Unsinnig: E-VW ID.R in 6:05 min um die Nordschleife

Gestern, am 3. Juni 2019, hat VW den Beweis geliefert, dass man nicht nur Diesel-Abgaswerte „optimieren“, sondern auch die Fahrleistungen eines E-Rennwagens - an der Praxis der Nutzung eines E-Automobils vorbei - mit einem „Rekord“ „vergolden“ und so versuchen kann, von den (bewusst?) gemachten Fehlern der Vergangenheit abzulenken. - Dieser Sinn der Aktion ist aus der Sicht des neuen VW-Konzernlenkers, Herbert Diess, zwar verständlich, bringt aber ihn – und den gesamten Konzern – in die Situation, dass die Öffentlichkeit seine „Absichtserklärungen“ für bare Münze nimmt. - Doch die volle Hinwendung zur E-Automobilität wäre – aus meiner Sicht – ein Fehler. - Darum kann ich bei realitätsnaher Betrachtung zum gestrigen Ereignis einer Rekordfahrt hier in der Eifel nur sagen:

Unsinnig: E-VW ID.R in 6:05 min um die Nordschleife

Dieser neue „Glanzpunkt“ sollte nüchterne Betrachter nicht ablenken. Ein Automobil dient der sinnvollen Fortbewegung, ist eigentlich ein „Nutzfahrzeug“. Ein Nutzeffekt wird auch von einem E-Automobil erwartet – wenn es ein Serienfahrzeug ist. Dass ein E-Automobil – so weit es die Längsdynamik betrifft – besonders schnell sein kann, wird auch Porsche demnächst mit einem Elektro-Automobil der Premium-Klasse – auf den Preis bezogen – beweisen.

Aber ist Beschleunigung – oder ein tolles Drehmoment – alles? - Was bestimmt den Nutzwert eines Automobils – gleich mit welchem Antrieb - für seinen Käufer?

Nicht die Zeit von Null auf 100 km/h! - Es ist – auf die Fahrleistungen bezogen - eigentlich die richtige Relation von Längs- zur Querdynamik. - Und dann noch die Zeit, in der man ein solches E-Fahrzeug „vollgetankt“ bis zum Energieende nutzen kann. - Na ja, - und dann der Preis!

Was beweist also eine Rundenzeit von 6:05 min bei der Umrundung der Nürburgring-Nordschleife durch einen“E-Volks-Rennwagen"? - Nichts was den Käufer eines normalen Automobils interessiert. Der möchte nämlich Entfernungen sicher und störungsfrei zurücklegen. - Nicht nur eine Runde Nordschleife sehr schnell beenden.

Mit der gerade gefahrenen schnellsten Runde mit einem E-Fahrzeug, einem Super-Sportwagen auf der Nordschleife, beweist VW also eigentlich nichts, was den Käufer eines normalen E-Automobils interessieren müsste. Man hat für einen „unsinnigen“ Rekord sehr viel Geld ausgegeben! - Aber das ist wenig, wenn man es in Relation zu den Kosten setzt, die der „Diesel-Skandal“ (bisher!) gekostet hat. - Er lenkt auch ab, verweist auf die – nun – guten Absichten durch eine Richtungsänderung der VW-Firmenpolitik, die zufällig (!) der des „Mainstream“entspricht!

Der neue VW-Konzernlenker, Herbert Diess, ist ein Manager, der nicht nur dies und das verspricht, sondern nur das, was er glaubt – als hochbezahlter Angestellter - im Interesse von VW tun zu müssen, um die mit dem Aufsichtsrat vereinbarten Eckwerte zum Einstreichen seiner Boni zu erreichen. - Dazu gehörte eben dies!

Das bedeutet nicht, dass Diess von dem überzeugt ist, was er derzeit verkündet:

    • Das E-Automobil als allein selig machendes Mittel zur Lösung aller Klima- und Geschäftsprobleme!

So betrachtet ist der gestrige „neue Rekord“ natürlich nur ein Baustein zur Verdeutlichung von Absichten, die eigentlich auch den Wert einer Absichtserklärung („LoI“ = Letter of Intent) hat: Sie ist kein Vertrag!

Der neue Nordschleifenrekord ist bei kritischer Betrachtung nicht mehr als eine „Augenwischerei“. Versuchen wir doch einfach mal Puzzlestücke der Realität aus der filmreifen Inszenierung des Volkswagen-Konzerns heraus zu brechen:

    • Das E-Rekordfahrzeug hatte ein Eigengewicht von weniger als 1.100 Kilogramm – einschl. Fahrer!

So war das Rekordfahrzeug im Hinblick auf diesen Rekordversuch  – vor allen Dingen durch eine entsprechend kleine Batterie – auf einer Rennstrecke wie die Nürburgring-Nordschleife gewichtsoptimiert worden. Was auch im Interesse einer guten Querdynamik wichtig, aber – leider – derzeit für E-Automobile im Serieneinsatz nicht realistisch ist. Bisher liegt das Gewicht der auf diesem Gebiet angebotenen Serien-„Nutzfahrzeuge“ eher bei 2.500 Kilogramm.

Wie überlegt die VW-Ingenieure hier vorgingen, wird durch die Tatsache unterstrichen, dass man für die insgesamt an diesem Tag durchgeführten Versuche insgesamt zwei Rekord-Fahrzeuge nutzte, die nicht – wie es sonst bei Rekordfahrten bei von „fossilen Treibstoffen“ befeuerten Fahrzeugen üblich ist – eine „Anlaufrunde“ fuhren, sondern man schob das E-Rekordfahrzeug vom Standplatz vor der Tribüne 13, dem Standort des Teams, jeweils „von Hand“ gegen die Fahrtrichtung bis zur „Hohenrain“-Schikane, damit das Rekordfahrzeug zwar eine entsprechende Anlaufgeschwindigkeit beim Überfahren der Startlinie erreichen konnte, aber dabei entsprechend wenig Strom verbrauchte.

  • Eine ganze „Anlaufrunde“ hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass man die Rekordrunde - sozusagen „kraftlos“ - nicht hätte beenden können. Die Nordschleife ist immerhin 20,832 Kilometer lang!

Darum waren auch zwei Einsatz-Rekord-Fahrzeuge notwendig, weil nach einer Runde zunächst mal wieder die Batterie des genutzten E-Rekordfahrzeuges aufgeladen werden musste. - Das kostet Zeit! - Obwohl VW auch diesem Punkt die notwendige Aufmerksamkeit bei der Vorbereitung gewidmet hatte. - Dieses Mal – nachdem Motor-KRITIK beim Bericht über den ersten Trainingseinsatz auf das dafür notwendige Aggregat hingewiesen hatte – wurden die geladenen Journalisten informiert, dass es sich dabei nicht um ein mit Dieseltreibstoff betriebenes Aggregat handeln würde, sondern das auch hier selbstverständlich ein „grüner Treibstoff“, gewonnen aus Zuckerrohr, zum Einsatz käme.

Erstaunlich, was zu der gestrigen Rekordfahrt alles zu hören und zu lesen ist. So ist  die Nordschleife lt. offiziellen Angaben exakt 20.832 Meter lang und entspricht damit auch der Strecke, die 1983 von Stefan Bellof in seiner Rekordrunde durchfahren wurde. Stefan Bellof fuhr damals – vor mehr als 35 Jahren (!) - mit entsprechender Technik und Aerodynamik 6:11,13 min mit einem Porsche 956 C. Der Elektro-VW benötigte für die gleiche Strecke 6:05,336 min, was lt. VW-Pressestelle einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 204,96 km/h entspricht. Nach Motor-KRITIK-Rechnung sind es 205,277 km/h, während man auf Internetseiten von „Fachorganen“ lesen kann, es wäre eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 206,96 erreicht worden.

VW-Chef Herbert Diess interessiert sicherlich ein solcher „Kleinkram“ nicht. Er stellte zusammen fassend zum neuen Nürburgring-Rekord mit dem ID.R fest:

 „Der ID.R hat diese Herausforderung mit Bravour gemeistert und die schnellste emissionsfreie Runde aller Zeiten absolviert. Elektromobilität von Volkswagen trägt damit ab sofort das Prädikat ‚Nürburgring erprobt‘ als zusätzlichen Beweis ihrer hohen Leistungsfähigkeit.“

Beim Beobachten der Rekordfahrt wurde klar, dass man das Rekord-Fahrzeug aerodynamisch sehr auf Abtrieb getrimmt hatte. Die Bodenfreiheit war so minimiert, dass ein richtiges Durchfahren des „Karussell“ z.B. nicht mehr möglich war. Insgesamt hatte natürlich die Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden unter so einer Extremeinstellung zu leiden, die kaum höher war als die eines Serien-Renault Megane RS bei einer vor Kurzem durchgeführten Rekordfahrt. - Obwohl der Fahrer die Möglichkeit hatte, den Heckflügel flach zu stellen!

Ich verfolge seit Jahrzehnten nicht nur die Test-, sondern auch die „Rekordfahrten“ am Nürburgring. Die Aufgabenstellung bei einer „Rekordfahrt“ für ein Elektro-Automobil, das für seinen Käufer ein „Nutzfahrzeug“ darstellen sollte, würde ich mir darum so vorstellen:

  • 20 Runden Nürburgring-Nordschleife schnellmöglichst zu umrunden.

Das entspräche einer Strecke von rd. 420 Kilometer auf der Ideallinie der Rennstrecke und sollte schneller erfolgen, als das bisher mit einem als „Kleinst“- und Stadtwagen eingestuften kleinen Dreizylinder Citroen, Peugeot oder Toyota möglich ist. - Damit sollten auch nicht die Reifen überfordert sein, deren Haltbarkeit auf der Nordschleife z.B. von BMW schon vor Jahrzehnten für mindestens 20 Runden gefordert wurde.

Nach meiner Beobachtung würde derzeit keines der weltweit angebotenen Elektro-Automobile diese Anforderung erfüllen, ohne mehrfach (!) nachgeladen zu werden. - Während bei den kleinen Benzinern  (Stadtwagen?) da der serienmässig vorhandene 35 l-Tank ausreichend sein müsste.

  • Sollte nicht allein diese Tatsache nachdenklich machen?

So viel zu einer nach m.M. zukünftig hoffentlich möglichen sinnvollen Rekordfahrt eines E-Automobils, während ich die von gestern, die des E-VW ID.R., zwar als eine interessante Fingerübung für Techniker, aber im Hinblick auf einen „Serien-Nutzen“ als ziemlich sinnlos empfinde.

Es war eine gute PR-Aktion!

MK/Wilhelm Hahne
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