Über Firmen, Manager, Menschen: z.B. BMW, Dr. Wolfgang Reitzle, Wolfgang Reitzle

Motor-KRITIK hatte sich verschätzt, als vor 10 Tagen im Internet vermeldet (vorhergesagt) wurde, daß Ford am Freitag darauf bekanntgeben würde, daß Dr. Wolfgang Reitzle... - Es wurde nichts mit der Bekanntgabe. Warum, und warum es nun an diesem Freitag passiert, weshalb die Ford-Information nur sehr kurz sein kann, das alles ist nachstehend zu lesen. Und noch ein wenig mehr. Es kristallisiert sich heraus, daß Motor-KRITIK mit seiner Einschätzung, Dr. Wolfgang Reitzle würde als Group-Vice-President, usw., usw. - Wir glauben diese Einschätzung noch erweitern zu können, weil zwei Wochen später eine weitere Ford-Pressemitteilung erfolgen wird. Nur nicht an einem Freitag. Obwohl das Thema eigentlich auch (bei Ford traditionsgemäß) ein Freitagsthema wäre. Aber dieser Freitag ist dann Karfreitag, so daß man die Meldung auf den Donnerstag vorziehen wird. Das ist in diesem Jahr:

Der 1. April 1999  - Für Ford kein Tag wie jeder andere

99-03-18/01. In diesem Jahr ist es 10 Jahre her, daß Ford für 4,7 Milliarden Mark die Firma Jaguar kaufte. Ein Grund zum Feiern, weil die Entwicklung positiv verlief. Kein Grund, sich bequem zurückzulegen. Bestimmt nicht für jemand, der Jaques A. Nasser heißt und nun seit ein einigen Monaten als Ford-Chef die Möglichkeit hat, sich selbst und seine Ideen in seinem Beruf zu verwirklichen.

Dieser Nasser muß ein guter Manager sein, weil er den Mut hat, einen anderen Spitzen-Manager für seine Firma zu verpflichten. In einem anderen Konzern würde das schon nicht passieren können, weil die Führungsspitze zu schwach ist. - Wer schafft sich schon gerne Konkurrenz im eigenen Haus?

Jaques A. Nasser ist da anders. Das Beste ist jetzt gerade gut genug. Das betrifft nicht nur den Zukauf renommierter Marken und Firmen, sondern auch die Verpflichtung von hervorragenden Leuten, die Neustruktuierung der Organisation, das Aufreißen von alten Strukturen.

So hat er auch keine Sekunde gezögert, als Eberhard von Kuenheim einen Fehler machte, der Dr. Wolfgang Reitzle für BMW verloren gehen ließ. Natürlich hat er ihn sofort an sich, an Ford, an Aston Martin/Jaguar/Volvo gebunden, an jenes Markt-Segment, daß man als das Premium-Segment bezeichnet. Kein Wunder, wenn nun daraus (unter Einbindung von Lincoln?) eine neue Firma bei Ford entsteht, die dann in jene Holding eingebunden sein wird, in der sich auch die Ford AG in Köln befindet.

Aber damit wären wir dann bereits bei der Ford-Meldung vom 1. April.  - Aber lassen Sie mich - am Tag der Aufsichtsratssitzung bei BMW - noch einmal einen Blick zurückwerfen und erklären, warum Ford nicht schon in der letzten Woche verkündete, daß man sich mit Dr. Reitzle über eine Zusammenarbeit verständigt hat.

Nachdem Herr von Kuenheim Herrn Reitzle dazu gebracht hatte, unter seine Arbeit bei BMW einen dicken Strich zu ziehen, war er dann der Meinung, daß der BMW-Mitarbeiter Reitzle nun aber nicht zur Konkurrenz wechseln dürfe. Schließlich erhalte er (vertragsgemäß) sein Geld. Und selbst wenn es keine entsprechende Klausel in seinem Vertrag gäbe, so entspräche es doch einer guten Gepflogenheit in der Branche... usw., usw. -

Jener Aufsichtsratsvorsitzende, der einem Vorstandsmitglied den "Nebenerwerb" mit zwei der Automobilindustrie verbundenen Firmen "genehmigte", empfindet es nun als ungehörig, wenn ein leitender Ingenieur nicht einschlafen und verkümmern, sondern sich weiter entwickeln möchte. Ein Ingenieur, der in unserer Zeit ein Jahr (oder mehr) nicht in seinem Beruf aktiv arbeitet, der ist - wegen der Geschwindigkeit, mit der sich die Technik weiter entwickelt - "weg vom Fenster". - Natürlich würde eine solche Entwicklung BMW und Herrn von Kuenheim gut in den Kram passen. Aber alles hat zwei Seiten.

Und für Dr. Wolfgang Reitzle gibt es nur eine Lösung. Um BMW, die Familie Quandt und deren Vertrauten (in der Vergangenheit), Herrn von Kuenheim, nicht zu brüskieren, hat Dr. Reitzle den (langen) Verhandlungsweg gesucht. Natürlich ging das nicht ohne Anwälte, die die Argumente hin und her geschoben haben. - Und darum gab es vor acht Tagen noch keine Ford-Pressemitteilung. Jaques A. Nasser hatte natürlich Verständnis für die Reitzle-Absicht, eine "weiche Lösung" zu erreichen und hat darum die Öffentlichkeit nicht informiert.

Nun ist heute Aufsichtsratssitzung bei BMW und Herr von Kuenheim hat Gelegenheit, das gesamte AR-Team zum Thema Reitzle zu hören und zu einer Lösung zu kommen, die nicht ausschließlich von ihm getragen wird. Aus dem AR-Umfeld war in den Tagen vor dieser Entscheidung schon mal zu hören, daß Eberhard von Kuenheim sich zu dem Problem des Ausscheidens von Reitzle bei BMW und dem direkten Übergang zu Ford in der Form äußerte: Dieser Herr kann nicht mit meinem Entgegenkommen rechnen.

Umgekehrt ist es inzwischen wohl genauso. Wie man auch der aktuellen Geschichte im "stern" entnehmen kann. BMW würde eine Trennung im Streit sicherlich mehr belasten als Dr. Reitzle. Es würde so manche Maske fallen. Darum rechnet Motor-KRITIK mit einer einvernehmlichen Lösung, aber in jedem Falle heute mit einer Lösung. Denn Dr. Reitzle kann es  nicht ein zweites Mal zulassen, daß diktatorische Entscheidungen eines Herrn aus ostpreußischem Adel seine persönliche Zukunft bestimmen. (Man erinnere sich an den Fall Porsche.)

In jedem Falle wird es also morgen eine Meldung von Ford geben. Aber nach meiner Einschätzung nur eine der Art, daß nun Dr. Wolfgang Reitzle bei Ford einen Vertrag unterschrieben habe. - Wenn allerdings der BMW-AR heute entschieden hat, daß nichts dagegen spricht, wenn Dr. Reitzle zu Ford wechselt, dann könnte Ford auch morgen schon die ganze Wahrheit verkünden.

Man wird bei Ford BMW und seine leitenden Manager nicht über Gebühr reizen wollen. Darum gibt es - wenn es eine "harte Trennung" gab - dann die Auflösung, was und in welcher Funktion Dr. Reitzle bei Ford machen wird, erst am 1. April 1999. - Wie oben schon angekündigt.

Wenn wir hier in der Eifel die Situation richtig beurteilen, wird Dr. Reitzle neben der Gesamtleitung der Premium-Group (s.o.) auch noch die Leitung bei Jaguar übernehmen. Denn zum gleichen Zeitpunkt wird wohl verkündet werden, daß der bisherige Jaguar-Chef, Nick Scheele, die oberste Vertriebsverantwortung (auch Marketing!) bei Ford Europa übernehmen wird. Und Reitzle wird Chef bei Volvo werden. Und wird für Aston Martin verantwortlich sein. - Und natürlich wird er - wie auch schon von Motor-KRITIK vorhergesagt - direkt an Jaques A. Nasser in Detroit berichten.

Es ist abzusehen, daß es bei Ford in den nächsten Monaten zu einer vollkommenen Neustruktuierung kommen wird. Und das ist auch notwendig. Die Trennung des Dr. Reitzle von BMW gibt Ford-Chef Nasser die Möglichkeit, fast unauffällig - um die Geschehnisse um Dr. Reitzle herum - die Neuorganisation durchzusetzen. Und Dr. Reitzle selbst... -

Nun, der hat gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert. Er feiert am gleichen Tag Geburtstag wie Walter Röhrl, wurde genauso an einem 7. März geboren wie Maurice Ravel, der französische impressionistische Komponist, wie Joseph Niepce, der französische Physiker des 18. Jahrhunderts, der mit der "Camera Obscura" erste Fotos schuf, wie Luther Burbank, dem Land- und Gartenbauforscher, der neue Obst-, Baum- und Pflanzensorten entwickelte.

Dr. Wolfgang Reitzle ist einer jener Manager, die ihren scheinbar entrückten und abstrakten Ideen auf eine praktische Art, ganz bodenständig in die Jetztzeit transferieren können. Trotzdem entsteht für viele Menschen anderer Art (z.B. BMW-Bereichsleiter Richard Gaul) der Eindruck, als bewegte sich Reitzle auf einer anderen Daseinsebene.

Reitzle ist ein Mensch, zu dem man nur sehr schwer persönlichen Kontakt findet. Er gehört zu den relativ schweigsamen Leuten, die nicht unbedacht plaudern und tratschen. Er merkt sehr schnell, wo er verstanden und wo er unverstanden bleiben wird. Und er hat überhaupt keine Lust, Zeit und Energie damit zu verbringen, sich gegen unberechtigte Angriffe und Kritik zu verteidigen. Lieber zieht er sich dann zurück.

Wie jetzt bei BMW. Seine Träume um und für die Marke hätten ihn in die Gefangenschaft führen können. Nun führen sie ihn in die Freiheit. Es wird für eine Reihe von BMW-Mitarbeitern überraschend sein, was dieser Mann - nun vollkommen ungebremst - bewirken kann. Oder der Umkehrschluß: allein sein Fehlen bei BMW wird Auswirkungen haben. Vielleicht braucht dieses Firma - anders als der BMW-Öffentlichkeitschef Richard Gaul meint - BMW, doch einen Messias, der über's Wasser schreitet.

Nun geht Dr. Reitzle zunächst einmal für Ford über den Kanal nach England, nach London. Und während man noch bei BMW diskutiert, wie man nun neue Modellreihen anlegt (Bleibt das Retro-Design "in" oder welcher Richtung muß man nun folgen?) werden bei Aston Martin, Jaguar, Volvo, schnell Entscheidungen fallen. Weil dieser Mann sich in seinen Entscheidungen sicher ist. Weil er zwar anders denkt als andere, aber nicht nur richtig empfindet, sondern auch seinen Gedanken eine "erdige Form" geben kann.

Spätestens der 1. April 1999 wird so zu einem bedeutenden Tag für die europäische Automobilindustrie. Und wer nicht anders kann, soll ruhig darüber lachen.

Und wenn nun in der Presse vermutet wird, daß Eberhard von Kuenheim nun doch nicht zur Hauptversammlung im Mai als Aufsichtsratsvorsitzender ausscheidet, sondern dieses Funktion - sozusagen als Wiedergutmachung - noch ein, zwei Jahre weiter ausüben wird, dann irrt sie sich. Aus Motor-KRITIK-Sicht. Jeder Vertrauens-Bonus ist irgendwann einmal aufgebraucht. Sicherlich auch bei der Familie Quandt. Aber das weiß auch ein Eberhard von Kuenheim. Und er wird sich nicht mehr stellen. - Und da Herr Doppelfeld als von Kuenheim-Nachfolger sicherlich auch nicht (mehr) in Frage kommt, bleibt nicht nur die Frage, wer nun den BMW-Aufsichtsrat in Zukunft führen wird.

Denn dieser neue Mann wird aus einer Übergangslösung wieder ein entscheidungsfähiges, die Mitarbeiter begeisterndes, ein mitreißendes Management-Team formen müssen, einen neuen BMW-Vorstand.

MK/Wilhelm Hahne