Nur ein Gedicht von Joachim Ringelnatz

Abends lese ich zuweilen. Nicht unbedingt Fachliteratur. Manchmal sind es auch Romane, manchmal auch Gedichte. Wie gestern. Und ich lese nicht nur, sondern ich denke auch dabei, stelle Zusammenhänge her, versuche mich in bestimmte Situationen zu versetzen. Das unterscheidet mich offensichtlich sehr von vielen Auch-Lesern. Auf die treffe ich praktisch jeden Tag. Wir haben beide die gleiche Geschichte gelesen. Jeder kennt den Inhalt. Doch mein Gesprächspartner kann mit mir nur über den reinen Inhalt sprechen, hat ihn nicht reflektiert, mit anderen Mosaikstücken der Geschichte in Verbindung setzen können. Aber er kennt jeden Schreib-, jeden Kommafehler. Ich lese anders. Vielleicht, weil ich auch anders recherchiere. Jungen Leuten fehlt oft der Ansatz für eine Recherche, weil der auch nicht da sein kann. Dafür sind sie jung. Und darum hat das Alter auch seine guten Seiten. - Und so habe ich vielleicht das Ringelnatz-Gedicht nur so empfinden können, wie ich es empfunden habe. Ich hätte ihm nur einen anderen Titel gegeben. Heute. Und damit wäre es wieder aktuell. Dabei wurde es - ich habe danach gesucht - im Jahre 1927 geschrieben. Trotzdem könnte es heute passieren, dass sich - unter meinem neuen Titel - bestimmte Leute in diesem Gedicht wieder erkennen. - Mit - und an - einem solchen Gedicht, nun 76 Jahre alt, wird auch deutlich, dass vieles auf dieser Welt nicht neu ist, nur neu scheint. Vieles wechselt in den Jahren - auch wieder hin zu dem, was einmal war. Wie die Mode, die meistens einem schnellen Wechsel unterworfen ist. Andere Strömungen sind langsamer. Wie sagte meine Großmutter doch immer: "Was gut war kommt wieder", um dann nach einer kurzen Pause fortzufahren: "Nur die Jugend nicht". - Doch nun zu dem Ringelnatz-Gedicht, das ursprünglich den Titel trug: "MEIN YES, BUT AN MR. X. IN DER BAR". - Ich habe es aktuell überschrieben:

"Globale Player"

03-10-01/01. -

Yes -, but this Volk ist mein See,
Darin ich als Kaulquappe schwamm.
Heiße Bläschen brodeln im Grunde

Im weichen, warmen Schlamm.

Ich friere in eurem Schnee.

In euren Tropen werd' ich zum durstigen Schwamm.
Wir sehen mit großen Augen und offenem Munde

Bei euch alles besser.

Wir suchen eure weiten Gewässer,
Gehen ganz darin unter. Sagen dann "leek" statt Lake.

Und werden lauter und zu laut im neuen Gequake.
Aber wir sehnen uns eines Tages doch heim,

Einmal wieder in unseren Teich, unsren Tümpel zu tauchen.

Go back - - eilen heim,

To take a bath after interesting time.

                                                                (Joachim Ringelnatz)

MK/Wilhelm Hahne


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