Und er fragt in seinem Brief (in Heft Nr. 22, vom 13. Oktober zu lesen): "Worauf sollen die Autofahrer achten, auf wen können sie sich eigentlich verlassen außer auf sich selbst?"
Und Dr. Peter Kiegeland antwortet mit einer Wiederholung der Frage: "Auf wen können sich Autofahrer in dieser Situation verlassen außer auf sich selbst? Die Antwort: auf niemanden sonst."
Nun wissen wir eigentlich, was uns auch schon voher unser gesunder Menschenverstand sagte. Wenn es da im Brief des Herrn Günter Wiechmann, ausgewiesener Automobil-Fachmann und seit Jahrzehnten Chefredakteur, eine Stelle gäbe, die beim aufmerksamen Leser Hoffnungen weckt. Wiechmann fragt:
"Ist nicht die Industrie gefordert? Schließlich kann es nicht nur Fahrern von Luxusklasse-Fahrzeugen vorbehalten bleiben, ein Abstandsradarsystem zu ordern. Bislang bietet nur Mercedes das 'Distronic' für 4524 Mark an."
Da kann natürlich Herr Dr. Peter Kiegeland als bedeutender Verkehrspsychologe nicht zugeben, dass er eigentlich davon keine Ahnung hat. Also formuliert er seine Antwort auf die Wiechmann-Frage sehr vorsichtig:
"Technische Unterstützung ist in Nebelsituationen wünschenswert. Vereinzelt ist sie schon verfügbar, wenn auch zu einem hohen Preis. Der technische Fortschritt läßt hoffen, dass leistungsfähige Systeme bald preisgünstiger werden und weite Verbreitung finden."
Aber nicht nur Dr. Peter Kiegeland ist auf dem Gebiet eines Abstandsradarsystems und seine Einsatzmöglichkeiten ohne tiefschürfendes Wissen, auch die Darstellung des Herrn Wiechmann, die die Mercedes-"Distronic" geradezu als ein Sicherheitssystem gerade bei Nebelfahrt erscheinen lässt, geht meilenweit an der Realität vorbei.
Aber es liest sich gut. Und die Industrie wird gefordert. Und nur reiche Leute können bisher... - Das macht sich für die Leser eines Drei-Mark-Fünfzig-Heftes gut. Und auch sein Diskussionspartner ist voller Hoffnung, dass... - Und beide beweisen damit, dass sie eigentlich keine Ahnung haben.
Denn, lieber Herr Wiechmann, die "Distronic" ist kein Sicherheits-, sondern ein Komfortsystem. Und dass das ein Abstandswarnsystem ist, ist gerade bei Nebel seine Schwäche. Man sollte jedem Besitzer einer solchen "Innovation" empfehlen, es im Ernstfall - also bei Nebel - abzuschalten. (Wie das auch DaimlerChrysler - Mercedes - tut!)
Aber dazu muß man die Wirkungsweise dieses Geräts kennen. Motor-KRITIK-Abonnenten kennen sie. Speziell für Herrn Wiechmann darf ich noch einmal wiederholen, was schon in meiner Geschichte ab 17. Januar 1999, unter dem Titel, "Die Distronic versagte - und wenn ich nicht gebremst hätte...", zu lesen war. Hier folgt der Einfachheit halber ein Auszug meiner Geschichte, die damals nur für Abonnenten zu lesen war. Heute kann sie dann auch von Herrn Günter Wiechmann und Herrn Dr. Peter Kiegeland erreicht werden, weil nachstgehend zumindest der Abschnitt zu lesen ist, der die "Nebeltauglichkeit" der "Distronic" behandelt:
"In der jetzigen Form weist das System noch einige Schwächen auf, die besonders dann deutlich werden, wenn man das System nicht für sich, sondern in Verbindung mit seinen Nutzern, den Menschen betrachtet. Man kann das so oberflächlich tun, wie das z.B. der TÜV Rheinland/Berlin-Brandburg, Köln tut. Zitat:
"Die Distronic erleichtert das Autofahren
vor allem
auf viel befahrenen Strecken. In gewissen
Situationen kann sie sogar vor Gefahren schützen.
Der Autofahrer versteht, die elektronisch
gesteuerte
Distanz-Regelung als Hilfe beim Fahren gut
zu
nutzen, und hat mit dem Handling keine Probleme.
Dies ist das Ergebnis von umfangreichen Tests
mit
Anwendern, die das Institut für Verkehrssicherheit
des TÜV Rheinland/Berlin-Brandenburg
im Laufe der
letzten Jahre mit solchen Systemen für
verschiedene
Autohersteller, unter anderem auch
DaimlerChrysler, durchgeführt hat. Insofern
handelt
es sich bei der Distronic um eine konsequente
Weiterentwicklung elektronischer Assistenzsysteme,
die in neuen Autos immer häufiger zum
Einsatz
kommen werden."
Stellen wir der Meinung (und den Feststellungen) der Fachleute vom TÜV die der Fachleute von der BAST, der Bundesanstalt für Straßenwesen, gegenüber. Zitat:
"Auf der Grundlage einer Literaturstudie
und der
Analyse von Bewertungen vorhandener
Ausrüstungen anhand einer Checkliste
zu
PROMETHEUS erfolgte eine Sichtung bereits
durchgeführter Fahrverhaltensbeobachtungen
in
Fahrzeugen mit neuen Sicherheitssystemen.
Aus dem
gewonnenen Datenmaterial wurden Hypothesen
über
die möglichen Auswirkungen automatischer
Abstands- und Geschwindigkeitsregler entwickelt
und im Rahmen von Round-Table-Diskussionen
in
Deutschland, Österreich und Schweden
erörtert. Auf
einer Versuchsstrecke wurde das Fahrverhalten
bei
zwei unterschiedlichen Automatisierungsgraden
der
Fahrzeugtechnik hinsichtlich verschiedener
Fahrverhaltensmerkmale der Testfahrer, wie
beispielsweise Tempowahl, Überholen,
Spurwechsel
oder Abstandhalten sowie das Interaktionsverhalten
mit anderen Verkehrsteilnehmern bewertet ...
Ziel
war es, Einstellungstypen in bezug auf
Verkehrsverhalten und spezielle Merkmale des
Straßenverkehrs zu definieren sowie
Differenzierungen von Verhaltensanpassung
nach
diesen Typen vorzunehmen."
Zu den Ergebnissen sagen die Fachleute der BAST:
"Eine wichtige Rolle im Verhalten des
Fahrzeugführers anderen - vor allem schwächeren
-
Verkehrsteilnehmern gegenüber spielt
die Einstellung
zum Autofahren und zu anderen
Verkehrsteilnehmern. Es konnten drei
Fahrer-Einstellungstypen gefunden werden:
"hart/risikofreudig"
"lässig/eigenwillig"
"aktiv/dynamisch"
Die persönlichkeitsbezogenen Unterschiede
im
Einstellungs- und Gefühlsbereich reichen
von der Delegierung
der Verantwortung an
das System
über das
Gefühl höherer subjektiver Sicherheit
bis zu einem
Unbehagen wegen eines
angeblichen
Kontrollverlust.
Beispiele des Systemeinflusses auf Fähigkeiten
und
Fertigkeiten sind unter anderem eine veränderte
Aufmerksamkeit. eine verminderte Sensibilität
für
Gefahren und die Zunahme von
Überwachungsaufgaben."
Das hört sich anders an als beim TÜV. Und bei weiteren
Recherchen wurde noch eine weitere gravierende Schwäche der DaimlerChrysler
"Distronic" deutlich, die - zumindest bei Motor-KRITIK - die Einordnung
des Systems als ein Unsicherheitsfaktor deutlich verstärkte: das Radarsystem
der von DaimlerChrysler in der neuen Mercedes S-Klasse verbauten "Distronic"
sieht auch bei Nebel besser als das menschliche Auge. Aber nur das, was
ihm im Rahmen seiner
technischen Fertig- und Möglichkeiten vorgegeben ist.
Die DaimlerChrysler-Tochter Aerospace AG beschreibt ein solches System so:
"Ein intelligenter Tempomat - ausgestattet
mit einem
Radarsensor - orientiert sich zu jedem Zeitpunkt
am
jeweiligen Verkehrsumfeld. Er detektiert und
bewertet alle vorausfahrenden Fahrzeuge, mißt
deren Abstand und Geschwindigkeit zum eigenen
Auto und paßt durch Eingriff in Gas
und Bremse die
Geschwindigkeit zum vorausfahrenden Fahrzeug
an.
Fährt dieses Fahrzeug wieder schneller
oder verläßt
es die Spur, beschleunigt das TPR-Fahrzeug
erneut
auf die zuvor eingestellte Geschwindigkeit.
Dies
entlastet den Fahrer auf langen Strecken,
insbesondere bei schlechtem Wetter, wie zum
Beispiel
Regen oder schlechter Sicht."
Schildern wir zunächst einmal exakt die Möglichkeiten des in der S-Klasse verbauten "Distronic"-Systems:
Das System hat eine Reichweite (Sichtweite) von 150 Meter, funktioniert
im Geschwindigkeitsbereich zwischen 40 und 160 km/h und läßt
sich auf einen zeitlichen Abstand zum Vordermann von 1,0 bis 2,0 Sekunden
einstellen. Aber es werden nur Fahrzeuge oder Gegenstände erkannt,
die sich mit einer Geschwindigkeit von oberhalb 10 Prozent der eigenen
Geschwindigkeit fortbewegen. Stehende Gegenstände werden so spät
gemeldet, daß ein Crash nur noch durch
ein Ausweichmanöver, aber nicht durch Bremsen zu umgehen ist.
Tatsache: auch im Notfall veranlaßt die "Distronic" nur eine
weiche Bremsung mit einer Verzögerung von zwei Metern pro Sekunde²,
fordert aber den Fahrer gleichzeitig per Signal zu einer Vollbremsungauf.
Wenn sich nun der Fahrer aber auf sein elektronisches System verläßt
und nicht voll angespannt den Verkehr und seine Instrumente
beobachtet... -
Außerdem besteht die Gefahr, daß ein System "zur Risikokompentsation
mißbraucht" wird, wie die BAST, die
Bundesanstalt für Straßenwesen in einer Untersuchung
feststellen ließ.
Derzeit sieht die "Distronic" z.B. im Nebel besser als das menschliche Augen. Da ist die Versuchung groß, mit einem solchen System im dichten Nebel schneller zu fahren, als man es ohne System täte. Und alles funktioniert ja auch so lange und gut, wie die Geschwindigkeit des Vordermannes höher als 10 Prozent der eigenen Geschwindigkeit beträgt. Hat sich aber im dichten Nebel vor einem ein Unfall ereignet (pro Jahr ereignen sich ca. 1000 solcher Nebelunfälle), dann stehen die Unfallfahrzeuge auf der Fahrbahn, die "Distronic" kann sie (da vom Menschen so ausgelegt) nicht wahrnehmen, bremst im letzten Moment mit "komfortablen" zwei Metern pro Sekunde²; und noch während das System den Lenker zur Vollbremsung auffordert, hat es schon gekracht.
Weil man diese Schwäche des "innovativen Systems", des Abstandsregel-Tempomaten, der sich bei DaimlerChrysler "Distronic" nennt, kennt, haben andere Automobilhersteller mit einem solchen System noch nicht den Schritt in die Serienfertigung gewagt. Man arbeitet zunächst an der Perfektion, die z.B. im Falle Opel so aussieht,daß man dem Gerät noch einen Nebelsensor mitgibt. Ein integrierter Infrarotlaser sendet hier (zusätzlich zu den Strahlen des Radargeräts) für das menschliche Auge unsichtbare Meßstrahlen aus. Das Empfangsteil registriert die von den Nebeltröpfchen reflektierten Strahlen., Aus dem Grad der Reflektionen errechnet dann ein Computer die Sichtweite und begrenzt dann die vom Radargerät eigentlich noch hingenommene, auf eine der Sichtweite entsprechende Geschwindigkeit .
Radar, Laser, Antennen, Empfänger, Sensoren, Rechner, Stellmotoren, Kabel, Lichtleiter, Schnittstellen. - Wie zuverlässig kann so ein System sein?
Die Schiffahrt benutzt Radar, um auch noch bei Nebel fahren zu können. Wer sich aber z.B. mit einem Kunststoffboot unter die großen Dampfer mischt, die mit Radar-Augen durch den Nebel fahren, der sollte einen Radar-Reflektor am Mast befestigt haben. Denn Kunststoffboote erkennt ein Radargerät nur schlecht. So wird auf einer Autobahn ein Trabant oder eine Corvette sicherlich auch nur schlechter erkannt werden können als ein Tanklastzug. Menschen werden vom Radargerät auch praktisch übersehen werden, da einmal nicht aus dem Stoff bestehen, den Radargeräte besonders mögen, auf der anderen Seite sind sie - zumindest für die "Distronic" - auch zu langsam.
Also was sollen solche Geräte in einem Automobil? - Eigentlich
erhöhen sie objektiv im realen Fahreinsatz (unter Berücksichtigung
der menschlichen Schwächen - s. BAST) die Gefahr, sind auch zusätzliche
Fehlerquellen im Betrieb eines Automobils. Wie derzeit auch dieLagerbestände
bei der neuen S-Klasse in Sindelfingen (und
Umgebung) beweisen."
Soweit meine "alte" Geschichte, die aber immer noch aktuell ist. An den grundsätzlichen Fehlern der "Distronic" die heute eigentlich nur einen auf seine Einsatzmöglichkeiten bezogenen Wert von weniger als 1000 Mark hat (aber mehr als 4.500 Mark kostet) hat sich nichts geändert. Und auch die "Reichen" sind von dem System nicht unbedingt angetan. Obwohl die neue S-Klasse bisher viele, viele tausend Mal verkauft wurde, wurde die "Distornic" von den Stuttgartern nur gut 1.600 (in Worten: Eintausendsechshundert) mal an den Mann gebracht. - Wie gut.
Um Herrn Wiechmann eine Anfrage bei Mercedes (pardon: DaimlerChrysler) zu ersparen, habe ich Ende September noch einmal in Stuttgart nachgehört und zur "Distronic" folgende Auskunft erhalten:
"Die seit Frühjahr 1999 für Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz erhältliche Distronic ist ein Komfort-System, das den Fahrer in bestimmten Situationen des realen Fahrbetriebes positiv unterstützt, es entbindet ihn aber nicht von seiner Verantwortung.Noch einmal für den Herrn Chefredakteur Günter Wiechmann zum Mitschreiben: "Sie soll deshalb z.B. bei Straßenglätte oder bei Nebel nicht benutzt werden." - Gemeint ist die "Distronic", von der Herr Wiechmann fordert, dass sie "nicht nur Fahrern von Luxusklasse-Fahrzeugen vorbehalten bleiben" darf.Die Funktion der Radarsensoren der Distronic arbeiten weitestgehend uneingeschränkt auch bei Nebel, die Distronic passt sich aber nicht automatisch den Straßen- und Sichtverhältnissen an. Sie soll deshalb z.B. bei Straßenglätte oder bei Nebel nicht benutzt werden. Dieser Hinweis ist in der aktuellen Betriebsanleitung entsprechend deutlich vermerkt."
Es wäre schön, wenn er seine Leser in einem seiner nächsten Hefte der "Auto Zeitung" über die "Distronic" aufklären und warnen (!) würde. Und vielleicht informiert er auch seinen Briefpartner, dass man bisher als Fahrer bei Nebel nur einem trauen darf: sich selbst. Das Bla-bla vom "technischen Fortschritt" kann er dann beim nächsten Mal weglassen.
Denn ein Heft für DM 3,50 wird eben öfter gelesen als ein Informationsdienst, den sich noch nicht einmal die "Auto Zeitung" leisten kann. - Manchmal ist es eben notwendig, vor dem technischen Fortschritt zu warnen. Wenn er sich nur als ein Marketing-Verkaufsargument erweist.- Für 4.524 Mark.