Schaltvorgang, denn bei dem bulligen Drehmoment von 7,6 mkp bei 5.500 U/min zieht die R 90 S aus jedem Geschwindigkeitsbereich auch im 5. Gang wieder kraftvoll an.

Dabei ist es ein rechter Spaß, das neu konstruierte Fünfganggetriebe auszunutzen. Die in den einzelnen Gängen bei 7.000 U/min erzielbaren Geschwindigkeiten von 66 - 100 - 137 - 172 -192 km/h zeigen schon die praxisgerechte Abstufung. Das Getriebe ist gut zu schalten, wenn auch das berühmte Klack-Klack der BMW-Motorradgetriebe bei dieser Neuschöpfung nicht beseitigt werden konnte.

Die Kupplung verlangt nach einer trainierten Handmuskulatur. Hier sollte BMW eine Verbesserung anstreben. Bei Stadtdurchfahrten im Feierabendverkehr ist eine normale Kupplungshand einfach überfordert. - Oder sie müsste einem bayerischen Holzfäller gehören.

Auch BMW ist dem Scheibenbrems-Trend gefolgt und baut ins Vorderrad gleich eine Doppel-Scheibenbremse ein. Die Bremswirkung ist bei trockener Fahrbahn gut, wenn auch hier der erforderliche Kraftaufwand durch die von den Konstrukteuren ersonnene Seilzug/Hydraulik-Kombination höher ist als bei vergleichbaren reinen Hydraulik-Konstruktionen.

Bei nasser Fahrbahn (und feuchten Bremsscheiben) ist die Wirkung aber zunächst gleich Null. Erst nach kurzer Bedenkzeit wird Bremswirkung spürbar, nämlich dann erst, wenn die Bremsscheiben-Temperatur so hoch geworden ist, dass der Feuchtigkeitsfilm verdampft ist. Hier wäre weniger wahrscheinlich mehr gewesen. Denn die zweite Bremsscheibe hat das Problem nur noch vergrößert.

Auf der anderen Seite hätte nur eine Bremsscheibe die Schwäche der vorderen Telegabel verdeutlicht, da das Losbrechmoment unter bestimmten Bedingungen darunter zu leiden scheint, dass sich die Gabel verspannt. So kaschierte zwar die zweite  Bremsscheibe diese Schwäche, machte  eine andere - das schlechte Nassbremsverhalten - aber deutlich.

Vergleiche mit der Motorrad-Konkurrenz zeigen, dass man sich mit dieser, für den Fahrer in Notsituationen sehr unangenehmen Bremseigenschaft nicht abfinden muss. Wenn man schon auf das Verkaufsargument der zweiten Bremsscheibe nicht verzichten will, so würden gelochte Bremsscheiben sicherlich eine Verbesserung bringen.

Das Fahrwerk kann als gut bezeichnet werden, auch wenn hier die Grenzen spürbar werden, die jede Fahrwerkkonstruktion mit steigender PS-Leistung erreicht.

Auch mit der R 90 S kommt es bei schneller Kurvendurchfahrt auf unebener Fahrbahn zu Fahrwerksunruhen. Motorradfans sollten hier ihre Anforderungen nicht überspitzen. Selbst Rennmaschinen renommierter Fabrikate laufen nicht wie auf Schienen. Und beim Test der BMW wurde wieder einmal deutlich, welch große Bedeutung dem Können des Fahrers einer solchen Maschine zukommt.

Einem Greenhorn hilft auch kaum der dreifach einstellbare Lenkungsdämpfer der BMW, wenn bei Geschwindigkeiten über 180 km/h plötzlich scheinbar unmotiviert eine Pendelneigung des Lenkers auftritt. Das BMW-Fahrwerk ist sicherlich das komfortabelste auf der Welt, aber nicht das vollkommenste, soweit es das Fahrverhalten im oberen Geschwindigkeitsbereich betrifft. Das ist auch z.B. durch den querdrehenden Motor negativ beeinflusst.

Es muss aber auch gesagt werden, dass die Fahrwerke solche Hochgeschwindigkeits-Motorräder sehr empfindlich auf kleinste Ungenauigkeiten reagieren. Das können ein paar gelockerte Speichen sein, ein ungenauer Luftdruck, ein Dämpfer, der im Laufe vieler Kilometer schneller weich wurde als der auf der anderen Seite.

Bei der BMW wird sogar die Profiltiefe des Hinterradreifens im Fahrverhalten spürbar. Meine Versuche zeigten, dass mit "abgefahrenen"Reifen (unter 3 mm Profiltiefe!) das sonst gutmütige Verhalten der BMW selbst bei Geradeausfahrt leidet. Beim Überfahren von Mittelmarkierungen auf Autobahnen wird sie z.B. schon unruhig. Und selbst in leichten Autobahnkurven kommt es - dann in Schräglage - zu unangenehmen Schaukeleien.

Ich gehe deshalb so ausführlich auf die Empfindlichkeit moderner Motorradfahrwerke ein (nicht nur der BMW), weil hier unter den Motorradfahrern der neuen Generation noch manche Illusion besteht.

Die BMW R 90 S ist mit ihrem pflegeleichten und sauberen Kardanantrieb, der hinein konstruierten ermüdungsfreien Sitzposition, dem bulligen, kraftvollen und zuverlässigen Motor und dem komfortablen Fahrwerk vielleicht das derzeit beste Langstreckenmotorrad auf dieser Welt. Aber Wunder sollte man von ihr nicht erwarten. Fahrwerkwunder haben geringere Motorleistung.

Die BMW R 75/6 ist darum vielleicht jene Wundermaschine, die die R 90 S nicht sein kann. Dafür ist die aber ein Spaß für Löwenbändiger. Und solche die es werden wollen.

MK/Wilhelm Hahne


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