250er Motorrad-WM-Lauf Le Castellet: Motor-KRITIK sah etwas, was sonst niemand wahrnahm

Le Castellet ist eine eigenartige Strecke. Wenige Kurven verbinden zwei lange Geraden. Dabei könnten die noch länger sein, wenn man den großen Kurs fahren würde. Aber dann wären am Ende der Mistral-Geraden die Kurven noch gefährlicher. Weil der Vorderradreifen noch weiter herunterkühlt. Und klatsch, rutscht das Vorderrad weg. Das war schon vor Jahrzehnten so. Jetzt, bei den kürzeren Geradeausstrecken ist es nicht mehr so dramatisch. Aber da Linkskurven in Le Castellet selten sind, birgt die erste Linkskurve nach der Mistral immer noch Gefahren. Aber es gibt durch den Streckenverlauf noch eine andere Besonderheit in Le Castellet.

Beim Le-Castellet-GP hat der Windschatten deutliche Auswirkungen

99-06-02/02. Jeder Rennfahrer lernt: Windschatten macht schneller. Darum bemühen sich die Langsamen bei den Schnellen auf langen Geraden in den Windschatten zu kommen. Ist die Leistungsdichte in einer Kategorie hoch, bilden sich dann größe Gruppen von miteinander kämpfenden Maschinen. Der bei Top-Teams immer noch vorhandene Leistungsüberschuß kommt dann nicht so zum Tragen. Zumal das sich gegenseitig belauern nicht schneller macht.

Die Ideal-Version - gerade in Le Castellet - wäre also, mit soviel Leistungsüberschuß am Start zu stehen, daß man gleich wegfahren kann. Haben die anderen den Anschluß einmal verloren, steht einem Sieg kaum noch etwas im Wege. Es sei denn, die eigene Kondition, die zu Fahrfehlern führt. - Oder ein technischer Defekt.

Der brachte in Frankreich in der 250er Klasse auch Valentino Rossi um den Erfolg. In der letzten Runde des Rennens riß die Antriebskette. - Aus! - Dabei hatte alles so schön begonnen.

Valentino Rossi hatte mit seiner Aprilia Trainingsbestzeit gefahren, stand in der ersten Startreihe auf dem besten Startplatz. Aber das bedeutet in Le Castellet gar nichts. Schon das 125er-Rennen hatte gezeigt, daß man in großen Pulks - Rad an Rad - die Bahn umkreiste. Locatelli konnte sich dann absetzen und - gewann mit gut 6 sec Vorsprung.

Nun weiß man als Kenner der Rennzweitakter, daß die im Verlaufe des Rennens immer mehr an Leistung verlieren, je höher die Kurbelgehäusetemperatur ansteigt. Darum fährt man bei den Rennmaschinen mit so niedrigen Wassertemperaturen. Niedrige Temperaturen bringen Leistung.- Während bei anderen GP-Rennen der Startplatz, also das Trainingsergebnis sehr, sehr wichtig ist, kommt dem in Le Castellet weniger Bedeutung zu. Die Renntaktik ist wichtig.

Schauen wir uns einmal das Rennergebnis in den einzelnen Klassen bis Platz 10 an. Genannt wird für das Rennresultat auf den Plätzen 1 bis 10 immer der Startplatz, den der Plazierte nach dem Training eingenommen hatte.
 
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
125er
3
6
5
2
11
8
4
14
17
7
250er
4
5
8
6
12
2
13
14
19
10
500er
5
3
7
14
4
10
15
13
8
12

Natürlich spielen hier auch die Ausfälle durch Stürze eine Rolle. Dazu gibt es oben ja schon die Erklärung. Aber auch der Windschatten spielt eine Rolle. Und das Wichtigste - weil Einfachste - wäre bei diesen durch die Rennstrecke bedingten Voraussetzungen: man setzt sich früh vom ersten Pulk ab, fährt praktisch unbelastet durch Zweikämpfe sein Rennen und siegt.

Valentino Rossi wußte, daß er schnell war. Schließlich war er schon im Training der Schnellste in der 250er Klasse gewesen. Aber er würde schon noch einen kleinen Leistungsüberschuß brauchen, wenn er der Masse seiner Verfolger entkommen wollte. Und den erreicht man mit einem kühleren Kurbelgehäuse als es die anderen haben.

Und hier sah Motor-KRITIK die taktische Leistung des Teams. Während andere Beobachter den Vorgang als "Pech" werteten. Rossi verpaßte nämlich mit seiner Aprilia die Ausfahrt aus der Boxengasse hin zur Startaufstellung. Als die Boxengasse mit "Rotlicht" für geschlossen erklärt wurde, wurde an Rossi's Maschine noch gearbeitet.

Das Reglement erlaubt nun aber trotzdem seinen Startplatz einzunehmen, wenn man bei der Einführungsrunde - vor dem eigentlichen Startvorgang - am das Starterfeld hinten abschließenden Safty-Car vorbeikommt. Das ist mit einer 250er Rennmaschine kein Problem. Und theoretisch kann solch ein nachstartendes Motorrad etwas weniger Benzin mitnehmen, weil es ja eine - wenn auch langsame - Runde weniger fährt.

Motor-KRITIK-Theorie: geringeres Startgewicht, kühleres Kurbelgehäuse = größere Chancen, sich vom Feld abzusetzen.

Natürlich kann es sein, daß Rossi wirklich vor dem Start noch ein Problem hatte. Aber vielleicht gab es dort auch das besser denkende Team. Denn nach dem Start lief alles so ab, wie man sich das idealerweise vorstelle. Rossi war vorher als Letzter in die erste Startreihe gerollt, hatte also die kürzeste Standzeit.

Direkt nach dem Start gin Rossi kein Risiko ein. Er mußte schließlich auch an seine Reifentemperatur denken. Direkt nach der ersten Runde, vor der ersten Kurve der 2. Runde ging er dann in Führung und setzt sich leicht vom Feld ab. Rossi kann dann seinen Vorsprung ausbauen, als man sich hinten im Pulk kräftiger bekämpft.

Als Rossi dann in der letzten Runde - er hat nur noch ein paar Kurven vor sich - ausrollt, da hat er bis dahin einen höheren Durchschnitt gefahren, als ihn der spätere Sieger (Ukawa) erreichen wird. Rossi fuhr 162,163, Ukawa 161,904 km/h Durchschnitt. Eine Kette verhinderte den Erfolg von Rossi.

Wenn das mit dem Nachstarten von Rossi ein Zufall war, dann war es ein glücklicher Zufall. Wenn es ein taktischer Schachzug war: Gratulatione!

Aber man kann das nicht immer machen. Schließlich würde das auch den dümmsten Beobachtern auffallen. Und es würde auch nicht auf jeder Rennstrecke Sinn machen. Aber in Le Castellet... -

Auch Fernsehen kann spannend sein. Wenn so ein Rossi das alles umsetzt, was man persönlich als eine perfekte Strategie empfindet. Und als Rossi dann ausrollte, da befürchtete ich schon fast, daß er ohne Benzin ausgerollt sei. Aber es war dann die Kette. Wobei auch ein anderer Aprilia-Fahrer (Lucchi) Ärger mit seiner Antriebskette hatte.

Aber so ist das nun einmal im Motorsport: Ein wenig Glück gehört immer dazu.

MK/Wilhelm Hahne