1999-06-02, in Virneburg/Eifel

Guten Tag!

Nun war ich ein paar Wochen sehr nachdenklich. Ab und zu passiert das jedem Menschen, daß er einmal über das nachdenkt was er tut. Dabei habe ich festgestellt, daß ich nun 30 Jahre keinen Urlaub mehr gemacht habe. (Wenn man die 2 x 3 Tage im letzten Jahr nicht rechnet.) Als ich das einem Bekannten sage, fragt der zurück: "Na und?"; um dann festzustellen, "Du hast doch auch in deinem Leben nie gearbeitet."

Da ist mir dann doch "die Spucke weggeblieben", wie man so schön sagt. Aber mein Bekannter hat seinen Ausspruch erklärt: "Du hast doch in deinem Leben immer nur das gemacht, was dir auch Spaß machte." - Er hat recht. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, daß Arbeit auch als Arbeit empfunden werden muß, daß man darunter zu leiden hat, da habe ich tatsächlich in meinem Leben nie gearbeitet.

Was mich aber in den letzten Wochen einmal innehalten und kräftig durchatmen ließ, war eigentlich der Krieg im Kosovo. Eigentlich immer gedanklich mit der Automobilbranche beschäftigt, wurde mir wieder einmal deutlich gemacht, daß es nicht nur in dieser Branche eine Menge Blödsinn gibt, sondern daß die Welt voller Idioten ist. Unsere Autowelt ist voller Innovationen, die politische Welt erfindet den humanitären Krieg. Und Bomben werden so zu einem humanen Tötungsmittel. - Oder wie soll ich das verstehen?

Als ich in die Schule kam - mit 6 Jahren - da konnte ich schon lesen. Mich hatte immer schon fasziniert, wenn mein Vater aus der Zeitung am Frühstückstisch das Neueste verkündete. Ich wollte auch immer - möglichst früh - das Neueste wissen. Und so habe ich lesen gelernt. Aber mein Vater erklärte mir, daß ich das - was da nun in der Zeitung stand - nicht alles glauben dürfe. "Das ist zum Teil Propaganda", erklärte er mir. Kein Wunder: ich las in der "National-Zeitung".

Später dann, 1944 hat er mir beigebracht, wie man zu einer eigenen Meinungsbildung kommt: ich durfte BBC hören. "Wenn du das jemand sagst, wirst du erschossen", hat er gesagt. Und so habe ich dann die "National-Zeitungs"-Meldungen mit denen der BBC vergleichen können. "Aber auch denen darfst du nicht alles glauben", hat mir mein Vater beigebracht. "Auch hier ist einiges Propaganda."

Und nun erlebe ich wieder Propaganda. Ich habe sie auch im Korea-Krieg erlebt, wo ich (damals noch am Niederrhein wohnend) die Nachrichten der ARD mit denen eines holländischen Fernsehsenders abgleichen konnte. Oft war mir, beide Sender würden von unterschiedlichen Kriegen berichten. Die ARD berichtete offensichtlich ganz im Sinne unserer westlichen Verbündeten, unserer Freunde in den USA. In Holland sah man das alles ein wenig anders.

Nun sind wir mit unseren westlichen Freunden und denen in den USA über einen gemeinsamen Krieg verbunden. Da kann es sich doch nur um einen humanitären Krieg handeln. Schließlich gibt es im Kosovo ethnische Säuberungen. Dort sind die Bösen. Wir sind die Guten. Wir bomben zumindest in gutem Glauben. Und wenn dann schon mal eine Rakete vom Leitstrahl rustscht, ein dummer Busfahrer auf eine Brücke fährt, die gerade als Bombenziel ausgesucht war, wenn sich feindliche Truppen dadurch schützen, daß sie sich innerhalb von Flüchlingtrecks fortbewegen, wenn nun mal ein Stadtplan nicht stimmt, na dann werden eben ein paar zivile Menschen getötet. Aber es ist doch für eine gute Sache. Und die es tun, die tun es anonym, auf die Art, wie wir vielleicht bei einem Waldspaziergang ein paar Ameisen tot treten.

Und im Kosovo eskaliert die Gewalt. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Und Gegengewalt erzeugt noch mehr Gewalt. Und es wird von Vertreibungen, Vergewaltigungen berichtet. Die Feinde vergewaltigen, vertreiben, töten.Ich habe gelernt: Soldaten sind so. Sie sind als Masse genauso menschlich, wie die Masse Touristen am Ballermann auf Mallorca. Und sie sind nun wer. Vor allen Dingen. mächtig eben. In der anonymen Masse. Und Macht will genossen sein. Zum Beispiel bei einer Vergewaltigung.

Auch deutsche Soldaten haben im 2. Weltkrieg vergewaltigt. Ich habe als Kind gehört, wie sich Urlauber damit vor Freunden gebrüstet haben. Und ich habe auch gehört, wie Frauen von Vergewaltigungen erzählten, die sie bei der "Befreiung" (1945) durch US-Soldaten erfahren mußten.

Mich kotzt dieses "objektive" Geschreibe von einer humanitären Kriegsführung an. Auch die überwiegend einseitige Berichterstattung. Natürlich sollte man ethnische Säuberungen nicht hinnehmen. Auch dann nicht, wenn sie z.B. "Siedlungspolitik" genannt werden. Und denke ich an Irland... - Wo müßte man denn da in England bombadieren?

Bisher hatte ich mich nur über die Kollegen aufgeregt, für die alles toll ist, was ihnen als toll von der Industrie verkauft wird, weil sie ungeprüft (weil sie das zum Teil auch nicht können, keine Ahnung, keine Zeit haben) die Pressemitteilungen der Industrie übernehmen. Aber das ist doch bei der Bedeutung eines Krieges plötzlich ganz unwichtig geworden. - Und ich habe über das alles nachgedacht.

Soll ich nun resignieren, aufgeben? - In diese Denkpause (in der ich aber weiter recherchiert habe!) kam dann noch die Endabrechnung der Prozeßkosten vom der Landesjusitzkasse Mainz. Horst P. Borghs hatte gegen mich in einem Satireprozeß gewonnen. Seine Frau auch. - Wie vorher auch Hans Wilhelm Gäb (und seine Frau) gewonnen hatten. Alle hatten etwas aus meiner Satire herausgelesen, was so nicht dort stand. Aber selbst das Gericht war der Meinung, daß ich wohl das gemeint hätte, was die Kläger zu lesen glaubten. Und die Damen und Herren erhalten nun Schmerzensgeld.

In diesem Zusammenhang: ich hörte in diesen Wochen tolle Geschichten über mich. Luki Scheuer, ein besonders netter Kollegen, erzählt sie über mich. Am Telefon, in Zweibrücken, am Rande der Rennstrecke. Und so weiter. Er erzählt - wie ich berichtet bekomme - mehr als ich wissen kann. - Ich gebe zu: das alles deprimiert ein wenig. Aber soll ich nun meine Ideale - die ich immer noch habe, anstrebe - über Bord werfen?

Nein! - Und wenn Sie hören wollen, was Luki Scheuer über mich weiß, rufen Sie ihn doch einfach einmal an. Seine Handy-Nummer ist: 0171-366 34 34. - Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Vielleicht weiß Luki ja mal wieder etwas Neues, von dem ich bisher noch nichts wußte. Und er kann wirklich interessant erzählen.

Ich habe in den letzten Wochen übrigens u.a. auch zwei Bücher gelesen, die ich empfehlen kann. Eins ist so klein und dünn, daß es es in jede Jackentasche paßt und dort nicht aufträgt. "Da tanzten die Mäuse" ist der Titel. Es werden dort "Fabelhafte Wahrheiten" erzählt, schöner als das Luki Scheuer je könnte. Der Autor heißt Peter Spangenberg, ist ein alter Pastor. (Darum wohl auch die Gleichnisse.) Wenn Sie dieses kleine Büchlein haben, werden Sie immer mal wieder reinschauen. ((ISBN 3 7600 0835-6)

Das zweite Buch gibt auch vom Umfang nicht viel her. Es ist eine bequeme Wochenendlektüre. Aber unbequem, wenn man nicht nur liest, sondern auch mit- und nachdenkt, mit empfindet. Titel: "Novecento", von Alessandro Baricco, erschienen bei Piper. (ISBN 3-492-04104-3) Sie erfahren darin auch, wie man etwas exakt beschreiben kann, ohne je dagewesen zu sein (Seite 40). Sie begreifen nach der Lektüre vielleicht, warum man in Virneburg manche Dinge klarer sieht als jene Kollegen, die am Rock der Vorstände hängen. Distanz tut gut. Aber man sollte die Fähigkeit haben, gut zuhören zu können. Vielen zuzuhören.

Und damit sind wir dann wieder bei Motor-KRITIK. Es gibt eine kleine Änderung:  So um die letzten 15 - 20 Geschichten werden Sie nun immer unter der Rubrik: "Das Neueste auf einen Blick" finden. Sie können so sofort erfassen, was Sie schon kennen und was Sie noch lessen müssen. Wenn Sie es wollen.

Und jammern Sie bitte nicht, wenn auch in Zukunft immer wieder relativ lange Geschichten erscheinen. Motor-KRITIK möchte Ihnen Hintergrund vermitteln. Und dazu muß man nun einmal z.B. auch Pressemitteilungen ganz darstellen. Damit Sie selbst vergleichen können.

Sie sollen sich selbst eine Meinung bilden. In Motor-KRITIK stehen Fakten (manchmal auch neue und bisher unbekannte) aber auch Meinung. Meine. Die ist nicht allein seligmachend. Aber Sie können sich nun an einer Meinung mit der ihren reiben. Bei mir ist ein Krieg nicht humanitär und eine technische Innovation nicht unbedingt anbetungswürdig.

Ich schreibe wieder. Und ich arbeite jetzt u.a. die Themen auf, die ich schon angekündigt hatte. Aber es sind - wenn Sie nun in den Inhalt schauen - schon wieder neue Themen hinzugekommen. Ich wollte sie nicht kalt werden lassen.

Und bis zu den nächsten Berichten vergehen jetzt nur Tage. - Schau'n Sie also häufig bei Motor-KRITIK rein.

Guten Tag!

Wilhelm Hahne