Ein Auto wie ein Motorrad: „Bravo, bravissimo!“

Zumindest bei uns in Deutschland hört man dieses Lob selten. Dagegen ist das „Ciao“ schon fast eine Unsitte geworden. Hier wird es auch nur bei der Verabschiedung verwendet, während es in Italien auch bei der Begrüßung zu hören ist. Aber immerhin zeigt es, dass wir Deutschen auch einen Hang zum Italienischen haben. Auch bei Automobilen. Besonders wenn sie teuer sind. Mir persönlich war schon „damals“ immer ein Fiat 500 lieber, als ein VW Käfer. Ein Alfa Sud wurde von mir auch fahrwerkmäßig als besser empfunden als damals ein VW Golf. Für eine Alfa Giulia Super habe ich nicht nur geschwärmt, ich habe sie auch besessen. Schon die erste Version mit Lenkradschaltung – in Weiß - wie auch später die Version mit handgeschaltetem Fünfganggetriebe, das als Besonderheit eine Porsche-Synchronisation aufwies. - Noch später habe ich als „Dienstwagen“ einen Lamborghini Espada gefahren, denn ich war – zusammen in der gemeinsamen Firma mit meinem Bruder Hubert – der erste Lamborghini-Generalimporteur für Deutschland. So hatte ich danach auch noch beste Kontakte nach Italien. Ich habe sie auch als Motor-Journalist genutzt, d.h. sie waren eigentlich selbstverständlich. - So habe ich dann auch – vor gut 40 Jahren – nach einem ersten Kennenlernen eines geplanten neuen Lamborghini-Modells nur sagen können, was heute – trotz der gerne verwendeten „ausländischen Sprachfetzen“ in Deutschland kaum als die besondere Art einer Bewertung zu hören ist.

Ein Auto wie ein Motorrad: „Bravo, bravissimo!“

Ich habe mal nach „Bravo“ gegoogelt. Da lese ich dann: „Bravo war – vor allem in den 1970er und 1980er Jahren – prägend und stilbildend für viele Jahrgänge von Jugendlichen.“ Und ich erfahre weiter: „Die Bravo gehört zu den deutschen Zeitschriften mit den größten Auflagenverlusten der vergangenen Jahre. Die verkaufte Auflage ist seit 1998 um 93,2 Prozent gesunken“.

Eigentlich hatte ich nach etwas ganz anderem gesucht. Aber ich bin dem eigentlichen Such-Objekt immer näher gekommen, wenn ich gelesen habe, dass Bravo auch ein Head von Communication sein kann. Wenn er dann noch – ganz frisch in 2021 – bei Lamborghini tätig wird (neben seiner gleichen Tätigkeit bei Bugatti), dann empfinde ich meine Suche schon als Teilerfolg.

Wenn ich dann weiter unter Lamborghini suche, dann finde ich sogar, wonach ich eigentlich gesucht habe. Allerdings finde ich es nur in Form einer kleinen Anmerkung:

„Bravo (1974, Turin Auto Show)“

Weil „Bravo“ blau markiert ist, klicke ich erwartungsvoll und es erscheint – das Foto eines Lamborghini „Urraco“. Da wird Tim Bravo, so heißt der neue Head of Communication von Lamborghini exakt mit Vor- und Nachnamen, aber noch viel Arbeit – auch mit der „Wikipedia“-Seite von Lamborghini - haben, denke ich. - Aber Tim Bravo sagt zu der „Ergänzung“ seiner schon bisherigen Spitzenposition in der „Communikation“-Sparte bei Bugatti:

„Es ist für mich eine große Ehre und eine Wertschätzung meiner bisherigen Arbeit, weiterhin eng mit dem Präsidenten von Bugatti und Lamborghini, Stephan Winkelmann, arbeiten zu dürfen. Auf die herausfordernde Arbeit mit beiden Marken freue ich mich.“

Bravo hat an der „Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn studiert. Weil er auch auf dem Foto (Copyright by Audi) noch relativ jung wirkt, kann man davon ausgehen, dass er den „Bravo“ bei Lamborghini nie live erlebt hat.

  • Aber vielleicht ist Bravo am Niedergang von Bravo mit schuld, weil er Bravo nie gekauft hat.

Der Lamborghini Bravo dagegen war als Serienprodukt nie zu kaufen. Er ist wahrscheinlich der schönste und überzeugendste Sportwagenentwurf, der niemals in Serie gehen durfte. - Man muss das um so mehr bedauern wenn man weiß, was der neue Lamborghini-Chefkonstrukteur aus ihm machen wollte.

  • Wenn der „Bravo“ in Serie gegangen wäre, dann wäre er anders motorisiert gewesen, als er es noch bei seiner ersten Präsentation auf dem Turiner Salon 1974 war.

Ein gutes Jahr später muss es gewesen sein, als ich ihn in der Umgebung von St. Agatha gefahren habe und auch mit dem Chefkonstrukteur, Giulio Alfieri (der frisch von Maserati kam) darüber sprechen konnte, wie es denn wohl mit diesem kühnen Entwurf des Marcello Gandini (Bertone) weiter gehen würde.

Dieser Designer hatte schon mit dem Lamborghini Miura vorher einen Sportwagen-Entwurf aufs Zeichenbrett gezaubert, von dem die Fans noch heute träumen. Giulio Alfieri, von de Tomaso direkt entlassen, nachdem er Maserati gekauft hatte, drängte es wahrscheinlich schon, seinem alten Arbeitgeber – nun mit neuem Besitzer – mal zu zeigen, wo „der Hammer hängt“.

Auch der „Bravo“ hätte der Traum vieler Sportwagen-Fans werden können. Während der „Miura“ von den Schwellungen seiner Karosserie lebte, überzeugte der „Bravo“ durch seine Kantigkeit. - Und seine geradezu winzigen Abmessungen. - Man begreift die erst, wenn man sie in Relation zu den entsprechenden Daten eines 2021er „Kleinwagen“ stellt. In diesem Segment ist z.B. der Mitsubishi „Space Star“ mit seinem 1200er-Dreizylindermotor vom Kraftfahrtbundesamt in Flensburg eingeordnet:

Daten Lamborghini "Bravo" Mitsubishi "Space Star"
Länge 3775 mm 3845 mm
Breite 1900 mm 1665 mm
Höhe 1050 mm 1505 mm
Gewicht 1085 kg 995 kg

 

Ich bin damals den Lamborghini „Bravo“ gefahren und habe schon beim Ein- und Ausstieg seine Winzigkeit schmerzhaft zu spüren gekommen. Ich hätte schon die Beweglichkeit eines Kunstturners haben müssen, um nicht bei diesen Gelegenheiten mit dem Kopf anzustoßen. Auch als Fahrer wäre hier die Idealgröße eines Formel 1-Fahrers optimal gewesen. Ich war nun mal ein paar Zentimeter größer. Da gab es auch nur wenig Luft zwischen Kopf und Dach.

Der „Bravo“ war eigentlich in der damals präsentierten Form eine „Minimierung“ des Lamborghini „Urraco“. Man überstellte von St. Agatha ein „Urraco“ Fahrgestell mit dem 300 PS starken Dreiliter-V8-Motor nach Turin zur „Carrozzeria Bertone“, wie die Firma ursprünglich hieß, bevor sie zur „Bertone S.p.A., einer AG wurde, die dann – um das bei dieser Gelegenheit auch zu erwähnen - 2014 mit einer Insolvenz aufgelöst wurde.

In Turin entfernte Marcello Gandini mit seinem Team die Rücksitze und verkürzte das Fahrwerk um 200 Millimeter. Weil auch ein neuer – breiterer – Pirelli-Reifen Verwendung finden sollte, musste die Spur verbreitert werden. So wirkte der „Bravo“ noch flacher als er eigentlich schon war.

Ich habe „damals“ Aufnahmen gemacht, die durch einen Vergleich die Möglichkeit bieten zu verstehen, wie winzig dieser Sportwagen war. Zum Zeitpunkt meiner ersten Kontaktnahme mit dem Fahrzeug war man bei Lamborghini fest davon überzeugt, diesen Sportwagen in Serie bauen zu können, obwohl die finanziellen Aussichten damals trüb waren.

Nach meiner Rückkehr in St. Agatha wurde ich von Chefkonstrukteur Alfieri nach meinen ersten Eindrücken gefragt. Ich weiß noch genau, dass ich – wirklich beeindruckt – mir nur ein „Phantastisch!“ und „Bravo, bravissimo!“ abgerungen habe. - Ich spreche kein Italienisch! - Mit Hilfe eines Dolmetschers haben wir uns dann aber austauschen können. So waren die beim „Bravo“ verbauten Girling-Bremsen in ihrer Wirkung z.B. besser, als bei anderen Lamborghini-Modellen.

Was mir aber Giulio Alfieri, der Lamborghini-Chefredakteur dann offenbarte, hat in der Folge dann zu weiteren interessanten Informationen geführt. Alfieri sagte:

„Wir werden diesen Wagen in Serie gehen lassen!“ - Um nach einer kleinen Pause zu ergänzen: „Allerdings mit dem Zwölfzylindermotor!“

Hier sieht man den damals im Prototyp verbauten Achtzylinder-Motor in zwei Ansichten und daneben dann ein Foto des wunderschönen Zwölfzylindermotors, den ich – wegen der optisch so schön verlegten Zündkabel – so „schmal“ fotografiert habe. Ich hatte diesen Motor vorher nicht nur schon in den unterschiedlichsten Lamborghini-Modellen gefahren, sondern auch schon mal – ab und an - die Montage dieses Motors mitbekommen und war in der Folge dann mit Kunden nach St. Agatha geflogen, die keine Vorstellung von diesem italienischen Sportwagenhersteller hatten.

Wenn wir zurück waren, hat noch jeder ohne zu zögern einen zu ihm passenden Zwölfzylinder-Lamborghini bestellt! - Wenn diese Kunden erlebt haben, wie vor der Montage jedes Pleuel mit Kolben exakt ausgewogen und bearbeitet wurde, damit sie exakt das gleiche Gewicht hatten, wenn sie erlebt hatten, wie dann ein solcher Motor zunächst auf einem Prüfstand, von einem E-Motor fremdangetrieben von Öl durchspült wurde, damit auch die letzten feinen Späne entfernt waren, bevor der Motor erstmals zündete, dann konnten sie einfach gar nichts anderes, als einen Lamborghini kaufen.

Ferruccio Lamborghini legte größten Wert auf Präzision und Sauberkeit! - Wenn ein fertig montiertes Fahrzeug, vom Chefeinfahrer erstmals auf der Straße bewegt, zurück in die Werkshallen kam, war z.B. ein Mitarbeiter sofort damit beschäftigt, die Reifenspuren, die das Fahrzeug bei der Rückkehr auf dem sauberen, plattierten Boden hinterlassen hatte, sofort mit den entsprechenden Mitteln zu entfernen.

Wenn ich schon mal – beim Abholen von verkauften Fahrzeugen – z.B. zur Mittagszeit in St. Agatha ankam, dann konnte ich den Firmenchef, Ferruccio Lamborghini, in der Kantine finden, wo er zusammen mit seinen Werks-Mitarbeitern vielleicht gerade eine „Spagetti Bolognese“ verzehrte.

  • Ferruccio Lamborghini war immer mitten drin, nicht nur dabei!

Ursprünglich hatte er mal Traktoren gefertigt, die, wenn ich mit dem Auto in Italien unterwegs war, mir immer dadurch auffielen, dass sie schneeweiß lackiert waren. - Alle Lamborghini-Traktoren gab es nur in Weiß! - Als Besonderheit war deren Motor luftgekühlt und verfügte über eine Direkteinspritzung. Damit hatten Lamborghini-Traktoren ein Alleinstellungsmerkmal und waren die meist verkauften Traktoren ihrer Zeit in Italien.

Weil es so viele unterschiedliche Geschichten gibt, wie Ferruccio Lamborghini zu einem Sportwagen-Bauer wurde, möchte ich die hier hinzufügen, die Ferruccio persönlich meinem Bruder Hubert erzählt hat:

Als erfolgreicher Geschäftsmann und Freund schneller Automobile, wollte sich Ferruccio einen Ferrari zulegen. Da er nicht weit von Modena entfernt wohnte, hat er sich bei Enzo Ferrari anmelden lassen, einen Termin bekommen, den er nutzen wollte – neben anderen Dingen - auch „seinen“ Ferrari beim Firmenchef persönlich zu bestellen. - Ferruccio war pünktlich in Maranello. Aber Enzo hat ihn warten lassen. Über Gebühr warten lassen. - Zu lange warten lassen.

Da ist Ferruccio Lamborghini verärgert aufgestanden, nach Hause gefahren und hat sich vorgenommen: „Dann baue ich mir eben meinen Sportwagen selbst!“ - Darum ist es auch ein Zwölfzylinder geworden.

Das sind noch ein paar Fotos, die ich damals auch bei meinem kleinen Ausflug mit dem „Bravo“ im Beisein des Chef-Testfahrers von Lamborghini gemacht habe. Es war nicht das schönste Wetter, aber die Dias, die ich damals gemacht habe, sind durch die Lagerung über die Jahrzehnte auch nicht besser geworden. - Was aber noch „scharf“ in meinem Gedächtnis ist, ist das Gespräch, das ich dann über die Unterschiede zwischen 4- und 6-Zylinder- und 8- und 12-Zylinder-Motore führen konnte:

Alfieri hatte mir erklärt, dass er den „Bravo“ mit Zwölfzylinder-Motor in Serie gehen lassen würde. Was bei mir die Frage nach dem Preisunterschied zwischen Acht- und Zwölfzylinder-Motor entstehen ließ. Alfieri zu dem Motoren-Thema allgemein:

„Der Lamborghini-Achtzylinder-Motor ist in der Fertigung nicht wesentlich billiger als der Zwölfzylinder-Motor. Darum nehmen wir für die Serie gleich den Zwölfzylindermotor! Denn bei der Kaufentscheidung eines Kunden für einen Wagen der Luxusklasse sind die Gründe nicht so sehr rationale, als vielmehr die emotionalen entscheidend. - Und so spricht alles für die Verwendung des Lamborghini Zwölfzylindermotors im ‚Bravo‘!“

Eine Argumentation, die mir deutlich machte, dass Giulio Alfieri nicht nur etwas von Automobilen, Motoren, sondern auch etwas von Menschen verstand. Er strebte auch hier eine Lösung an, die sich an den möglichen Käufern orientierte.

Leider ist aus all’ den guten Absichten nichts geworden! - Einer der schönsten Lamborghini ist niemals in Serie gegangen. Ich weiß, da ich den „Bravo“ selber gefahren und erlebt habe, was vielen Käufern entgangen ist. - Ich hatte mir damals notiert:

„So ein Automobil ist von einem normalen Mittelklasse-Automobil, einem „vernünftigen“ Transportmittel so weit entfernt, wie ein gutes italienische Mehrgang-Menue von einem deutschen Eintopf! - Man wird zwar von beiden satt, aber...“

Vielleicht hätten sich aber tatsächlich nur wenige Fahrer – weil wegen der notwendigen Kaufkraft sicherlich keine jungen Leute – in einen solchen Sportwagen hineinlegen (!) wollen. Denn tatsächlich war die Sitzposition fast liegend, in „Liegen“, die mit Alcantara überzogen waren. Die Instrumente waren auf gebürstetem Aluminium angebracht, die Frontscheibe war dreigeteilt. - Es gab sogar einen kleinen Kofferraum hinter dem Motor!

Ich war damals jung – und sehr begeistert! - Mal nicht ein Automobil für eine sinnvolle Fortbewegung von A nach B, sondern einfach eins, das ein echtes Fahrerlebnis vermittelte, auch das Autofahren zu einem sinnfreien Tun werden ließ.

Da hätte ich dann sogar auf’s Motorradfahren verzichten können!

MK/Wilhelm Hahne
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