Wirtschaftskrise:
Wo denn? - Was denn? - Das war doch mal. Man muss nur einen Blick in
die aktuellen Tageszeitungen werfen oder "offizielle"
Fernsehnachrichten sehen und hören. - Muss da einem nicht das Hören und
Sehen vergehen?
Eigentlich
spüren wir es alle. Wenn wir es nicht nach einem Blick in die Geldbörse
und einen Blick in die Restautrant-Speisekarte rechnen können, so
fühlen wir es doch mit dem Bauch: Irgendetwas stimmt nicht. Spätestens
beim Tanken wird einem klar, dass sich Relationen verschoben haben. Und
alles spricht nur noch von Millionen und Milliarden. So, als würde
nicht mehr mit dem Cent gerechnet. Offensichtlich bei den Banken nicht
mehr. Da lagert man die Milliardenverluste in eine Zweitfirma aus und
ist wieder schuldenfrei. Bekommt man dann noch ein paar Milliarden vom
Staat, dann kann man auch wieder Boni an die hochgeschätzte
Geschäftsführung zahlen. Dass sich durch das unverantwortliche Handeln
von "Chefs" bald ein ganzes Wirtschaftssystem aufgelöst hätte,
scheint schon vergessen. Aber bald ist ja auch Wahltag. Da müssen wir
dann alle an der Renovierung der beschädigten Grundeinstellung einer
ganzen Gesellschaft mitarbeiten. Nur so ist man im "Cirkus"
gesellschaftsfähig. Und kann die Clowns der alten Vorstellung wieder
wählen. Schließlich haben sie uns ja auch viel Spaß gemacht. Wer wird
ihnen da böse sein? Und wenn es dann auch wieder bergauf geht... -
Papperlapapp! - Wir werden mal wieder aufs Glatteis gelockt. Man
rechnet uns - mal wieder - den wirtschaftlichen Aufstieg vor. Alles
verbessert sich dramatisch. In Prozenten. - Nachstehende Geschichte
wurde von jemandem geschrieben, der sich aufs Rechnen versteht. Er
stand mal an der Spitze einer großen AG, wo ihm Bilanzen zur
Unterschrift vorgelegt wurden, in den auch einiges nicht stimmte. Prof.
Selenz hat nicht unterschrieben. Und nun darf er im großen
AG-Sandkasten nicht mehr mitspielen. - Dafür aber in Motor-KRITIK
schreiben. Was er schreibt ist glaubwürdig, da Realität.
Im Prozent-Nebel durch die Krise
09-08-25/01
-Wirtschaftslage und Konjunktur hängen von vielen Einflussgrößen ab.
Ein ganz wichtiger Faktor - der Fachmann weiß das - ist die Stimmung
der Verbraucher. Stehen schlechte Zeiten ins Haus konsumiert der Bürger
weniger. In der Krise gilt es daher, gute Stimmung zu verbreiten.
Schlägt man heute eine deutsche Zeitung auf, hat man den Eindruck, das
Wirtschaftswunder sei erneut ausgebrochen. Da ist von
Produktionssteigerungen zu lesen, dass es nur so raucht. Der
Prozent-Nebel trübt indes den Blick auf die Fakten. Dem Bürger qualmt
der Schädel angesichts dramatisch steigender Prozentzahlen. Selbst das
Brutto-Inlandsprodukt beginnt zu steigen. Um 0,3 Prozent. Was soll man
davon halten? Welchen Zahlen kann der Bürger trauen? Was sagen ihm
Prozente?
Prozente haben für den Fachmann großen Charme. Man
kann sie in jeder Richtung gestalten. Der Kreativität sind keine
Grenzen gesetzt. Es kommt bei den Prozenten nämlich immer auf die Basis
an. Der Ausgangswert ist ebenso wichtig, wie der Bezugszeitpunkt.
Vormonat, Vorquartal oder Vorjahr. Nur dann ist die Richtung klar und man weiß, wo man wirklich steht. Oben oder unten.
Die
Talsohle sei inzwischen längst erreicht, hört man aus vielen Kanälen.
Nahezu unisono. Von nun an muss es demnach bergauf gehen - um im Bild
zu bleiben. Und die Politik tut derweil das ihre: Wirtschaftsminister
Karl-Theodor von und zu Guttenberg
erklärt die Wirtschaftskrise mal eben für beendet. Basta - ist man geneigt zu sagen. Der Mann hat Mut. Doch hat er auch recht?
Die
Frage ist nicht leicht zu beantworten. Für viele Bürger hat die Krise
nämlich noch gar nicht begonnen. In anderen Ländern sind ihre
Auswirkungen schon sehr viel deutlicher zu verspüren. Diese Länder
werden als Konsumenten deutscher Waren über Jahre
mehr oder weniger
ausfallen. In Deutschland haben bis dato die Maßnahmen der Regierung
wie die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes oder die Abwrackprämie
die Krise abgemildert bzw. hinausgeschoben. Für diese Effekte hat man
mal eben einige Milliarde
in in die Hand genommen. Für die Rettung
maroder Banken wurden noch weitaus mehr Milliarden in den großen Pott
geworfen. Das Geld hat man zwar nicht. Doch angesichts einer veritablen
Weltwirtschaftskrise muss man halt zu unkonventionellen Mitteln greifen.
Solange
der Papierpreis nicht steigt, ist das Drucken von Geldscheinen eine
durchaus preiswerte Angelegenheit - um auch hier im Bild zu bleiben.
Und da viele Bürger und sogar Politiker den Unterschied zwischen einer
Million und einer Milliarde eh nicht kennen, ist
das nicht weiter
tragisch. Irgendjemand wird den Schuldenberg irgendwann hoffentlich
einmal abtragen. Doch das hat Zeit. Jetzt stehen erst einmal Wahlen ins
Haus. Da erwartet der Bürger halt, dass man ihn bezaubert….
Den
zauberhaften Prozentzahlen stehen indes gar nicht so tolle Nachrichten
gegenüber. In den USA brechen immer noch und immer mehr Banken
zusammen. Waren es in 2007 noch 5 Institute, so stieg deren Zahl über
25 in 2008 auf aktuell schon 77 Banken
bis August diesen Jahres.
Hierzulande entwickelt sich nicht nur die Hypo-Real-Estate zum Fass
ohne Boden. Derweil kämpfen jenseits der Papiergeld-Fassade strategisch
wichtige Zweige der deutschen Wirtschaft weiterhin ums nackte Überleben.
Ganze
Teile des Werkzeugbaus stehen buchstäblich vor dem Aus. Deren
Auslastung sinkt weiter. Container-Terminals laufen leer, die
Güterwagenkapazität ist halbiert.
Ein kleines Rechenexempel zum
Thema Prozent-Nebel: Die Produktion der Firma XYZ habe sich im Zuge der
Krise beispielsweise um 50 % reduziert. Nicht nur im Maschinenbau und
in Teilen der Grundstoffindustrie war eine Halbierung der Produktion
im Zuge
der Krise keine Seltenheit. Liest man dann, die Produktion
der Firma XYZ sei im Vergleich zum Vorquartal um 50 Prozent gestiegen,
geht Otto Normalverbraucher vielfach davon aus, die alte
Produktionshöhe sei wieder erreicht. Doch weit gefehlt.
Die
scheinbar spektakuläre prozentuale Steigerung bezieht sich nämlich auf
die neue Basis. Und die hatte sich im Vergleich zum Ausgangswert zuvor
bekanntlich halbiert. Ausgehend von der neuen Basis sind mit einem
Anstieg um 50 % gerade
einmal 75 % des Ausgangswertes erreicht. Mit
einer solchen Auslastung kann auf Dauer kein Unternehmen überleben. Das
Beispiel zeigt, wie genau man seine Zeitung lesen muss. Ein Prozent ist
zwar stets ein Prozent, sein Wert kann indes ganz verschieden sein.
Darin liegt der Zauber des Prozent-Nebels…
MK/Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz
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