"Wenn du am Boden bist,
fängst du von vorne an.
Du ackerst, schwitzt und fluchst.
Es gelingt dir alles.
Und dann trittst du an, um die Nr. 1 zu werden.
Das ist es, was wir dem
Nachwuchs vermitteln müssen."
                                                Jörg Rosskopf
                                                in der Opel.Imagewerbung

Hier steht das, was anderswo in den Geschichten zum aktuellen Opel-Astra-Rückruf nicht zu lesen ist

150.000 Opel Astra, gerade erst kurze Zeit in Kundenhand, müssen in die Werkstätten zurück. Sagt die Deutsche Presse-Agentur. Anonyme Opel-Vorstände und -Aufsichtsräte werden in der so angeregten Berichterstattung der Presse mit interessanten Aussagen zitiert. - Warum der Rückruf? - Wegen "in vereinzelten Fällen schabenden Geräuschen oder einem rauhen Lauf der Lenkung", sagt Opel. Und reduziert die offizielle Zahl der zurückgerufenen Opel-Fahrzeuge auf "59.600" Stück. Die Firma, die sich gerne als "globaler Player" darstellt, versucht die Aktion in diesem Falle (!) auf ein "provinzielles Niveau" zurückzufahren. Handeln hier Profis wie Amateure? - Oder handelt es sich hier um Amateure, die profihaft zu denken versuchen? - Auf jeden Fall ist diese Opel-Rückrufaktion, wie nachstehend detailliert zu lesen:

"Leistung, die bewegt." (Auch das ist ein Spruch aus der Opel-Werbung)

98-11-13/04.  Es sollte ein großes Opel-Wochenende werden. Die Händler hatten längst ihre Anzeigen zu "Ich ´98" (was immer das heißen mag) plaziert, ihre Aktionen geplant, versucht, neue Interessenten für Opel-Automobile zu gewinnen. In Rüsselsheim, im "Gehirn" des großen deutschen Automobilherstellers (einer Tochter des noch größeren amerikanischen GM-Konzerns) hatte es vorher schon lange "Klick gemacht". Alle Verantwortlichen wußten: der Opel Astra mußte in die Werkstätten zurück.

Aber natürlich wollte man zunächst noch die große Händler-Aktion ohne Störungen durchführen. Die Rückrufaktion sollte exakt eine Woche später offiziell vermeldet werden. Es gab da ganz exakte Pläne. Doch die gingen in der Meldungs-Sturzflut von "dpa" baden. Dabei sollte alles als "eine vergleichsweise harmlsoe Nummer" (ein Opel-Mitarbeiter) dargestellt werden.

Die Deutsche Presse-Agentur verkaufte die Rückrufaktion ähnlich einem Jumbo-Absturz im Herzen des Rhein-Main-Dreiecks: zunächst eine Vorabmeldung und die Ankündigung eines ausführlichen Berichts des eigenen Korrespondenten. Dazwischen kam dann noch ein "Opel bestätigt die Rückrufaktion". - Perfekt!

In Wolfsburg, in Köln und anderswo wird man geradezu gejauchzt haben - Schöner kann es noch nicht einmal Prof. Dr. Kocks. (Dem Anderen "einen rein tun".) Und wieder läuft alles gegen Peter Hanenberger. Nicht zufällig. Denn der ist nun mal von bestimmten Leuten der Opel-Organisation als "Buh-Mann" ausgeguckt, ihm wird nun auch jeder "Schwarze Peter" in die Tasche geschoben werden.

Motor-KRITIK kommt sich da ein wenig "rechts überholt" vor. Aber mit Recht! - Tatsächlich wird nun Peter Hanenberger nicht mehr in Rüsselsheim zu halten sein. Aber, merken Sie sich diesen Motor-KRITIK-Hinweis: nun geht's für Opel auf das Ende zu. Denn der Nachfolger von Peter Hanenberger (der von der amerikanischen GM-Organisation "aufgesaugt" wird) kann nur ein Amerikaner sein. Und der hat dann einen festen Auftrag.

Aber bleiben wir zunächst einmal beim Opel Astra. - Was knarrt und schabt da eigentlich? - Und wo, warum? - Was ist zwischen der 26. und 38. Kalenderwoche in den Astra-Produktionsstätten passiert?

Nun, es geht nun alles "just in time". Das erfordert eine Vorverlegung der Wareneingangskontrolle der Art, wie sie früher einmal möglich war. Heute kontrolliert sich der Zulieferer selbst. Und da es schon mal vorkam, daß beim Astra der ersten Serien eine Lenksäule nicht ganz fest war, hat man offensichtlich nun eine Befestigungschelle um einen Hauch kleiner gemacht. Etwas kleiner kann zu klein sein.

Motor-KRITIK kennt sich eigentlich ein wenig in der Opel-Organisation aus. Ich war lange Jahre dort tätig. Und Junior-Verkäufer von damals sind vielleicht heute Verkaufsleiter oder Geschäftsführer. Trotzdem war es schwierig. Wie die "Frankfurter Neue Presse" schrieb: "In der Rüsselsheimer Opel-Zentrale weigerte man sich jedoch, Einzelheiten über die Ursache der Geräusche mitzuteilen. 'Wir haben unsere Pflicht getan', hieß es lapidar."

Also hier das Ergebnis der Motor-KRITIK-Recherchen, das nicht - wie sonst vielleicht üblich - mit dem Wissen der Opel-Verantwortlichen abgeglichen werden konnte, weil die nicht mehr mit Wilhelm Hahne sprechen. Der war in der Vergangenheit nicht zu nutzen, wird also von den Rüsselsheimer Offiziellen als "Nichtsnutz" behandelt.

Also sind wahrscheinlich auch folgende Infos ohne jeden Opel-Nutzen. Aber dienen vielleicht der Aufklärung.

Die eigentliche Lenksäule, die im Innenraum verläuft, ist beim Astra mit einem Außenrohr ummantelt. In diesem Außenrohr ist die Lenksäule von zwei Lagern geführt, die jeweils mit Schellen (ähnlich wie man sie von Abflußrohren an der Dachrinne eines Hauses kennt) am Armaturenbrett (und was darunter liegt) gehalten werden. Jeweils genau in Lagerhöhe. Also die Schelle umfaßt das Mantelrohr in Höhe der Lager.

Nun ist diese Schelle wohl ein wenig eng ausgefallen, d.h., wenn man sie am Ende wirklich fest anzieht, daß sie sich am Ende fest zusammenzieht, sozusagen "auf Block" geht, dann wird das Lager gepreßt. Der Druck ist dann so stark, daß das Lagerspiel beeinflußt wird. Und bei Lenkvorgängen ist dann schließlich "ein rauher Lauf" oder sogar "schabende Geräusche" zu registrieren (sagt Opel).

Jetzt kommt es: Beim nun erfolgten Rückruf erfolgt eine Kontrolle durch den Händler. Und das eventuelle Abstellen des Drucks auf das Lager erfolgt so, daß man nun zwischen die Enden der Schelle, die sich ja bei starkem Anziehen zusammenpressen, nun eine Scheibe legt. - Fertig ist das, was Motor-KRITIK als "Scheibenkleister" bezeichnen möchte. - Denn eine billigere Lösung ist nicht möglich. Aber ist es die richtige Lösung?

Die kann es eigentlich nicht sein. Denn: durch den übergroßen Druck auf das Lager sind eigentlich Mikroabplattungen entstanden. Die führen - früher oder später - zu einer Beschädigung des Lagerrings. Und noch später... -

Und so macht auch ein Opel-Techniker gegenüber Motor-KRITIK die Aussage: "Sie haben recht. Ob das aus technischer Sicht eine saubere Ingenieurlösung ist, muß bezweifelt werden."

"Aber", so tröstet er sich und die betroffenen Astra-Faher, "diese Lager werden ja nicht groß belastet, haben auch keine wichtige Aufgabe; die führen ja nur die Lenksäule. Da wirken ja keine großen Kräfte auf die Lager ein."- Ein schwacher Trost. Es kann "ja nur" das Lagerspiel größer werden, die Abplattungen können sich vergrößern, der zur Lenkbewegung notwendige Kraftaufwand wird wachsen, aber die Servolenkung... - So kann man sich trösten.

Auffallend in der "dpa"-Berichterstattung ist, daß diese Rückrufaktion genutzt wird, um Peter Hanenberger wieder einmal (das war schon bei der Rücktrittsaktion von Hans Wilhelm Gäb auffallend) anzugreifen. Da heißt es in der "dpa pa yy hn 061397 Nov 98": "Auch die jüngste Rückrufaktion wird Hanenberger angelastet. Im Rüsselsheimer Entwicklungszentrum, dessen Leiter er ist, seien andere Vorschläge für die Lenkung 'aus Kostengründen' abgelehnt worden."

Das sind sehr gute Insider-Informationen. Und wenn es dann weiter heißt: "Schon die um gut ein halbes Jahr verspätete Einführung des Astra habe der Entwicklungschef  'mit einer Politik der Kosteneinsparungen' zu verantworten", dann ist das ebenfalls exakt richtig. - Woher hat Wolf Pampel, der dpa-Korrespondent diese hervorragenden Informationen?

Wenn es dann später heißt: "Das von Hanenberger und dem damaligen GM-Europa-Präsidenten Louis Hughes gebilligte Konzept habe zusätzlich 600 Millionen DM für konstruktive Nachbesserungen und die Verzinkung gekostet, um das wichtigste Opel-Auto Astra dem VW-Golf ebenbürtig zu machen", so spürt man als Kenner, daß hier bewußt eine nicht exakte Zahl genannt wurde. (Die tatsächliche liegt noch höher!) - Wolf Pampel hatte offensichtlich einen sehr guten Informanten.

Aufschlußreich, wenn Pampel schreibt: "'Das ist ein Desaster, schon wieder in die Schlagzeilen zu geraden', sagte ein Mitglied des Aufsichtsrats." - Und Pampel erinnert auch an die "Sicherheit" des Opel Sintra, eine "Ami"-Konstruktion, die von einem Opel-Mitarbeiter gegenüber Motor-KRITIK so bewertet wurde: "Der Sintra ist ein Scheißhaus".

Ende Juni 1999 läuft der Vorstandsvertrag aus, der Peter Hanenberger an Opel in Rüsselsheim bindet. Wetten, daß Peter Hanenberger vorher mit einer großartigen Würdigung seiner Leistungen in der "globalen Organisation" des GM-Konzerns verschwindet? - Amerika hat ihn dann wieder. Dort wird er gebraucht. Dringend.

Und dann wird ein Amerikaner an seine Stelle in Rüsselsheim kommen. Und der wird das Technische Entwicklungszentrum der Rüsselsheimer dann so einordnen, wo es (nach Meinung der amerikanischen Führungsspitze) längst hingehört. Diese Personalentscheidung paßt also exakt in die Absichten des GM-Top-Managements. - Es ist das eigentliche Ende von Opel!

Dann wird irgendwo in Amerika ein Portfolio-Center (von globaler Bedeutung, versteht sich) entstehen. Dort entstehen dann auch alle Plattformen, die in den drei Unterorganisationen des GM-Konzerns dann in für die jeweiligen Märkte entsprechenden Modelle umgesetzt werden sollen. Und überall, ob in Rüsselsheim oder Detroit (oder anderswo in der großen GM-Welt) werden die gleichen Prozesse angewendet, die gleichen Lineale benutzt, die gleichen Software auf den Computern gefahren. Und wenn es irgendwo nicht so läuft (weil z.B. Gewerkschaften oder Betriebsräte nicht mitspielen), dann werden die Dinge eben dahin verlagert, wo es keine Komplikationen gibt.

Und in Rüsselsheim herrscht - wie das "Rückruf-Beispiel" zeigt - nun die Anarchie. Jeder gegen jeden. Und alles läuft gegen Opel. "Und die Dinge, mit denen uns die Zukunft schöngeredet wird, die sind noch meilenweit entfernt", seufzt ein Entwicklungsingenieur. Motor-KRITIK-Frage: "Was heißt hier meilenweit". - Der traurige Opel-Mann konkretisiert: "Noch so um fünf Jahre".

Schöne Aussichten! - Ist denn noch eine Rettung von Opel möglich? - Ein Opel-Mitarbeiter meint: "Ja", schränkt aber gleich ein, "das wäre dann ein Wunder, zu dem man auch eine Art von "007" benötigen würde, mit der Lizenz zum Töten. Außerdem würde der ein dickes Scheckbuch brauchen, alle Vollmachten von Detroit und zwei bis drei Jahre Zeit."

Aber wer glaubt noch an Wunder. - Also: Verabschieden wir uns von Opel, wie wir es im nächsten Jahr dann 100 Jahre gekannt hätten, verabschieden uns von den Organisationsformen, wie sie uns bisher bekannt waren.

Aber wir können uns auch gleichzeitig von Ford verabschieden. Denn dort wird es nicht anders laufen - nur ein wenig unauffälliger - als wir es jetzt bei Opel erleben.

Und glauben Sie nicht denen, die jetzt die Situation bei Opel schönreden wollen. Wie sagte doch der kurzzeitige Opel-Vorstandschef noch vor gar nicht langer Zeit gegenüber dem seriösen Düsseldorfer "Handelsblatt" - und das ohne rot zu werden: Der Produktionsanlauf des seit dem Jahreswechsel hergestellten Astra sei der beste Start gewesen, "den wir jemals hatten". Und: "Die Qualität ist so gut wie nie zuvor."

Da ist es kein Wunder, wenn es mit den Marktanteilen bei Opel immer weiter nach unten geht. Aber auch mit dem, was man so gerne als "Unternehmenskultur" bezeichnet. Insgesamt: "Eine Leistung, die bewegt."

MK/Wilhelm Hahne