09-08-25/06 - Zunächst der geschichtliche Hintergrund:
Strafen
sind so alt, wie die Menschheit selber. Schon immer haben es die
Menschen verstanden, ihre Mitmenschen zu bestrafen. Die Existenz
eines Staatsanwaltes ist jedoch jüngeren Datums. Über viele
Jahrhunderte hindurch wurde der Strafprozess vom Inquisitionsgrundsatz
beherrscht. Der Strafrichter führte die Untersuchungen selber, erhob
Anklage und fällte gleichzeitig auch das Urteil. Erstmals in der
Französischen Revolution setzte sich der Gedanke durch, dass ein
Richter, der einen Tatverdächtigen ermittelte, nicht unbefangen über
die Frage entscheiden konnte, ob der von ihm Verdächtigte auch
tatsächlich der Schuldige war. Es wurde deshalb eine vom Gericht
unabhängige Einrichtung geschaffen, die die Untersuchungen eines
Kriminalfalles führte und die Anklage erhob. Dies war die Geburtsstunde
des Staatsanwaltes.
Der Gedanke der Französischen Revolution
schwappte nach Deutschland über. Die Demokratisierungsbestrebungen des
Jahres 1848 machten auch vor dem Strafprozess nicht halt. Forderungen
nach einer Öffentlichkeit des Strafverfahrens, nach Beteiligung von
Laienrichtern und nach einer Mitwirkung eines Staatsanwaltes ließen
sich nicht mehr zurückdrängen. Die Stellung des Staatsanwaltes im
Strafprozess, die uns heute selbstverständlich erscheint, ist das
Ergebnis blutiger Auseinandersetzungen in den Freiheitskriegen, für die
viele Kämpfer für eine bessere Demokratie ihr Leben ließen.
Heute
ist der Staatsanwalt aus dem Strafverfahren nicht mehr wegzudenken. Er
steht am Anfang und am Ende eines jeden Strafverfahrens. Jedes
Strafverfahren beginnt mit dem Ermittlungsverfahren und darin kommt dem
Staatsanwalt eine überragende Stellung zu. Nach § 160 StPO entscheidet
er bei Verdacht einer Straftat darüber, wie der Sachverhalt zu
erforschen ist, er entscheidet darüber, ob öffentliche Anklage erhoben
wird oder ob die Ermittlungen eingestellt werden, ihm allein obliegt
das Anklagemonopol. In der Hauptverhandlung vertritt er die Anklage,
wirkt durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen auf den Ablauf der
Gerichtsverhandlung und damit auf die Urteilsfindung ein und im Falle
einer Verurteilung obliegt dem Staatsanwalt die Strafvollstreckung (§
451 StPO). Im Ermittlungsverfahren kann er sich der Mithilfe des
gesamten Polizeiapparates und aller anderen Behörden bedienen, wobei
die Polizei nicht nur – wie jede andere Behörde - Amtshilfe zu leisten
hat; zahlreiche Polizeibeamten sind auch als Hilfsbeamte der
Staatsanwaltschaft seinen direkten Weisungen unterworfen und dürfen in
dieser Eigenschaft Straftaten selbsttätig untersuchen (§§ 161, 163
StPO).
Bei einem mit solcher Machtfülle ausgestatteten Staatsanwalt stellt sich die Frage seiner Bindung oder Unabhängigkeit.
Der
Blick auf die Historie und die Gründe, die zur Schaffung der
Staatsanwaltschaften geführt haben, zwingt zu dem Schluss, dass der
Staatsanwalt gegenüber dem Gericht unabhängig sein muss. Wenn der Sinn
und Zweck der Einführung der Staatsanwaltschaft darin bestand, dem
Richter die Ermittlungen aus der Hand zu nehmen, damit er letztlich
unparteilicher entscheiden kann, dann kann der Staatsanwalt nicht den
Weisungen des Gerichtes unterliegen. Wäre das anders, könnte der
Richter gleich wieder selber die Ermittlungen übernehmen und man
bräuchte den Staatsanwalt nicht. Das ist gerade nicht gewollt. Damit
beantwortet sich die berühmte Frage, die auf jeden Jurastudenten einmal
zukommt,
In der Hauptverhandlung lehnt der Verteidiger den
Staatsanwalt als befangen ab. Wer entscheidet über den
Befangenheitsantrag? wie von selbst: Natürlich nicht das Gericht, denn
das ist gegenüber dem Staatsanwalt nicht weisungsberechtigt.
Ich
will nicht verschweigen, dass es auch im Ermittlungsverfahren diverse
Situationen gibt, in denen das Gericht in die Ermittlungen eingreift
und der Staatsanwalt seine Rolle als Herr des Ermittlungsverfahrens
vorübergehend einbüßt, z. B. bei allen freiheitsentziehenden Maßnahmen,
wie z. B. bei einem Haftbefehl, oder bei Durchsuchungen oder
Beschlagnahmen oder – was leider immer häufiger vorkommt – bei
Einschränkungen des Postgeheimnisses oder des freien Telefonverkehrs.
All diese Maßnahmen dürfen im wohlverstandenen Interesse des
Beschuldigten nur durch das Gericht angeordnet werden, was aber nichts
an der grundsätzlichen Erkenntnis ändert, dass der Staatsanwalt
gegenüber dem Gericht unabhängig ist.
Das
Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bringt es an den Tag. In § 141 GVG
heißt es schlicht: Bei jedem Gericht soll eine Staatsanwaltschaft
bestehen. Eine Staatsanwaltschaft ist eine Behörde und der Staatsanwalt
ist nur ein Mitglied dieser Behörde. In den folgenden Normen spricht
das GVG dann auch folgerichtig von den Beamten der Staatsanwaltschaft.
Beamte sind – wie wir alle wissen – weisungsgebunden. § 146 GVG hebt
das noch einmal ausdrücklich hervor, in dem es heißt,
Noch krasser bringt § 144 GVG die Weisungsgebundenheit auf den Punkt. Dort heißt es:
Damit
tritt der Staatsanwalt – wenn man es überspitzt ausdrücken will - nicht
einmal als eigenständiges Subjekt auf, er ist lediglich Vertreter
seines Chefs und wie alle Vertreter ist er an die Weisungen des
Vertretenen gebunden. Und Chefs hat der Staatsanwalt viele:
Er
kann in jedem Einzelfall in die Arbeit des Staatsanwaltes eingreifen
und dass er das tut belegen die aktuellen Ereignisse (z.B.) in
Mönchengladbach. Hier hat die Justizministerin des Landes
Nordrhein-Westfalen den Leiter der Staatsanwalt Mönchengladbach
vorübergehend aus seinem Amt abberufen und an das Ministerium versetzt.
Die
richtige Antwort des Jurastudenten auf die o. gestellte Frage nach der
Entscheidungsbefugnis über den Befangenheitsantrag muss somit lauten:
der Leitende Oberstaatsanwalt.
Man muss also feststellen: Der einzelne Staatsanwalt ist nicht unabhängig. Der unterliegt den Weisungen des Staates.
Es
gibt vereinzelte Durchbrechungen der vorangestellten Machtbefugnisse
des Staatsanwaltes. So wird das o. a. Anklagemonopol der
Staatsanwaltschaft durchbrochen bei den Privatklagedelikten des § 374
StPO. Bei den dort aufgeführten Delikten mit zumeist kleinerem
Unwertgehalt kann auch der Verletzte selber ohne Einschaltung der
Staatsanwaltschaft die Klage erheben. Die Staatsanwaltschaft kann aber
– wenn sie will – die Sache jederzeit übernehmen (§ 377 StPO). Große
Bedeutung haben die Privatklagedelikte in der Praxis nicht.
Will
der Staatsanwalt außerhalb des Anwendungsbereiches der
Privatklagedelikte keine Anklage erheben, hat der Verletzte die
Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft zur Anklage zu zwingen. Er kann
dann im sog. Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff StPO) das Gericht
anrufen, das dann die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung
verpflichten kann. Die formellen Anforderungen für ein
Klageerzwingungsverfahren sind hoch und ich rate jedem davon ab, diesen
Weg zu gehen, es sei denn, er hat fundamentale Kenntnisse im
Strafprozessrecht.
Hat die Staatsanwaltschaft einmal Anklage
erhoben, kann sich der Verletzte in den in § 395 StPO genannten Fällen
der öffentlichen Anklage als sog. Nebenkläger anschließen und damit
selber Einfluss auf den Gang der Hauptverhandlung nehmen.
Diese Ausnahmen ändern aber nichts an der überragenden Bedeutung des Staatsanwaltes im Strafverfahren.
Ich
sehe die fehlende Unabhängigkeit des Staatsanwaltes von staatlichen
Weisungen als sehr problematisch an. Mit guten Gründen sollen Richter
nach unserem Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sein
(Art. 97 GG). Für den Staatsanwalt mit seiner dominierenden Rolle im
Strafverfahren sollte nichts anderes gelten. Zu
Recht fordern daher der Deutsche Richterbund und die Neue
Richtervereinigung seit langem, dass auch die Staatsanwälte endlich
diese Unabhängigkeit erhalten. Bislang
sind die Politiker diesen Forderungen nicht nachgekommen. Gründe führen
sie dafür nicht ins Feld. Man hat den Eindruck, dass die Politiker nur
einen Abbau ihrer Macht fürchten und deshalb keine Veränderungen wollen.
Geht
man zurück auf die historischen Gründe, die seinerzeit zur Schaffung
der Staatsanwaltschaften geführt haben, muss man feststellen, dass der
Einfluss des Staates auf den Strafprozess über die Staatsanwaltschaft
zugenommen hat. Das ist nun das Ergebnis der Revolution des Jahres
1848! Meines Wissens sind die Bürger seinerzeit auf die Straße
gegangen, um die Allmacht des Staates zu begrenzen und mehr
demokratische Freiheiten zu erreichen. -
Mit den vom Staat gelenkten Staatsanwaltschaften ist das Gegenteil erreicht worden.
MK/*Norbert Schlepp
*Norbert Schlepp ist Richter am Finanzgericht Niedersachsen
Und noch eine kleine - nachdenkliche - Ergänzung: Auch bei unseren südlichen Nachbarn in Italien (z.B.) gab es zur Zeit des Faschismus - wie in Groß-Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus - den "weisungsgebundenen Staatsanwalt". In Italien wurden die entsprechenden Gesetze aber nach dem Zweiten Weltkrieg (exakt: 1947) wieder geändert. In Deutschland scheint man das vergessen zu haben. Vielleicht passen so manchem deutschen Politiker solche Gesetze aus dem Dritten Reich heute noch genauso "in den Kram", wie anderen Deutschen die Argumentation mit den deutschen Autobahnen als die besondere Leistung einer "nordischen Rasse". - Weiter im Süden, in Italien, ist eben nicht nur das Essen liebenswert. Und das Wetter. - Man kann dort auch über Silvio Berlusconi lesen... - Und was liest man über Kurt Beck?
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