Nürburgring: Beschränktes Vergnügen?

In der „Stuttgarter Zeitung“ ist heute – 30. April 2012 - ein Interview mit Kurt Beck veröffentlicht. Damit es nicht zu lang wird, hat man die Antworten nicht hinterfragt. Es ist also ein Interview, wie man heute Interviews macht. Ich nehme mal „klassische Antworten“ des Herrn Beck heraus und stelle meine Rechercheergebnisse gegenüber. Einfach so.

Nürburgring: Beschränktes Vergnügen?

Da fragt der Journalist den Herrn Ministerpräsidenten u.a.: „Warum haben Sie sich über die Chancen des Projekts Freizeitpark so getäuscht?“ - Und der Herr Ministerpräsident antwortet u.a.:

„Zum Glück ist von dem Horrorszenario mit mehr als hundert Entlassungen nicht viel übrig. Nun gibt es wohl 24 Kündigungen. Außerdem müssen wir mit der EU-Kommission verhandeln, die meint, es wären unzulässig Beihilfen geflossen. Dem widerspreche ich. Das waren keine Beihilfen, sondern es ging um Strukturpolitik.“

Die o. notierte Frage ist im Original länger und die Antwort auch. Und lässt man bekannt gewordene Aufschreie der Gewerkschaft und die Zahlen aus öffentlich geführten Diskussionen an sich vorbeiziehen, dann nickt man vielleicht einfach zum ersten Teil der Beck-Antwort.

Man könnte aber auch anders reagieren. Vielleicht so:

Natürlich (?) wurde bei der Planung mit Zahlen gespielt. Die waren umso größer, je weniger die beauftragten „Institute“ Ahnung hatten. Heute wird gerne damit argumentiert, dass die Basiszahlen nicht stimmten und darum... - Und warum hat man keine eigenen Erhebungen angestellt?

Man reicht gerne die Verantwortung an den damaligen Geschäftsführer Dr. Kafitz durch. Das machen nicht nur die Gutachter, sondern auch die Aufsichtsratsmitglieder und sogar die Leute, die damals von bestimmten Politikern als „Investoren“ ins Rampenlicht geschoben wurden und zumindest in dieser Phase gerne selbst mit großen Zahlen spielten.

Heute empfinden sie sich als „Betrogene“. Fühlt sich auch Kurt Beck hintergangen? - Wer gab denn jeweils die „Vorwärts“-Befehle? - Und nun empfindet es Kurt Beck wohl als ganz toll, dass es nicht zu einem „Horrorzenario“ am Nürburgring gekommen ist, wo in einer gewissen Phase tatsächlich öffentlich „von mehr als hundert Entlassungen“ gesprochen wurde. - Hat es – nehmen wir mal den Zeitraum Frühjahr 2011 bis Frühjahr 2012 – kaum einen Beschäftigtenabbau gegeben? - Nur 24?

Natürlich kann ich nicht über exaktes Zahlenmaterial verfügen. Das sollte die Staatskanzlei nach dem Lesen dieser Darstellung einmal in Nürburg anfordern, um diese Grundsatz-Information hier bestätigt zu bekommen.

Es gab vor einem Jahr so um 420 Mitarbeiter beim neuen Gesamtkomplex Nürburgring, der inzwischen mehr als eine Rennstrecke ist. Darum hat sich auch (u.a.) ein Freizeitpark über die Beihilfeleistungen der Regierung Beck in Brüssel beschwert. Für Kurt Beck sieht aber darin „kein Haushaltsrisiko“ entstehen.

Als im letzten Sommer auch für den Dümmsten deutlich wurde, dass der Komplex „Grüne Hölle“ - und andere Objekte des „Freizeitparks“ (?) nicht funktionierten, da hat man sich kurzfristig bei den Betreibern von um 40 Mitarbeitern getrennt. Es gab eine Reihe von Eigen-Kündigungen, andere Kündigungen könnte man besser als Auflösung von Zeitarbeitsverträgen bezeichnen.

Gute Leute sind in der Folge gerne freiwillig ausgeschieden, weil die Situation für sie deutlich und klar zu durchschauen war. Andere wurden entlassen.

In der letzten Woche wurden – soweit ich das feststellen kann – noch 16 Kündigungen ausgesprochen. Darunter war eine Dame, die man intern der Geschäftsleitung zurechnete und zu deren Arbeit es noch kurz vorher eine Pressemitteilung der NAG gab.

Wenn man das „stille Verschwinden“ von Arbeitsplätzen in den letzen 12 Monaten, alle „Personalverluste“ mal addiert, ganz gleich ob es sich um Kündigungen, Auflösungen von Zeitarbeitsverträgen oder Eigenkündigungen handelte, so müsste im Moment der Personalstand bei um 280 Mitarbeitern liegen, was bedeutet:

In einem Jahr wurden beim Projekt „Nürburgring 2009“, der „Strukturmaßnahme“ (?) der Regierung Kurt Beck 140 Arbeitsplätze vernichtet. - Oder wie soll man das sonst bezeichnen?

Eine hervorragende Leistung, wenn man die dafür vorgenommenen Aufwendungen mit 524 Millionen erfasst, wie das die EU-Kommission in Brüssel detailiert auflistet und als „Beihilfe“ wertet.

Für den reinen Rennstrecken-Betrieb, die -Verwaltung, die -Pflege und -Instandhaltung würden in Zukunft übrigens um 40 – 50 Mitarbeiter notwendig sein. Alle anderen Zahlen stehen praktisch auf Luftballons, die bald platzen werden.

Kurt Beck heute in der „Stuttgarter Zeitung“:

„Heute würden wir den Freizeitpark einige Nummern kleiner und damit auch deutlich preisgünstiger planen. Wir entwickeln nun ein Konzept, das Unternehmen mit neuen Partnern zukunftsfähig zu machen.“

Und stellt fest:

„Wir haben im Etat mit 254 Millionen Euro Vorsorge getroffen, um für alle Eventualfälle einer neuen Aufstellung gerüstet zu sein.“

Wie das Geld bereit gestellt wurde und woher es kommt, ist manchen Politikern ein Rätsel. Aber kann man Kurt Beck vorwerfen, dass er keine Ahnung hat? - Er betont auch noch mal im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“:

„Die Fachleute haben gesagt, dass eine ganzjährige Nutzung zu bewerkstelligen sei, Arbeitsplätze entstehen würden und sich das Ganze auch noch rechne.“

Welche Fachleute? - Die nahe gelegene Wetterstation ist z.B. nie und von niemand befragt worden. Welche Fachleute gibt es denn wohl sonst noch, wenn es um die Möglichkeiten einer „ganzjährigen Nutzung“ geht? - Aber es war einer der heutigen Betreiber des Lindner-Hotels, Otto Lindner, der mir vor Jahren in einem Telefongespräch schon klar zu machen versuchte:

„Das interessante an diesem Projekt ist doch, dass es politisch gewollt ist.“

Von wem? - Wer hat seinen Einfluss geltend gemacht, um hier Millionen zu versenken?

Leider gab es zu wenig sachliche Einwände von außen. Wenn man aktuell erlebt, dass Journalisten die sich selbst um eine Veröffentlichung der umstrittenen Pachtverträge bemüht haben, heute bestimmte Teile des Nürburgring-Projekts Besitzern zuordnen, die es lt. Pachtvertrag, den sie selbst veröffentlich haben (!), nicht sein können, dann muss man sich auch nicht über unwidersprochene falsche Aussagen eines Kurt Beck in einem Interview wundern.

Wer hat eigentlich inzwischen nicht die Übersicht verloren?

MK/Wilhelm Hahne

PS: Sie kennen inzwischen meine Feststellung und Meinung: Nero hat Selbstmord begangen. - Kurt Beck sollte einfach zurücktreten.

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