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Zu meiner letzten Geschichte war die aktuelle Ausgabe des Medienmagazin „journalist“ die Anregung gewesen. An diesem Pfingstwochenende habe ich nicht nur weiter darin geblättert, sondern auch gelesen. Da beklagen sich nicht nur Journalisten, dass sie wie Menschen „zweiter Klasse“ behandelt werden, sondern es werden auch Beispiele erwähnt, wie heute in den modernen Redaktionen gearbeitet wird. „Schon in den Themenkonferenzen wurde oft festgelegt, was in einem Artikel stehen sollte“, klagt da jemand. Oder freie Journalisten beschweren sich darüber, dass ihre den Redaktionen eingereichten Texte „maßgeblich verändert“ wurden. - Ich habe in der Vergangenheit erlebt, dass Interviews von Kollegen, die sie den Interviewten zum Gegenlesen einreichten, auch deutlich verändert zurück erhielten. Es wurden nicht nur gegebene Antworten korrigiert, sondern gleich ganze Fragen plus Antworten gestrichen. - Ich selbst mache seit Jahrzehnten keine Interviews mehr, weil ich durch die inzwischen wie selbstverständlich vorgenommenen „Kontrollmaßnahmen“ der Interviewten den Eindruck habe, dass die z.T. zum Zeitpunkt des Interviews nicht wussten was sie sagten. - Aber ich hatte zu diesem Thema auch ein anderes „eindrucksvolles“ Erlebnis: Ich sitze vor Jahrzehnten bei einem Chefredakteur in seinem Chef-Büro, als ein Redakteur „dringend stört“. Ein Interview sei ausgefallen, der Drucktermin fürs Heft wäre aber in zwei Tagen und man habe nun drei leere Seiten im Heft. - Der Chefredakteur überlegt kurz und fragt dann, ob es im Archiv gute Fotos von einer relativ unbekannten Schlagersängerin gibt. - Gibt es! - „Nun“, sagt er, „dann machen Sie mit der ein Interview.“ - Der Redakteur: „Aber ich weiß nicht wo die sich zur Zeit befindet und in der Kürze der Zeit...“ - Der Chefredakteur unterbricht ihn: „Sie sollen doch auch das Interview komplett schreiben. - Jetzt!“ - Der Redakteur stutzt: „Aber wenn die Dame nun...“ - Der Chefredakteur unterbricht: „Das gibt keinen Ärger. Die wird froh sein, wenn überhaupt etwas über sie geschrieben wird!“ - Da bin dann auch ich sprachlos! - Ich habe in Erinnerung an diesen Vorfall einmal 1998 ein Interview mit einem Vorstandsvorsitzenden komplett selber geschrieben, das aber dann dem zuständigen Pressechef vorgelegt und es mit dem Schriftwechsel veröffentlicht. - Heute, nach der Erinnerung im aktuellen „journalist“, dass das Durcheinander zu dem Thema immer noch sehr groß ist, möchte ich mit der nochmaligen Veröffentlichung meiner „alten Stilübung“ daran erinnern, dass heute Interviews nicht unbedingt das sind, was der Leser eigentlich erwartet: Eine Momentaufnahme des Interviewten, die seine Meinung und Persönlichkeit spiegelt! - Wobei in „meinem Fall“ noch interessant ist, dass ich „damals“ als mein Thema beim erfundenen Interview den „smart“ gewählt hatte. - Von Anfang an ein Problemfall, der sich aktuell nun zum Elektro-Wunderauto entwickeln soll. - Wie er eigentlich ursprünglich auch mal angedacht war. - Nachstehend die möglichen Fragen und Antworten zu diesem Thema im Jahre 1998. Ein fiktives Gespräch in einem virtuellen Umfeld. Niemals geführt, aber heute noch ausdrucksstark, weil es so nebenbei an die damalige Situation in einem deutschen Automobilkonzern erinnert. - Da passt selbst der alte Titel:
"Um Power zu feelen, brauche ich Trouble!"
„Frage: Mister President, you are... - oder dürfen wir - anders als in Ihrem Konzern nun üblich, unsere Fragen auch in Deutsch formulieren?
Antwort: Yes, please.
Frage: Thank you, auch for coming.
Antwort: Oh bitte, mir ist es wirklich - wie sagt man auf Deutsch? - ein Vergnügen, mit Ihnen über die Problematik des Smart-Projekts zu plaudern.
Frage: Lassen sie mich also hart einsteigen: Warum haben Sie die letzten 19 Prozent an MCC, jene 19 Prozent, die Ihnen noch an 100 Prozent fehlten, nun von Hayek, dem schnellen Brüter in Sachen Smart-Projekt, gekauft?
Antwort: Lassen Sie es mich so formulieren: Um Power zu feelen, brauche ich Trouble!
Frage: Wunderbarer Einstieg! Das wäre dann direkt der Titel zu unserem Interview. - Wie sehen Sie denn das Smart-Projekt derzeit? - Können Sie es für unsere Leser irgendwie zuordnen?
Antwort: Smart, das ist derzeit ein unvollendetes Projekt der Moderne, eigentlich also mehr ein Antikenprojekt zum Thema Dreiliter-Auto, wobei ich mich hier im Hinblick auf eine präzise Definition auf die gute alte Atridentrilogie des Aischylos beziehen möchte.
Frage: Und wie wird sich - nach Ihrer Einschätzung - das Projekt in Zukunft entwickeln?
Antwort: Smart wird sicherlich einmal als Beitrag zum Selbstverständnis einer Epoche elaboriert werden, während es jetzt für uns - auch nach der Komplett-Übernahme durch den Markenverbund DaimlerChrysler - eher als Projekt der Herausforderung empfunden wird.
Frage: Liest man aber, wie die Presse in den letzten Wochen den gegenwärtigen Smart in seinen Praxisleistungen beurteilte, dann...
Antwort: Entschuldigen sie, wenn ich Sie unterbreche. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Lassen Sie mich Ihre nicht vollkommen gestellte Frage - Wer ist schon vollkommen? (lacht: hah-haha!) - so beantworten: Ich weiß, dass dieses Projekt von einschlägigen Kreisen als nutzlos und deshalb als das ästimierteste Nullphomen der letzten Jahre empfunden wird. Wir betrachten Smart aber zunächst einmal - aber das nicht nur - als "3. Marke". Ich meine das aus der Sicht von Professor Hubbert, der das operative Tagesgeschäft auf dem Mercedes-Pkw-Sektor leitet. Er glaubt - und ich glaube es auch – dass wir als Firma Mercedes mit der A-Klasse die größtmögliche Spreizung im Modell-Mix erreicht haben. Gleichzeitig ist Smart aber unser Einstieg in die - in unsere - Qualifizierungsoffensive des 21. Jahrhunderts. Als Konzern.
Frage: Aber ist es nicht eigentlich eine zu große Belastung für den Konzern, schmälert es nicht Gewinne, beeinflusst den Shareholder Value negativ, verdirbt die von Ihnen intelligent betriebene Bilanzkosmetik?
Antwort: Das Projekt wird nicht nur den Konzern belasten, sondern ihn gleichzeitig strahlen lassen. Und wenn ich Konzern sage, dann meine ich den Gesamtkonzern in seiner multikulturellen Verbindung. Die Fundamentaldaten sind positiv, die Risiken bewegen sich auf makroökonomischer
Größenordnungsebene. Außerdem gibt es schon derzeit im Gesamtkonzern eine Querschnittszuständigkeit für dieses Top-Projekt. Und warten Sie es ab: die momentan noch vorhandenen Detail-Probleme werden in einem Quick-Trip beseitigt werden. Smart wird unseren Konzern niemals in eine ökonomische Schieflage bringen können. - Und vergessen Sie bitte nicht: Strategisch wichtige Investitionen oder Akquisitionen müssen sich nicht gleich im ersten Jahr rechnen. Smart wird den langfristigen Geschäftswertbeitrag stärker honorieren als den kurzfristigen.
Frage: Sie haben den - bisher - fehlerlosen transatlantischen Merger inszeniert. Logisch, dass Sie viele Dinge auf makroökonomischer Ebene sehen müssen. Wie sehen Sie z.B. die Probleme um die Preisgestaltung beim Smart
Antwort: Unserem Konzern wird es rasch gelingen, die Preisbruchproblematik auf europäischer Ebene im Sinne einer Preisbruchvergütung zu lösen. Die Preisgestaltungsfrage kann uns nicht in eine Systemkrise stürzen.
Frage: Bitte entschuldigen Sie, wenn wir Ihnen aufgrund fehlender schulischer Voraussetzung nicht ganz folgen können. Wir möchten darum nachfragen: Was bedeutet das für den Kunden?
Antwort: Wir werden mit dem Smart für den Kunden einen postmateriellen Wert schaffen, was seine Gesamtbefindlichkeit auf postkopernikanische Höhen heben wird, aber gleichzeitig wird das - und das ist nicht unwichtig - den uns entstandenen wirtschaftlichen Schaden in der Anlaufphase des Super-Projekts minimieren helfen.
Frage: Wenn sie von "Anlaufphase" sprechen, dann meinen Sie jenen Zeitraum, in dem eigentlich mit dem Smart - außer in der Entwicklungsabteilung - nichts lief?
Antwort: Ich finde das unkorrekt formuliert. Lassen Sie es mich korrekt so sagen: Wir hatten eine Wertsteigerungspause eingelegt, weil es uns wichtig erschien, das Projekt aufzuwerten. Wir wollen eben nicht nur gewichtige, sondern auch wichtige - und ich meine damit wichtigste - Automobile im Programm haben. So wie auf Jaguar Februar folgt, folgt auf Maybach Juni und auf die A-Klasse der Smart.
Frage: Ja - und auf Ihre Fehlentscheidungen bei der Dasa, z.B. Fokker, folgen nun die bei Smart? - Wenn wir davon ausgehen, dass Herr Hayek schließlich.…
Antwort: Genau das ist es, Herr Hahne! - Der Smart soll nicht als verwehter Reflex der Macher-Ideologie eines Uhrmachers, sondern sozusagen als schneller Sattmacher, als sahnefrische Doppelrahmstufe einer postphallischen Männlichkeit empfunden werden. Und die wird bestimmt von der Power ihrer Macher. Also von mir! - Wir müssen jetzt auch Opportunities nutzen.
Frage: Das klingt überzeugend. Und wie stellen Sie sich die Schritte dahin vor?
Antwort: Wir möchten den Smart penetrant popularisieren, um insgesamt eine professorale Schwerkategorie von Ansprüchen zu erfüllen, wie sie der derzeitigen Existenzphilosophie entsprechen.
Frage: Und wenn Sie nun am Ende unseres Gesprächs den Begriff Smart noch einmal deuten sollten, wie würden Sie das in einem Satz formulieren?
Antwort: Smart, das ist aus meiner - aus unserer - Sicht quasi ein Großraumdekorations-Element zum Erfüllen von Grunddaseinsfunktionen in dem immer enger gewordenen Freiflächenentwicklungsplan unseres Lebens. - Nicht mehr und nicht weniger!
Schlussbemerkung des Fragenden: Danke für dieses Gespräch und diese hintergründige Einsicht in Ansichten, die wir vordergründig bisher nicht wahrnehmen konnten. - Wir haben verstanden. - Danke! - Es reicht!"
Mit dem vorstehenden, heute würde man sagen, „Fake-Interview“ aus dem Jahre 1998 kann bewiesen werden, dass Inhalte solcher „wertlosen“ Stilübungen auch eine Bedeutung erlangen können. 21 Jahre später, jetzt im Jahre 2019 ist u.a auf den „Smart-Internetseiten zu lesen:
„21 Jahre smart. 21 Fahrzeuge. 21 glückliche smart Fans.“
...
„smart setzt neue Maßstäbe und stellt als erster Automobilhersteller bis 2020 das komplette Portfolio konsequent vom Verbrenner auf den Elektroantrieb um. Doch bevor smart im kommenden Jahr rein elektrisch wird, präsentiert smart eine exklusive und streng limitierte Sonderedition der letzten 21 Verbrennungsmotoren - designt von Konstantin Grcic und nur für leidenschaftliche Sammler zu haben. Ab jetzt exklusiv nur bei ausgewählten Händlern.“
Jetzt, nach 21 Jahren, stellt man eine konsequente Vermarktung der Idee von Nicolas Hayek, dem Gründern der Swatch-Gruppe in Aussicht. - Acht Jahre nach seinem Tod! - Immerhin hatte Hayek damals an ein umweltfreundliches Elektro-Automobil oder doch wenigstens mit Hybridantrieb gedacht. Sein Konzept sah allerdings auch eine auswechselbare Karosserie – wie bei Swatch-Uhren – vor. - VW war „damals“ aus dem Objekt aus-, Mercedes eingestiegen und nähert sich mit den aktuellen Verlautbarungen nun den Vorstellungen von Nicolas Hayek langsam an. - Aber bisher war der Smart kein Geschäft und wird auch in naher Zukunft keins werden!
Mein niemals gemachtes, scheinbar sinnloses „Interview“ von 1998 (frei erfunden, weil nie geführt!) erhält so wieder einen Sinn! - Smart wird aktuell „quasi ein Großraumdekorations-Element zum Erfüllen von Grunddaseinsfunktionen in dem immer enger gewordenen Freiflächenentwicklungsplan unseres Lebens.“
Ist der Problemfall „smart“ jemals schöner umschrieben worden? - „Scheinbar“ von einem Verantwortlichen, tatsächlich aber wohl von jemandem „der sich auskennt“!
Wie man nach 21 Jahren feststellen kann!
MK/Wilhelm Hahne
PS: Die Urform des oben stehenden „Interviews“ wurde am 13. November 1998 veröffentlicht und ist heute noch in „Motor-KRITIK-Classic“ (unter „Automobil-Management 1998“) zu finden und zu lesen.