Über strukturpolitische Visionen und Illusionen

Der Bau des Nürburgrings wurde 1925 auf politischer Ebene angeregt, um für die damals sehr arme Region Hocheifel ein touristisches Standbein zu schaffen. Das hat schon von 1927 bis hin zum Jahr 2000 nicht befriedigend funktioniert. Dann hatte die SPD-Landesregierung mit ihrem Ministerpräsidenten Kurt Beck die Idee, den Nürburgring zu einem touristischen „Leuchtturm“ für die gesamte Hocheifelregion auszubauen („Nürburgring 2009“). Dieses Projekt kann als völlig gescheitert betrachtet werden. Dazu gehört nur ein Blick in die Touristikzahlen des Statistischen Landesamtes von Rheinland Pfalz oder aber ein Blick in die Internet-Verkaufsangebote für Hotels im nahen Nürburgring-Umfeld. Noch im April 2016 verkündete die capricorn NÜRBURGRING GmbH (CNG) in einer Pressemitteilung: „So lockt der weltberühmte Nürburgring auch heute Jahr für Jahr Hunderttausende in die Eifel, ein Umstand, von dem Adenau und die Region unverändert profitieren.“ Und man zitiert den Stadtbürgermeister von Adenau mit den Worten: „Der Nürburgring hat Adenau weit über die Grenzen hinaus bekannt gemacht. Viele Gäste kommen nur wegen der Faszination Nürburgring nach Adenau.“ Und man unterstreicht das mit dem Satz: „Nicht umsonst heißt ein Werbeslogan ‚Adenau – ein Stück Nürburgring‘. - Motor-KRITIK hat einmal genauer hingeschaut, dabei auch Fachkompetenz in Anspruch genommen und schreibt:

Über strukturpolitische Visionen und Illusionen

Es ist gerade ein VLN-Wochenende und heute, nach einem Freitag mit Test- und Einstellfahrten, stellt ein Bewohner aus dem Umfeld des Rings vor dem Rennen fest:

„Da waren aber früher Freitags auch schon deutlich mehr Automobile auf der B 258 unterwegs.“

Die Starterzahlen sind zurück gegangen, die Zuschauerzahlen waren auch immer schon sehr optimistisch geschätzt und das Interesse der Fans hat sich inzwischen auf die wenigen „Super-Schnellen“ verlagert. Aber es reicht, wenn man die während des Rennens sieht. So reisen VLN-Zuschauer überwiegend am Samstagmorgen zum Rennen an, um am Nachmittag nach dem Rennen wieder nach Hause zu fahren.

  • Überhaupt geht der Trend – bei allen Motorsportveranstaltungen – hin zu Ein-Tages-Veranstaltungen.

Übernachtungen gibt es vor allem durch die Teams, die aber auch immer weniger werden, weil die Kosten für den Motorsport insgesamt immer weiter steigen. Da machen dann zwar die Übernachtungskosten nur einen kleinen Teil des Budgets aus, aber auch die Teams, deren Fahrer mit eigenen Automobilen die ganze Serie bestreiten, werden immer weniger, während die Anzahl der Teams wächst, die ihre Einsatzfahrzeuge an Leute vermieten, die zwar nicht immer über die optimalen fahrerischen Voraussetzungen verfügen, aber über das notwendige Geld. - Der Motorsport – auch der Basis-/Amateur-Motorsport - ist zum reinen Geschäft verkommen, was die Anzahl der Teammitglieder auch ansteigen ließ.

Aber davon profitiert ganz überwiegend nur die Hotellerie in Nürburg, d.h. auch jene Hotels, die unnötiger Weise die Bettenkapazität direkt am Nürburgring erhöhten. Das war Teil der verfehlten Konzeption der SPD-Landesregierung.

Wenn man jetzt einmal überprüft, ob diese Maßnahmen, die unter dem Titel „Nürburgring 2009“ liefen, der Hocheifelregion überhaupt etwas gebracht haben, so muss man feststellen, dass der Tourismus schon im nahen Umfeld – und ich rechne Adenau dazu – rückläufig ist.

Da oftmals etwas anderes erzählt und geschrieben wird, hat Motor-KRITIK sich einmal ein paar Zahlen des Statistischen Landesamtes von Rheinland-Pfalz zusammen mit einem Touristik-Fachmann angesehen. Meine Leser finden die Statistiken im Anhang als pdf-Datei.

Die Zeitreihen des Statistischen Landesamts Rheinland-Pfalz belegen eindeutig, dass der Übernachtungstourismus sowohl in der Verbandsgemeinde Adenau insgesamt als auch in den beiden Standorten Adenau und Nürburg seit etwa fünf Jahren rückläufig ist. Der Umfang des Rückgangs wird durch die veränderte Datenerfassung, dass ab 2014 auch alle Kleinbetriebe erfasst werden, etwas kaschiert, wenn man die Anmerkung unter den Tabellen übersieht. Der Rückgang ist also überall stärker, als es die puren Zahlen widerspiegeln. (Berücksichtigen Sie also bitte beim Lesen und Werten die jeweils unter den Tabellen stehenden Anmerkungen.)

Der Rückgang gilt vor allem für Adenau. Obwohl sich durch die Aufnahme der Kleinbetriebe in die Statistik die Zahl der Betriebe von 2013 auf 2014 von 7 auf 19 erhöht hat, ist die Zahl der angebotenen Betten sogar noch um 4 gesunken. Wenn 2013 in den 7 Betrieben noch 16.195 Gäste aufgenommen worden sind, hat sich 2015 die Gästezahl mit 15.162 in den jetzt 20 Betrieben sogar deutlich verringert

Das hat wohl auch einen schwedischen Hotelbesitzer nachdenklich werden lassen, der, nach langen Versuchen in der Region Fuß zu fassen, jetzt das Handtuch wirft. Im Internet ist eine Verkaufsanzeige zu finden, mit der die eigentlich bedeutendsten Hotels in Adenau, die „Blaue Ecke“ und das „Wilde Schwein“ zu einem Preis von insgesamt 3,5 Millionen Euro (Verhandlungsbasis!) angeboten werden.

Angesichts der Entwicklung der Gästeübernachtungen in dieser Stadt, die sich – wie man oben lesen kann – als „ein Stück Nürburgring“ empfindet, kann man den Verkaufswunsch für die zwei Hotels in Adenau rational nachvollziehen.

Selbst Nürburg hat – wie man der Tabelle entnehmen kann - einen Rückgang zu verzeichnen, der nur durch die Gästezahl dokumentiert wird. Kann man nämlich aus den Daten auf die wirtschaftliche Situation eines oder weniger Betriebe direkt zurückschließen, verschweigt das Statistische Landesamt diskret die Angaben zu den Übernachtungen. Dennoch ist es ein leichtes, die fehlenden Übernachtungszahlen 2015 in etwa zu rekonstruieren. Aus den Verweildauern der Gäste in den Vorjahren, die sich nicht wesentlich verändert haben dürften, ergibt sich dann eine Anzahl von etwa 113.000 Übernachtungen für das Jahr 2015. Bedenkt man zusätzlich, dass sich auch hier durch die Aufnahme der Kleinbetriebe in die Statistik die Zahl der Betriebe mehr als verdoppelt, die Zahl der angebotenen Betten sich gegenüber 2013 aber fast nicht verändert hat, kann man daraus nur auf einen Verdrängungswettbewerb im Ort schließen.

Der Tourismus in Nürburg steht für einen doppelten Konzentrationsprozess:

  • Der Anteil Nürburgs am gesamten Tourismus in der VG-Adenau und den benachbarten Verbandsgemeinden ist in den vergangenen Jahren zu Lasten der anderen Gemeinden deutlich gestiegen.
  • Innerhalb Nürburgs fressen ganz wenige Großbetriebe die etwas älteren und vielen kleinen Betriebe.

Die Haupterkenntnis aus all diesen Daten ist eindeutig: Der Nürburgring ist gebaut und jahrzehntelang betrieben worden, um durch Tourismus der gesamten Region Hocheifel und ihren kleingewerblichen Strukturen ein wirtschaftliches Standbein zu verschaffen. Dieses erklärte Anliegen der Strukturpolitik wurde unverdrossen von 1925 bis 2009 gepredigt, obwohl dieses Konzept schon zwischenzeitlich sehr fragwürdig geworden war, z.B. bei der Errichtung der Grand-Prix-Kurzstrecke anfangs der 1980er Jahre (Steigenberger Gutachten).

Die jüngere Entwicklung demonstriert eindrucksvoll:

  • Trotz Einbußen profitiert lediglich der "Punkt Nürburg" und nicht die "Region Hocheifel" maßgeblich vom Rennsport-Tourismus.

Viele Kleinbetriebe, deren Anzahl in der Region Hocheifel zudem seit Jahren sinkt, obwohl man gerade sie durch den Tourismus hatte fördern wollen, dürfen sich nur über die Krümel freuen, die vom Tisch der wenigen Großen fallen.

Die Privatisierung des Nürburgrings 2014 hat den Abschied des Staates von seiner Vision, den Nürburgring zu einem strukturpolitischen Leuchtturm für die gesamte Region Hocheifel zu entwickeln, besiegelt. Diese Entwicklung zeigt, dass der Nürburgring seit langem und erst recht das Projekt „Nürburgring 2009“ einer touristischen Illusion geschuldet war, die nicht dadurch besser wurde, dass sich die Politik – die Landesregierung in Mainz – nach dem durch sie inszenierten Dilemma und dubiosen Verhältnissen unter Hinnahme horrender Verluste offiziell vom Nürburgring verabschiedet hat. Dennoch bleibt Strukturpolitik für die Hocheifel weiterhin eine Aufgabe:

  • Ohne regulierende Eingriffe der Öffentlichen Hand wird sich der entstandene – und noch entstehende – Schaden für die Region nicht verringern lassen.
MK/Wilhelm Hahne/Dr. Jürgen Haffke
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