Einfach geht es einfach besser!

„Die Zukunft der Automobilhersteller liegt auch darin, dass sie sich an die Vergangenheit erinnern.“ - So habe ich eine Geschichte begonnen, die ich im März des Jahres 2000 auf diesen Seiten veröffentlicht habe. Inzwischen wuchert das Elektronik-Thema auf einer weiteren Ebene, dem des „autonomen Automobils“ weiter. Trotzdem kann meine inzwischen rd. 18 Jahre alte Geschichte zum Nachdenken anregen. Voraussetzung: Man ist bereit, noch für sich selbst Entscheidungen zu treffen und „sich nicht entscheiden zu lassen“. - Ab dem nächsten Satz beginnt meine „alte Geschichte“, die ich bis auf eine grafisch bessere Aufbereitung unverändert gelassen habe: „Alle elektronischen Helfer, die uns zu Beginn ihrer Einführung als perfekt darstellt wurden, haben sich im Laufe der Jahre deutlich verbessert. Sie waren also ‚damals‘ unperfekt. Das wußten die Techniker auch. Aber irgendwann einmal musste man eine Entwicklung zumindest vordergründig abschließen. Es geht schließlich darum Geld zu verdienen. Inzwischen sind die elektronischen Helfer zwar immer perfekter geworden, aber immer anfälliger. Die Abneigung beim Autofahrer gegenüber den "Helfern" wächst, wenn sie einen bestimmten Rahmen übersteigen. Motorelektronic: JA. ABS: JA. ASR: Nein. Und auf ESP muss man verzichten können. Wenn nicht, sollte man a) das Fahrzeug auf seine Fahrwerkqualitäten oder b) seine Fähigkeiten zum Führen eines Kraftfahrzeuges überprüfen lassen.

Einfach geht es einfach besser!

Es ist doch wohl mehr als nur ein Zeichen, wenn derzeit (Anmerkung: im Jahre 2000!) im amerikanischen Buchhandel um 300 Titel angeboten werden, die das Thema "Einfachheit" behandeln. Aber sich vom unerklärbaren Komplizierten zu lösen, zuzugeben, dass es einen mit Abneigung erfüllt, das ist in einer Welt schwer, in der Einfachheit mit Einfältigkeit verwechselt wird.

Wer denkt und redet denn noch einfach?  - Ross Perot, ein Amerikaner, den sogar General Motors mit Vorsicht behandelt, weil er zu gradlinig ist, sagte einmal bei einem Vortrag vor Studenten:

"Das Problem mit euch Burschen ist, dass ihr vom visuellen Abtasten der Umwelt redet, wo ich einfach sagen würde, dass ich aus dem Fenster schaue."

Keiner hat heute noch den Mut, sich zum Einfachen, dem Simplen zu bekennen, weil er dann selbst als Simpel dastehen würde. Einfachheit wird heute mit Einfältigkeit verwechselt.

Dabei wird uns gerade im Motorsport vorgemacht, dass es - bei einer vernünftigen technischen Grundlage - der ganzen Elektronik nicht bedarf. Hat ein Formel 1 ABS? - Hat ein Formel 1 ESP? - Und was ist mit der neuen DTM 2000?

Alles ist dort ohne Elektronik, soweit es den direkten Eingriff in das Fahrverhalten, in den Bereich betrifft, für den eigentlich der Fahrer zuständig ist. Wenn ein Fahrer nicht erstklassig ist, dann ist das Ergebnis seiner Fahrkünste auch zweitklassig. So ist das eben. Im Leben. Im Beruf. - Und so sollte es auch beim Fahren eines Automobils sein.

Heute glauben jedoch viele Fahrer sich aufgrund der elektronischen Hilfen wie Senna's oder Lauda's benehmen zu können. Sie gefährden damit nicht nur sich, sondern auch andere. Denn alle (!!!) elektronischen Hilfen sind unvollkommen. Sie können nur so gut sein wie die Software, die sie steuert. Und die kann einfach nicht alle Situationen berücksichtigen, in die ein Fahrzeuglenker kommen kann.

Das auch schon darum, weil sie auch nicht von allen Programmierern gekannt werden. Ein Programm ist immer nur so gut, wie sein Programmierer. Und warum sollte ein guter Programmierer ein guter Autofahrer sein? - Wie sollte er - meist noch in jugendlichem Alter - mit all den Situationen vertraut sein, aus dem ‚sein System‘ dann den Fahrer eines Automobils retten soll?

Ich habe mir in den letzten Wochen -zig Unfallwagen angesehen, um einmal zu beurteilen, wie gut die Airbags schützen. Ich weiß heute, dass ich mich darauf nicht verlassen kann. Ich habe Fahrzeuge gesehen, wo es einen richtigen Frontalcrash gab, wo aber kein Frontairbag - weder auf der Fahrer- noch auf der Beifahrer-Seite - ausgelöst hatte. Aber die Kopfairbags, die Seitenairbags hingen inzwischen luftleer herum.

Und im Fahrzeug lagen die Spritzen und die Verpackungen von Medikamenten herum, die man braucht, um das Leben Schwerverletzter zu stützen. Ich weiß, dass ich mich auf Airbags nicht verlassen kann. Sie sind eine "Krücke", die mir vielleicht helfen kann. Sie sind so wirksam - nach meinen Eindrücken - wie ein gutes Horoskop.

Wir sind umzingelt von Systemen, die uns das Leben erleichtern wollen. Mit System. Die uns aber eigentlich mehr belasten. Weil sie uns einerseits verdeutlichen, wie gefährdet wir z.B. beim Autofahren sind, auf der anderen Seite aber leichtsinnig machen, weil sie den Eindruck vermitteln, sie könnten fahrerische Schwächen ausgleichen.

Wenn es dann trotzdem knallt, dann wird man immer wieder darauf hingewiesen, dass man wohl einfach die Grenzen der Physik überschritten habe. Da könne das System auch nicht helfen. ESP schützt nicht beim Überschreiten dieser Grenzen. Und ein ABS hat unter gewissen Umständen auch Nachteile.

Wäre es nicht besser, ein Fahrer würde gleich lernen, eine Bremse richtig zu bedienen? Sollte man nicht besser ein Gefühl für die Grenzen der Physik entwickeln, als durch das Nichtfunktionieren von Systemen zu begreifen, dass man gerade die Grenzen überschritten hat?

Dass die Automobilindustrie ein sogenanntes qualitatives Wachstum anstrebt, das kann ihr nicht übelgenommen werden, weil sie damit Geld verdient. Aber es muss nicht sein, dass wir alles das akzeptieren, was uns die Industrie als sogenannten Fortschritt vorsetzt. Oft wird den Kunden nur ‚Sand in die Augen gestreut‘. - Und das ist gefährlich.

Wir sollten nicht den Versprechungen der Industrie vertrauen, sondern unserem einfachen und gesunden Menschenverstand. Jede technische Neuerung sollte zwar willkommen sein, aber nur dann, wenn sie auch wirklich unser Leben vereinfacht. Kompliziertheit kann auch zum Selbstzweck werden.

Auch die Automobilindustrie wird nicht darum herum kommen, immer mehr zu vereinfachen und nicht die Dinge zu verkomplizieren. Weil sich das auch im Preis ausdrückt. Ich sehe heute schon Automobile von morgen, die Marketingleute gerne als Standard-Automobile abkanzeln würden. Aber eigentlich sind das die Automobile für Profis. Ohne allen Schnickschnack, so, dass man wieder vom Fahrerleben sprechen kann.

Warum gab es denn in den letzten Jahrzehnten eine so stark ausgeprägte Zweiradwelle? - Weil das Automobil doch nicht mehr das Fahrerleben bietet, das früher einmal - wie selbstverständlich - vorhanden war. Der Mensch suchte nach dem Ausgleich und fand ihn im Motorradfahren.

Ich will nicht bestreiten, dass viele der neuen elektronischen Helfer für viele einen Sinn machen. Aber nicht für alle. Und so wird es in Zukunft zwei grundsätzliche Darstellungen von Automobilen geben müssen. Einmal die technisch perfekten, die so sind wie die Stereoanlagen, die einen Frequenzbereich abdecken, der vom Menschen gar nicht wahrgenommen werden kann, und die einfach, geraden Automobile, mit denen man wieder die Straße fühlen kann, wo die Bremse klar einen Druckpunkt erfühlen lässt, die Lenkung unverfälscht die Strasse.

Wir haben verlernt einfach zu denken, einfache Sätze zu schreiben, unsere Ansprüche einfach darzustellen. Wir glauben, uns den Ansprüchen unserer modernen Zeit anpassen zu müssen. Weil es der Nachbar, der Kollege der Freund, auch tut. Und der tut es, weil wir es tun.

Besinnen wir uns wieder auf die Einfachheit. Beim Denken, beim Sprechen, beim Essen, beim Autofahren. Ich habe gerade gelesen, dass die Dekadenz der großen Imperien und Kulturen immer dann eingesetzt hat, wenn die Kompliziertheit ihrer Strukturen den Höhepunkt erreicht hatte.
Einfachheit, nicht nur in der Technik, ist ein Gewinn für alle. - Leider nicht für die Industrie, die uns darum weis machen will, dass Einfachheit etwas mit Primitivität zu tun hat.

Aber glauben Sie mir: Einfach geht es einfach besser. Einfachheit kann ein Gewinn sein. Aber einfach zu sein, ist nicht einfach. Der Ausweg in die Kompliziertheit ist eben halt so bequem. Aber sie lässt uns, unsere Sensoren, unsere Sensibilität verkommen, degradiert uns zu Maschinenbedienern, nimmt uns jede Entscheidungsfreiheit.

Warum findet ein Lotus Elise solch eine begeisterte Zustimmung? - Warum empfindet man den neuen Porsche Turbo als eine (für Porschefahrer) gewöhnungsbedürftige Lösung?

Wenn der Damm bricht, wird das einfache, unkomplizierte - und damit auch das preisgünstige - Automobil gefragt sein. Und das schlagartig. - Gut, wer sich heute schon darauf einstellt. Wer das eine macht, muss darum ja das andere nicht lassen.“

MK/Wilhelm Hahne

Nachtrag 2017: Inzwischen hat auch das Motorrad in seiner Entwicklung – aus meiner Sicht – einen Irrweg eingeschlagen. Der sich natürlich auch in den Preisen auswirkt. Von dieser „modernen“ Motorrad-Gattung geht – vielleicht – dann wieder ein Reiz aus, wenn ihr ein „autonomes Automobil“ gegenüber gestellt wird. - Als Grund dafür immer das dringende Erreichen-Müssen von Null Toten im Straßenverkehr wie ein Schild vor sich her zu tragen, muss so lange lächerlich wirken, als z.B. in unserem Land in jedem Jahr (inzwischen) mehr als 60.000 Menschen an Blutvergiftung (Sepsis) sterben! - Jährlich sterben in Europa mehr als 90.000 Menschen allein an Krankenhaus-Infektionen! - Wie schon eingangs gesagt: Diese Geschichte soll nur zum Nachdenken anregen. - Sind wir auf einem richtigen Weg?

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1 Kommentar

Einfach

Konzentration auf das Wesentliche - vor allem auf den Sinn aller Handlungen. Komplexität vermeiden, dann reduzieren und schliesslich beherrschen. Zurück zu alten Tugenden: Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Erfahrung, Intuition, Verzicht, Phantasie, gesunder Menschenverstand, aber auch Disziplin und Kontrolle. Leider herrscht eher die Haltung aus der EDV: gibt´s ein Problem, dann nehmen wir mehr Speicherplatz. Oder programmieren eine App.

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