7. Oktober 2014: Lieber Leser!

Wenn ich aktuell Zeitung lese oder Radio höre, dann sind das in diesen Tagen immer wieder die gleichen Themen, bei denen sich die Kollegen zu Kommentaren angeregt fühlen. Da geht es z.B. um den Unfall von Jules Bianchi in Suzuka. Und es gibt Schuldzuweisungen der unterschiedlichsten Art. Da lässt sich ein Schwimmstar („Weltstar“!) mit Alkohol im Blut am Steuer eines Automobils erwischen. Auch hier gibt es Erklärungen – und wieder andere Erklärungen. Und man stellt Fragen über Fragen, hinterfragt die Verantwortung von Diesen und Jenen. Wenn Ex-Formel 1-Pilot Andrea de Cesaris bei einem Motorradunfall stirbt, bleibt es bei der Meldung und vieler Hinweise darauf, dass er ja niemals so wirklich erfolgreich war. - Damit ich es nicht vergesse: Gegenüber Motor-KRITIK gibt es jetzt oft – und immer öfter – die Empfehlung, doch nun in Sachen Nürburgring endlich Ruhe einkehren zu lassen. Schließlich sei nun ein Punkt erreicht... - Gleichzeitig klagen andere über die Verluste, die sie in den letzten Jahren – eben wegen der Situation am Nürburgring – hinnehmen mussten. - Man kann das Thema Nürburgring nun mal nicht mit ein paar Sätzen abhandeln, wie das gerade im „Schwarzbuch“ vom Bund der Steuerzahler unter dem Obertitel „Nachlese“ geschieht. - „Nürburgring 2009“ fällt nicht unter „Nachlese“. Wir befinden uns gerade am Anfang des 3. Aktes einer Tragik-Komödie!

7. Oktober 2014: Lieber Leser!

Eigentlich kann man all' diese Geschehnisse mit einer Wort-Klammer verbinden. Und die heißt: fehlende Eigenverantwortung und überzogenes Selbstbewustsein.

In Suzuka nach Verantwortlichen zu suchen ist nach meiner Ansicht überflüssig. Jules Bianchi hatte sich für den Beruf eines Rennfahrers entschieden. Rennen werden bei jedem Wetter gefahren. Nun hatte Bianchi nicht gerade das beste Fahrzeug, konnte niemals mit schnellsten Zeiten oder vorderen Plätzen glänzen. Aber er musste in seinem Beruf wohl in der Lage sein, sowohl Rennen bei trockener, wie nasser Strecke zu fahren.

Er hat es auch getan. - Wie alle anderen Fahrer in diesem Rennzirkus bis zum Rennen in Singapur sozusagen „funkgesteuert“. Da wurde den Fahrern sogar vorgesagt, in welchem Gang sie besser eine Kurve durchfahren sollten, was sie am Lenkrad in welchem Moment verstellen müssen und ob ihre Fahrweise so relaxt ist, dass das Benzin reicht. (Vergleichen Sie mal die Qualifying- und die Rundenzeiten, die gegen Ende eines Rennens – mit wenig Benzin – gefahren werden.)

Die Situation war also ähnlich wie die in einem Kindergarten. Und in Pressekonferenzen, zu denen das Erscheinen Pflicht war, da hat man angelernte Worthülsen abgesetzt. Die Fahrer wurden in Lehrgängen geschult das zu sagen, was man im Interesse des Teams, der Werke, der Sponsoren, des Formel 1-Sports insgesamt sagen sollte. Nur Positives absondern. Bitte! - Schließlich geht es irgendwann um den neuen Vertrag. - Hamilton hat mal gegen ungeschriebene Gesetze der Marketing-Neuzeit verstoßen. - Wurden darum Vertragsverhandlungen (für eine Verlängerung) mit ihm verschoben?

Niki Laude ist mal vor langer Zeit in Suzuka (Entschuldigung! Es war Fuji! - Danke, Fred!) – auch bei Regen – an die Boxen gefahren und hat das Rennen aufgegeben. Er hatte für sich eine Entscheidung getroffen, nachdem er festgestellt hatte: Das ist mir zu gefährlich. Und was lese ich heute dazu: „Das war auch eine andere Zeit.“ - Nein, der Unterschied liegt nicht in einer Differenz von Jahren, sondern in der Veränderung unserer Gesellschaft, die sich in „angepasstem Verhalten“ gefällt und sich deshalb selber sogar für clever hält. - Ein überzogenes, falsches Selbstbewustsein und Selbstverständnis!

Wen kann man noch im heutigen Formel 1-Zirkus von den Fahrern wirklich als Persönlichkeit empfinden?

Rennfahrer der Neuzeit sind in der Mehrheit „Abhängige“ und werden vom Marketing bestimmt. Und dort von Leuten, die von dem, was sie in diesem Fall verantworten, überhaupt keine Ahnung haben. Aber sie wissen was für die Firma, das Teams, die Sponsoren gut ist. - Und die Rennfahrer handeln nach dem Motto: Dess' Brot ich esse, dess' Lied ich singe. - Und stecken sich nicht unerhebliche Gagen ein. - Unsere Zeit wird vom Geld bestimmt. Da lassen sich dann auch Menschen davon bestimmen.

Nicht nur solche der Gattung Rennfahrer, sondern auch ganz normale Menschen. Die wollen nur ihre Ruhe haben und tun deshalb alles, was von ihnen verlangt wird. Und sprechen deshalb auch gegenüber anderen die wohlgemeinte Empfehlung aus: „Aber gib doch mal endlich Ruhe. - Was bringt es denn? - Die machen ja doch was sie wollen!“

Die gleiche Situation im Straßenverkehr. Da fährt man nachts in der Großstadt bei „ROT“ über die Ampel. - Zur Rede gestellt: Aber es kam doch niemand! - Da sehe ich Motorradfahrer im Überholverbot – bei zusätzlich aufgebrachtem „durchgezogenen weißen Streifen“ - überholen. Zufällig treffe ich die danach an einer Tankstelle und frage freundlich, was sie sich dabei gedacht haben: „Gilt für uns nicht. Wir sind schmal und schnell.“

Was die Menschen, Motorrad- wie Auto- und Rennfahrer unserer Zeit von denen der Gruppe „derer von Gestern“  unterscheidet: Die „von Gestern“ kannten nicht nur den Begriff EIGENVERANTWORTUNG, sie haben diese Eigenverantwortung auch genutzt. Und sie hatten ein anderes – sozusagen ein gesundes – Selbstbewustsein und Selbstverständnis!

Ein Jules Bianchi „damals“ hätte die Geschwindigkeit seines Formel 1-Boliden bei – vor der Unfallstelle (!) - deutlich geschwenktem „Doppel-Gelb“ auch deutlich vermindert. Bei „Grün“ - und das wurde schon wenige Meter nach der Unfallstelle gezeigt – hätte er wieder Gas geben können. Da braucht es keine Anweisung über Funk und kein Safety-Car: Eigenverantwortung ist gefragt. Aber man ist der Meinung, dass man sich die heute – bei der immer deutlich spürbaren Macht des Geldes – nicht mehr leisten kann. - Man hat schon ein anderes Selbstbewustsein und Selbstverständnis. - Leider ein wenig „krank“.

Auch der amerikanische „Weltstar“ (mit Alkohol am Steuer!) ist niemals im Hinblick auf „Eigenverantwortung“ erzogen worden. Er kann nur feststellen: „Ich verstehe, dass ich irgendwo noch ein Kind im Körper eines Erwachsenen bin.“

Leider hat man in der heutigen Zeit sehr oft mit sehr vielen Kindern dieser Art zu tun. Gut ausgebildeten, studierten Kindern. Auch sympathisch. Aber ohne jedes Gefühl für Eigenverantwortung. Aber sie halten sich – wegen dieser fehlenden Eigenverantwortung – gegenüber anderen, gerade gegenüber Konkurrenten, für überlegen. Sie haben ein geradezu krankhaftes Selbstbewustsein und Selbstverständnis. Sie setzen sich durch. Rücksichtslos. - Und wenn sie scheitern?

Dann schreien sie nach Sicherheitssystemen oder Gesetzen oder einem Reglement, dass sie vor Fehlern hätte bewahren müssen. Schließlich gibt es heute für alles Sicherheitssysteme. Man schaue doch nur in Automobile. - Warum sollten denn moderne junge Leute heute noch Autofahren lernen? - Es gibt doch genug Systeme, die sie vor Fehlern bewahren. - Und demnächst fahren doch die Automobile doch schon ohne Fahrer. - Warum sollte man das Autofahren denn heute noch so wichtig nehmen wie „Gestern“?

Bei der Entwicklung dahin, zu all' jenen Sicherheitssystemen, die dazu noch mit jener Übertreibung vermarktet werden, als würden sie in jedem Fall Sicherheit vermitteln, die hat in unseren jungen Leuten das Gefühl für Eigenverantwortung absterben lassen. Und zu einem überzogenem Selbstbewustsein und Selbstverständnis geführt.

Aber man wird sicherlich – im Falle eines Falles – dann schon einen Verantwortlichen finden. Und schließlich ist man auch – gerade in Deutschland - gegen jeden „Un-Fall“, der durch die fehlende „Bremse“ Eigenverantwortung und ein überzogenes Selbstbewustsein entsteht, dann irgendwie, irgendwo versichert. - Und wenn nicht: Einen Schuldigen findet man immer.

Aber vielleicht sollte man mal beginnen, die Schuld bei sich selber zu suchen.

Was aber nicht dazu führen darf, dass man in bestimmten Fällen die eindeutige Schuld bestimmter Menschen an bestimmten Negativ-Ereignissen minimiert bzw. zu übersehen sucht, weil es sich dabei vielleicht um einen (oder einen Zusammenschluss von) Mächtigen handelt, von dem (denen) man sich abhängig fühlt.

Man sollte auch in einem solchen Fall Eigenverantwortung und einem gesunden Selbstbewustsein Raum geben und entsprechend handeln. Wer eine eigene Meinung hat, sollte die nicht für sich behalten, sondern eigenverantwortlich handelnd, deutlich aussprechen.

Übrigens auch im Fall Nürburgring, Landesregierung, Einfluss der Politik, unverständliche Entscheidung der EU, Staatsanwaltschaft.

Sozusagen eigenverantwortlich, selbstbewusst, offen, transparent und diskriminierungsfrei!

MK/Wilhelm Hahne
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