Eine etwas andere Buchbesprechung: Hellmuth Karasek, "DAS MAGAZIN" 

Jeder Konstrukteur einer jeden Automobilfirma muß sich immer wieder fragen: Für wen, für welche Käuferschicht, für welche Ansprüche, entwickle ich eigentlich das Automobil? - Und so sollte sich auch jeder Redakteur fragen: Für wen schreibe ich eigentlich meine Geschichten? Und: Welche Erwartungen muß ich da erfüllen? - Und so habe ich mich auch gefragt, bevor ich diese Geschichte begann: Was erwartet der Leser von Motor-KRITIK eigentlich in einer solchen Buchbesprechung zu erfahren? - So erfolgt eigentlich die Betrachtung des Buches, das schon - von lieben Kollegen - vielfach "zerrissen" wurde, dieses Mal aus der Sicht eines Journalisten der dazulernen möchte. Von einem erfahrenen Kollegen wie Hellmuth Karasek. Und - da ich nach meiner Besprechung von "Eifel-Rallye" weiß, was das Opel-Management von mir erwartet - schreibe ich auch für Horst Borghs. (Nach der letzten mir bekannten Opel-Presseinformation ist dort nun das "P." weggefallen.) Horst Borghs nutzte nämlich z.B. meine Besprechung von "Eifel-Rallye" zu einer Vorlage bei Gericht (OLG Koblenz).

Was man aus einem "Schlüsselroman" - der keiner ist - alles lernen kann

98-10-31/01. Schon der Einstieg in eine Geschichte ist wichtig, lernen wir in "DAS MAGAZIN" auf den Seiten 59 und 60. Folge ich dem dort vorgeschlagenen Muster, müßte ich vielleicht so beginnen:

Das Vorstandsmitglied starrte hinauf in den dunklen Nachthimmel und dachte: Verdammt wenig Sterne. Zur gleichen Stunde blickte ein Journalist - nur wenig mehr als hundert Kilometer entfernt - in den gleichen Himmel und erfreute sich an der Vielzahl der kleinen, großen, glitzernden und funkelnden Sterne und er sagte zu seiner Frau, die neben ihm ging: "Ein wundervoll eindrucksvoller Sternenhimmel hier in der Eifel".

Beide, Vorstand und Journalist, blickten in den gleichen Himmel, so wie auch alle Kollegen, die bisher "DAS MAGAZIN" gelesen hatten, das gleiche Buch in der Hand hatten, das nun auch in meiner Hand ruhte: "DAS MAGAZIN". Und der eine sah "schwarz", der andere blickte nicht durch und ich zum Beispiel, ich finde, das Buch ist gut zu lesen. Und man kann eine Menge daraus lernen.

Das mit dem Sternenhimmel kann man sogar erklären: Das Vorstandsmitglied blickte in einen Himmel, der durch die Lichter einer Großstadt erhellt war. Das Vorstandsmitglied hielt ihn für dunkel, weil er nichts anderes kannte. Zum Beispiel nicht den Himmel über der Eifel, der nachts noch wirklich dunkel ist. Und darum die Sterne deutlicher hervortreten läßt.

Das ist eben so. Auch im wirklichen Leben. Da sieht nicht jeder alles das, was der andere sieht. Und weil der etwas anderes sieht, meint der eine, der andere schildere etwas falsches. Der andere sieht vielleicht nur manches klarer.

Es kommt eben immer auf die Sicht der Dinge an. Auch beim Lesen eines Buches. Da liest der eine, was gar nicht da steht, da seine Lebenserfahrung natürlich so manchen Satz anders empfinden und lesen läßt, als es einem anderen, mit einer anderen Lebenserfahrung möglich ist. Die Phantasie des Lesers spielt eine Rolle. Es kann eine "schmutzige" sein, weil er selbst so denkt, es kann eine "naive" sein, weil er noch "unverbildet" empfindet. Nichts regt die Phantasie eines Menschen mehr an als das geschriebene Wort. Davon geht der Reiz - aber auch das Risiko - aus. (Nämlich falsch verstanden oder gar unverstanden zu werden.)

Darum müssen sich auch Buchbesprechungen über das gleiche Buch unterscheiden. "DAS MAGAZIN" ist aus meiner Sicht ein interessantes Buch, längst nicht so schlecht, wie es in den meisten anderen Besprechungen gemacht wurde. Es hat aber nicht nur starke Seiten; genauso wenig, wie das Leben nur gute Seiten bietet. Aber es formt sich ein Bild von dem Berufsstand, den Hellmuth Karasek, der Autor des Buches, nicht nur in der Redaktion des SPIEGEL, sondern auch bei der ZEIT und der STUTTGARTER ZEITUNG kennengelernt hat.

Und auch ein Roman kann nichts anderes als ein Stück der eigenen Biographie des Autors sein. Jeder wird nur seine persönlichen Erfahrung in sein Buch, gleich welcher Art das Buch ist, einbringen können. Über das was man nicht kennt, sollte man nicht schreiben. Und wenn man es tut, muß man sich gefallen lassen, verlacht zu werden. Oder man muß recherchieren und das Wissen von Insidern nutzen.

Also schreibt Hellmuth Karasek im Falle DAS MAGAZIN darüber, wovon er etwas versteht, weil er sich Jahrzehnte darin bewegt hat. Er schreibt über den Journalismus, über Journalisten, die auch nur Menschen sind. Er schildert sie menschlich, was wohl all denen nicht gefällt, die sich selbst für Übermenschen halten. In deren Welt gibt es keine Lügen (nur bei anderen), keine Affären (nur bei anderen), keine Fehlerhaftigkeiten (nur bei anderen), sie sind die perfekte Interpretation von Moral und Ethik. Und sie haben sich über Jahre, Jahrzehnte so auch der Öffentlichkeit verkauft. So lange, daß sie inzwischen selbst daran glauben.

Und die müssen DAS MAGAZIN primitiv, einfach unmöglich finden. Die werden den "Tiefgang" vermissen, weil sie eigentlich nicht begriffen haben, daß der nur durch den Leser hergestellt werden kann, der nicht selbst an der Oberfläche schwimmt. Alles was mich zum Nachdenken anregt, ist gut für mich. Und darum ist DAS MAGAZIN ein gutes Buch. Gerade für Journalisten.

Die Szene ist so unwirklich geschildert, wie sie eigentlich auch ist. Aber man verdrängt das gerne, wenn man sich in ihr bewegt. Lassen wir uns doch ruhig einmal durch Hellmuth Karasek erinnern. An das, was in unserem Beruf alles so falsch läuft. Weil überall - auch in den Chefredaktionen - nur Menschen tätig sind. Mit guten und mit schlechten Eigenschaften.

Und die müssen sich verkaufen. Dem Verleger, der Redaktion, gegenüber der Öffentlichkeit. Und manchmal auch der Industrie, den Anzeigenkunden. Weil zwar Journalismus etwas Schönes ist, aber Rendite verlangt wird. Der Typ der Verleger hat sich verändert und damit auch der Typ des Chefredakteurs. Und dessen Haltung prägt eine Redaktion, die wiederum beeinflußt die Haltung eines einzelnen Journalisten. - Wenn er in ihr überleben will.

Und die Welt des Journalismus, wie sie Hellmuth Karasek in seinem Buch schildert, hat sich inzwischen noch einmal verändert. Und so kann z.B. auch nicht DAS MAGAZIN ein Bild des SPIEGEL darstellen, wie der sich heute darstellt. Man sollte überhaupt nicht den Fehler machen, DAS MAGAZIN mit dem SPIEGEL vergleichen zu wollen, Verbindungen, Ähnlichkeiten herzustellen, Personen hinter Namen zu entdecken, die gar nicht gemeint sind. Lesen Sie doch einfach das Buch so, wie es geschrieben ist: als ein Spiegel von Erfahrungen, nicht als Erfahrungen mit dem SPIEGEL.

Und es liest sich dann wunderbar. Es gibt effektvolle Formulierungen (manchmal zu gewollt), es gibt neben wundervollen Passagen auch Längen, die vom Leser vielleicht so empfunden werden, weil er nicht das erlebt hat, was "die Schreibe" von Hellmuth Karasek prägte.

Ich kann z.B. in DAS MAGAZIN keinen SPIEGEL entdecken, weil ich keinen Herrn Rickelmann, keinen Herrn Hawranek, keinen Horst Borghs (damals noch mit "P." dazwischen) bei seinen Hamburg-Besuchen dort entdecken kann. Aber bei all' dem was in DAS MAGAZIN passiert, hätte ich mir z.B. gut eine Szene vorstellen können, wo z.B. ein Redakteur, mit offensichtlich noch erheblichem "Restalkohol" im Blut von Spitzenmanagern eines Konzerns empfangen wird, die aber seinen Zustand tolerieren, weil sie ihn als Werkzeug nutzen möchten. Nicht toleriert wird das von anderen Mitarbeitern des Konzerns, die den Auftritt jenes Redakteurs "unmöglich" finden, einem Kollegen des Redakteurs davon berichten, und dabei übersehen... - aber Hellmuth Karasek hat das Buch geschrieben.

Ich habe z.B. den SPIEGEL durch eigenes Erleben - durch das Verhalten eines Redakteurs - als eine Zeitschrift kennengelernt, die sich eine Geschichte evtl. durch gründliche Recherchen nicht kaputtmacht. Und können Sie sich einen SPIEGEL-Redakteur vorstellen, der die Veröffentlichung einer Geschichte, die ihn zum Inhalt hat, "mit Nachdruck" verhindert?

Nein, DAS MAGAZIN ist keine Darstellung der realen SPIEGEL-Welt. Aber man kann als Journalist eine Menge dazulernen. Wäre DAS MAGAZIN schon vor Jahren erschienen, hätte ich z.B. einer weiblichen Figur in der einzigen von mir jemals geschriebenen Satire ein paar Krampfadern zugeschrieben, weil die sich dann nicht erkannt hätte. Das ist ein Beispiel, zu dem in DAS MAGAZIN geraten wird, um gerichtliche Auseinandersetzungen wegen einer Satire zu vermeiden. - Jetzt wo ich das weiß, ist es zu spät. (Anmerkung: ich hatte sie übrigens gar nicht gemeint. Sonst hätte ich sie anders geschildert. Aber sie hat sich - da ohne Krampfadern - erkannt. Und kämpft nun um Schmerzensgeld.)

DAS MAGAZIN ist wirklich keine Darstellung der realen Welt. Wenn ich z.B. an Zürich denke... - Es steht aber in DAS MAGAZIN zu lesen: "Manchmal kann die Welt schön sein, dachte Doppler. Besonders in Zürich. Wenn die Sonne scheint und man zahlungsfähig ist und einen Platz hat im Baur au Lac, in der Kronenhalle oder bei Agnes Amberg. Doppler blinzelte in den makellos blauen Himmel, als könnte man dem Blau ansehen, daß es hier Frieden gegeben hatte, fünfzig Jahre, siebzig Jahre, hundertsiebzig Jahre. Hundert Jahre Einsamkeit, hundert Jahre Spießigkeit, hundert Jahre Gediegenheit, hundert Jahre Frieden."

Hans Wilhelm Gäb wird eine solche Stelle anders empfinden als ich. Er kennt Zürich auch anders. Ich auch. Jeder wird jede Stelle anders empfinden. Wenn man das Buch in Ruhe und genießerisch liest. Denn das Lesen dieses Buches kann ein Genuß sein, wenn man es so liest, wie es von Hellmuth Karasek gedacht war. Und denen, die nur Bücher von Nobelpreisträgern lesen und in "Drei-Sterne-Lokalen" verkehren sei gesagt, daß auch "Arme Ritter" eine köstliche Nachspeise sein können, wenn sie gut zubereitet ist.

Die Art der Darstellung des Journalismus durch Hellmuth Karasek ist vielleicht genau die, die der heutige Journalismus verdient. Aber das Buch ist keine Abrechnung mit irgendjemand. Aber voller Lebensweisheiten. Wenn ich es bis dahin noch nicht gewußt hätte, ich wüßte es nach dem Lesen folgender Zeilen, warum mich ein paar Managern (u.a.) nicht mögen. Zitat:

"Sie mochte ihn nicht besonders, weil er sie noch aus ihrer ängstlichen Dröge-Zeit kannte: Er war einer jener Zeugen, die man eigentlich nach der Usurpation umbringt, weil sie wissen, daß man keineswegs einem Adelsgeschlecht angehört, dessen Stammbaumwurzeln bis ins 12. Jahrhundert nach Genua zurückreichen, sondern daß man gräßlich neureich ist und vor einem Jahr noch Pachulke geheißen hat."

So einfach ist das Leben. So einfach sind menschliche Handlungen erklärbar. Und so einfach ist DAS MAGAZIN. - Aber mit dem SPIEGEL hat das wenig zu tun. Der Name Opel kommt z.B. in DAS MAGAZIN nur einmal vor. In Verbindung mit Astra. Und es gibt noch einen Manta (ohne den Zusatz Opel.) - Und auch die Lopez-Affäre findet nicht statt. Es treten auch nicht die Informanten des SPIEGEL in dieser Affäre auf. - Also: DAS MAGAZIN ist nicht DER SPIEGEL. Zumal DER SPIEGEL neben dem MAGAZIN immer als Konkurrent erwähnt wird. - Aber das ist wohl so'ne Art "Krampfader-Masche".

Aber das zeigt ja nur, daß Hellmuth Karasek über Erfahrungen verfügt, daß man von ihm lernen kann. Als Journalist. - Als Mensch möchte ich mich von ihm nicht beeinflussen lassen.

Aber das bleibt jedem selbst überlassen. Aber auf keinen Fall sollte man versäumen, dieses Buch zu lesen. Als Journalist.

Und hoffentlich wird man beim Lesen ein wenig nachdenklich.

MK/Wilhelm Hahne