So ändern sich die Zeiten - und Berufsbilder: Die "Erlkönig"-Szene wird zu einem Teil des Firmenmarketings

"Früher", da waren "Erlkönigjäger" die "harten Jungs" unter den Motor-Journalisten. Aber das Niveau sackte. Zunächst bei den Motor-Journalisten, dann auch bei den "Erlkönigjägern" und mit deren Niveau auch das Honorar-Niveau. Heute findet man zwar in vielen Zeitschriften so genannte "Erlkönigfotos", aber es gibt keine wirklichen Informationen dazu. Vor wenigen Tagen sah ich einen "Erlkönigjäger" aus seinem Personenwagen stürzen, als er auf einem Parkplatz einen beklebten Mercedes SL entdeckte, einen "neuen SL". Und der hatte auch noch sensationell aussehende Kotflügelverbreiterungen. Vorne. - Das Foto wird sicher bald irgendwo erscheinen. Und man wird es sicherlich mit einer starken Bildzeile verkaufen. Vielleicht steht da: "Abgeschossen". Oder: "Entdeckt". Also irgend etwas "starkes". - Und was sagt das dem Leser? - Nichts! - Als ich vor vielen Monaten nicht nur Fotos von den Testfahrten des BMW X6 zeigte, da habe ich auch Details dazu genannt, ihn mit dem X5 verglichen und deutlich gemacht, dass dieser X6 ein weiteres Fahrzeugmodell wird, auf das niemand gewartet hat, dessen Existenz auch eigentlich sinnlos ist. Ich habe auf aerodynamische Schwächen hingewiesen und, und, und. - Inzwischen hat BMW die Fachpresse zu ersten Testfahrten in die USA eingeladen. All inclusive. - Versteht sich. Und alle großen Blätter berichten. Wie auch im Internet zu lesen. Weil man selbst keine Meinung hat (haben darf?), zitiert man BMW-Manager. Die finden das Auto toll. Aber auf den Internetseiten finden sich oftmals dann nach den "tollen" Fahrberichten auch die Kommentare der Leser, also der möglichen Käufer. - Was lernen wir daraus? - Der Motor-Journalist versteht den "Anzeigen-Kunden", die Leser verstehen etwas von Automobilen. Und:

Moderne "Erlkönigjäger" können fotografieren

08-02-21/15. - Bleiben wir mal bei der Szene mit dem beklebten Mercedes SL: der "Erlkönigjäger" hat ihn abgeschossen. Was hat dieser Mann den nun auf der Speicherkarte seiner Kamera festgehalten? - Einen neuen SL, wie er bereits auf der Aufsstellung in New York gezeigt wurde und wie er seit Anfang April bei den Händlern steht. Nur gibt es ihn da nicht so schön beklebt - und auch nicht mit so wahnsinnig breiten Kotflügelverbreiterungen. - Das Foto macht also schon etwas her. Und wird sicherlich so manchen Redakteur (auch Chefredakteur) beeindrucken. Eigentlich wäre es nun noch billiger (als das Foto billig zu grabschen), wenn man ein Foto des neuen SL mit ein paar Pinselstrichen "verfremden" würde. Das wäre genauso eindrucksvoll. Und der Leser würde genauso wenig erfahren, was denn nun wirklich mit diesem SL ist.

So sieht der neue SL doch wirklich interessant aus. Es ist ein Werkfoto, von mir ein wenig verfremdet. Es ist ein SL 500, über den man heute "so gerade noch" spricht. Der "kleinere" ist in der heutigen Zeit wichtiger für die Dokumentation des "guten Öko-Willens". Tatsächlich findet sich z.B. zu den hubraumgroßen SL in den Werksunterlagen zur New Yorker Automobilausstellung - Entschuldigung! Man sagt wohl "New York International Auto Show 2008" - also im Informationstext der "Daimler-Communication" nur folgender Hinweis:

"An der Spitze des Modellprogramms der SL-Klasse stehen weiterhin der SL 500 mit V8-Triebwerk und der Zwölfzylinder SL 600. Ihre Motoren verbrauchen auf 100 Kilometer bis zu 0,4 Liter weniger Kraftstoff als bisher."

Und so sieht ein neuer SL 500 ungetarnt wirklich aus:

Und so sieht (evtl.) ein Mercedes SL auf, wenn man ihn wirklich in freier Wildbahn beim Testen fotografiert:

Ach, Sie meinen, dass die Haube... - und die Frontschürze... - während die Scheinwerfer... - gut beobachtet. Gut, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Das Foto wurde übrigens in der ersten Aprilwoche 2008 gemacht. - ??? - (Am Ende dieser Geschichte verrate ich Ihnen zum SL dann noch etwas.)

In  New York zeigte Daimler übrigens auch den neuen Mercedes GL. Wissen Sie, was ich an dem so bemerkenswert finde? - Beim Kauf dieses Fahrzeugs erhalten Sie - ohne jeden Aufpreis - eine Betriebsanleitung. Und gleich zu Anfang ist zu lesen: "Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Mercedes-Benz! Machen Sie sich zuerst mit Ihrem Fahrzeug vertraut und lesen Sie die Betriebsanleitung bevor Sie losfahren." - Die Betriebsanleitung  hat einen Umfang von 328 Seiten! - Das ist natürlich ein Vorteil für die Umwelt: So lange Sie lesen, können Sie nicht die Luft verpesten. - Tolle Idee des Daimler-Managements. Da begreift man schon, wofür die ihre Millionen erhalten.

Warum, damit verglichen, die Chefredakteure großer Fachzeitschriften (aber auch deren Redakteure) dagegen nur karg entlohnt werden begreift man spätestens, wenn man z.B. in "Auto-BILD" Nr. 11, vom 14. März auf Seite 13 lesen kann:

"Meriva: Serie ohne kecken Knick?" - Man hat ein "Erlkönigfoto" angekauft und schreibt - sich selbst bewundernd: "Erwischt". Also der Verkaufsstart des neuen Opel Meriva ist lt. "Auto-BILD" 2010. Das dauert also noch etwas. Wäre es da nicht besser, wenn in einer wöchentlich erscheinenden Fachzeitung zu lesen wäre, dass man derzeit das aktuelle Meriva-Modell mit allerhöchsten Nachlässen erstehen kann? Dabei ist das Auto gut. Aber wer kauft heute noch Automobile, die eigentlich zu teuer sind. Also verschleudert Opel sie nach "Irgendwo", woher sie dann - nicht immer über die Opel-Organisation - an den Kunden gelangen.

Das "Erlkönigfoto" in "Auto-BILD" sieht ungefähr so aus, wie das folgende Foto, nur, dass meins eine andere Perspektive zeigt:

Bei "Auto-BILD" ist zu einem Foto zu lesen: "Der Knick ist weg - das Prototyp-Foto lässt es vermuten. Die gegeneinander öffnenden Türen soll der Meriva behalten."

Bei Motor-KRITIK wäre zu so einem Foto zu lesen: Sehr gut getarnt. - Bravo! - Aber natürlich kommt der neue Opel Meriva mit dem bei der Studie schon gezeigten "Knick" in der Fensterlinie. Es geht nämlich gar nicht ohne diesen Knick. Aus technischen Gründen. Wenn die Türen gegenläufig öffnen oder schließen sollen.

Bei ein wenig Kenntnis über technische Zusammenhänge, ein wenig Praxiserfahrung, einer richtigen Einschätzung des Könnens der "Verkleidungskünstler" bei Opel, funktionsbereiter mittlerer Intelligenz und einem erfahrenen Chefredakteur, hätte ein solcher Blödsinn wie in "Auto-BILD" Nr. 11 nicht erscheinen können. Na ja, bei 2,30 Euro Kaufpreis sollte man keine Ansprüche stellen. - Und bei den gezahlten Honoraren für "Erlkönigfotos" sollte man an das Wissen der Fotografen auch keine so hohen Anforderungen stellen. - Premium ist in jedem Falle etwas anderes.

Es hat sich eben Vieles im Markt geändert. Schauen Sie z.B. mal auf diese Fotos. Sie wurden auch in der ersten Aprilwoche 2008 gemacht:

Diese Fotos wurden also im April 2008 gemacht. Aber im Februar hatte Alfa schon inoffiziell-offiziell die ersten Fotos verteilt und Journalisten vertraulich das Auto erklärt. So schrieb "Auto-BILD" bereits in der Ausgabe am 29. Februar 2008: "Basierend auf einer angepassten Punto-Plattform..." und veröffentlichte das erste offizielle Foto.

Die Jungens bei "Auto-BILD" sind natürlich alle des Englischen übermächtig. (Von mir wissen meine Leser, dass ich diese Sprache nicht beherrsche.) Darum kümmere ich mich auch um Details, wenn sie in mein Fachgebiet ragen. Darum würde ich - wäre ich Chefredakteur bei "Auto-BILD" den hier verwendeten Begriff "Plattform" meinen Jungens um die Ohren schlagen. Im Englischen gibt es zwar den Begriff platform, aber der hat wenig mit dem zu tun, was man bei "Auto-BILD" meint. platform ist keine Plattform, genauso wenig, wie ein Director ein Direktor ist. - Aber unsere Sprachartisten können das nicht wissen. Sie können ja Englisch. Nur begreifen sie nicht, dass bestimmte Begriffe auch gar nicht im Englischen, sondern im Amerikanischen entstanden sind. Und ständig neu entstehen.

Wie sich auch Entwicklungen verändern. Früher testete man zunächst, fuhr Versuche um Versuche (natürlich mit "Erlkönig"-Tarnung), um dann der Presse die Neuentwicklung vorzustellen. Heute - wie das Beispiel Alfa zeigt - informiert man zunächst die Presse und beginnt dann mit den Versuchen. Die Versuchszeit muss man auch kurz halten, weil die Kosten verursacht. Man kann sie - im Falle Alfa - auch kurz halten, weil hier wirklich Fiat-Teilen ein anderes Gesicht gegeben wurde. - Das liegt im Trend. (Ich meine: das mit dem Kosten sparen. - Billig, billig. - Aber dann Premium versprechen - und auch preislich verlangen.)

Da ist zur Zeit die Fachpresse bemüht, ihre Leser mit Berichten über einen Audi R8 mit Zwölfzylinder-Dieselmotor zu verwöhnen, von dem man aber nicht sagen kann ob es ihn jemals geben wird.  - 2020 vielleicht? - Ich kann Ihnen sagen, dass in jedem Falle vorher der Zehnzylinder R8 erscheinen wird. Der 8.000 km-Dauertest für dieses Fahrzeug, der vor Serienstart eines Modells bei Audi Standard ist, wurde im November 2007 abgeschlossen. Audi war (neben Mercedes und AMG) noch eine Woche an die Nordschleife des Nürburgrings gekommen, um Tests abzuschließen, nachdem der Dauertestwagen vorher - leider - abgebrannt war. Diese Testwoche war nicht vorgesehen gewesen, wurde einfach angehängt. Darum wussten auch keine "Erlkönigjäger" davon. Und so hat auch niemand den Zehnzylinder-Audi bei dieser Dauererprobung fotografiert. Außer ich. Hier ein November-Foto vom Zehnzylinder:

Lassen Sie mich jetzt diese "Erlkönig"-Geschichte ohne erklärenden Text mit einer Folge von aktuellen Fotos dem Ende zuführen. Sie sprechen eigentlich für sich selbst. Ich beginne mal klein - mini eben:

Mit diesem schönen Automobil möchte ich diese Geschichte nun eigentlich abschließen. Es wurde übrigens - bei feinem Regen - eindrucksvoll schnell (und gut) gefahren. Was mir auffiel: sicherlich hat dieses Fahrzeug eine Klimaanlage. Aber was machte der Fahrer: das Fenster einen Spalt auf und verschlecherte damit die Aerodynamik - und erhöht den Benzinverbrauch.

Ich hätte beinahe noch ein paar Angaben zu dem eingangs beschriebenen SL (mit eindeutigen Kotflügelverbreiterungen) vergessen: 720 PS, Höchstgeschwindigkeit - elektronisch abgeregelt - 320 km/h; ohne diesen elektronischen Eingriff würde das Fahrzeug 370 km/h erreichen. Die Kotflügelverbreiterungen wurden notwendig, weil es keinen für diesen Geschwindigkeitsbereich zugelassenen Reifen gibt, der unter die serienmäßig vorhandenen Radhäuser passt. - Wie sagte doch unsere Kanzlerin, Angela Merkel, die gerade in ihre Rolle als Auto-Kanzlerin hineinwächst: "Wir können nicht den Wettbewerb dadurch verfälschen, dass wir bestimmte Modelle an den Pranger stellen." - ??? -

So kann ich diese Geschichte aber nicht enden lassen. - Es müsste eigentlich etwas hoffnungsvolles, stimmungsvolles... - ach ich weiß schon:

Es muss doch Frühling werden! - Neues Leben wächst auch durch rostigen Draht!

Und davon gibt es jetzt am "Ring" genug. - Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

MK/Wilhelm Hahne


  • Jetzt sind Sie gefragt!

    Ihre Meinung zu obigem  Beitrag
    können Sie mit einem Klick
    und ein paar Sätzen loswerden:
    Senden Sie mir ein e-mail

    Danke, für Ihre Mitarbeit!