F1 1969 – 2019: Fünfzig Jahre Weiterentwicklung?

Es kommt darauf an, was man als Weiterentwicklung empfindet. Geht man davon aus, dass die Formel 1 mal ein attraktiver Motorsport war, so hat er sich davon weg entwickelt. Technisch hat es zwar eine Weiterentwicklung gegeben, die aber durch negative Einflüsse zu einer Fehlentwicklung führten. - Früher war ein Grand-Prix ein Rennen. Heute ist es ein Event. Früher klopften sich Sieger und Besiegte evtl. anerkennend auf die Schulter, heute macht man sich mit angelernten „Freudensprüngen“ einen Namen, Sprüngen, die zu einem „Markenzeichen“ wurden. Und alles ordnet sich denen unter die zahlen: Den Herstellern, den Sponsoren, dem, was eine breite Öffentlichkeit – angeblich – von Fahrern und anderen Darstellern von Motorsport erwarten. - Die folgende Geschichte soll keine „Klageschrift“ sein, sondern nur – vielleicht – ein wenig zum Nachdenken anregen.

F1 1969 – 2019: Fünfzig Jahre Weiterentwicklung?

„Früher“ wurde die Weiterentwicklung in der Formel 1 von Persönlichkeiten bestimmt. Nicht nur Ecclestone wäre da ein Beispiel, weil der die Formel 1 „reifen ließ“. - Heute ist diese Rennsport-Serie durch eine Überlastung von (guten?) Marketing-Ideen „überreif“! - Aus meiner persönlichen Sicht wäre z.B. ein Ron Dennis der bessere Nachfolger eines Bernie Ecclestone gewesen, als die jetzt dargebotene „Liberty-Lösung“.

Andere Leute, Techniker, Sportler und - aus der Sicht einer „normalen“ Öffentlichkeit - „Bekloppte“ - bestimmten früher die Richtung. Ein Colin Chapman empfand so z.B. ein Rennfahrzeug als das beste, das nach erfolgreichem (!) Überqueren der Ziellinie auseinander fiel. Entsprechend „gefährlich“ waren seine Rennfahrzeuge. Da war ein Jack Brabham anders, da er seine Fahrzeuge – auch - selber fuhr.

  • Die Ground-Effekt-Entwicklung ging übrigens auch von Chapman/Lotus aus.

Es war – vor 50 Jahren – auch eine andere Art von Fahrern unterwegs. Auch hier ist die Entwicklung nicht unbedingt positiv. Man denke an einen Jackie Stewart oder Jackie Ickx „damals“. - Da wären wir dann schon 50 Jahre zurück, im Jahr 1969, als Jackie Stewart nach dem Start zum „Großen Preis von Deutschland“ sofort die Führung übernahm, während Jacky Ickx schlecht startete und mit seinem Brabham auf Platz 7 zurückfiel. - Aber nach 14 Runden als Sieger abgewunken wurde!

Stewart fuhr einen Matra, mit dem er auch 1969 Weltmeister wurde. - Wer war Matra? - Immerhin im Jahr 1969 Konstrukteurs-Weltmeister!

Matra war ein Rennwagen-Hersteller, werden sich einige Leser zu erinnern versuchen, der auch Sportwagen für die Straße baute. - So richtig das ist, so „falsch“ ist das auch. - Matra war ein Entwickler von – damals - modernen Kriegswaffen, wie Luft-Luft-Raketen. Aber die „Verkäufer“ von Matra hatten es in den Rüstungsministerien z.B.vieler südamerikanischer Länder nicht leicht. - Man kannte Matra nicht! - Also musste man den Namen auf andere Art powern, zu einer weltweit bekannten, erfolgreichen Marke machen.

Jean Luc Lagadère, der Besitzer von Matra beschloss, mit dem Bau von Rennwagen- und Automobilen seine Marke „öffentlich“ bekannt zu machen. Er kaufte Anfang der 60er den kleinen Hersteller Renè Bonnet und entwickelte und baute mit seinem Team Formel 1-Fahrzeuge die mit einem Ford-Motor ausgerüstet waren, aber auch erfolgreiche Formel 2, später dann den Matra M 530, als „Straßenfahrzeug“. - Ein Mittelmotor-2+2-Sportwagen mit 75 PS! Und Kunststoffkarosserie! - Auch eine der Matra-Raketen trug später mal die Bezeichnung "530".

Das alles hätte er niemals gemacht, hätte er zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gewusst, dass mit Matra-Raketen praktisch der Sechstagekrieg (Mitte 1967) entschieden wurde. Ab da kannte jeder "Fachmann" in den Rüstungsministerien den Namen Matra und es hätte nicht einer aufwändigen und teuren Rennwagen- und Automobil-Produktion bedurft.

„Damals“, 1969, wurde Matra im Formel 1-Sport optimal durch Jackie Stewart vertreten. Es wurden wurden in dem Jahr 11 Grand-Prix weltweit ausgetragen. Fünfzig Jahre später – 2019 - waren es 21! - 1969 ging der längste Rennen, der USA-Grand-Prix, über 390 Kilometer. Im Jahr 2019 wurde das längste Rennen in Russland ausgetragen, ging über 310 Kilometer.

  • Die Welt hat sich verändert. Es geht primär um Geld. Die Zeit in der ein Lorbeerkranz und ein Silberteller dem Sieger eines Grand-Prix reichten sind vorbei.

2019 waren Rennfahrzeuge unterwegs, deren Funktion vom modernen Marketing bestimmt war. Funkensprühend jagt man über möglichst speziell gebauten Pisten. Die Grand-Prix-Wochenenden  sind inzwischen mit einem großen Rahmenprogramm praktisch „überfüttert“. Schließlich muss man den Zuschauern ein Angebot machen. - Ein Formel 1-Rennen genügt nicht mehr. Man braucht eine Programmfolge!

1969 genügte ein Formel 1-Rennen am Nürburgring – auf der Nordschleife! - das allerdings um Formel 2-Fahrzeuge ergänzt wurde, weil der Veranstalter – der AvD – Sorge hatte, die gut 300.000 (!) Zuschauer zu enttäuschen, die z.T. mit Sonderzügen der Bundesbahn den Bahnhof Adenau erreicht hatten, um dann – sozusagen als ein „Fußgänger-Strom“ - in Richtung Rennstrecke zu fließen.

Im Training zum Rennen war Gerhard Mitter tödlich in seinem BMW F2 verunglückt. Mein Bruder, Hubert Hahne, Dieter Quester - beide BMW-Werksfahrer - und Hans Herrmann – ein guter Freund von Mitter – verzichteten auf einen Start.

Gerhard Mitter ist übrigens nicht – wie kolportiert wurde - wegen „böigem Seitenwind“, sondern wegen eines Lenkungsschadens in der Senke nach dem „Fluglatz“ tödlich verunglückt!

  • 2019 gab es keinen F1-Grand-Prix am Nürburgring. Aber – zum letzten Mal – in Hockenheim. Es wird in 2020 keinen deutschen Grand-Prix mehr geben!

Da es heute primär um Geld geht, hat man zu keiner Einigung gefunden. Und wenn es nun im Hinblick auf zusätzliche Gewinnmöglichkeiten  sinnvoll ist - weil die Holländer „ganz verrückt“ danach sind, ihr F1-Talent Max Verstappen in ihrem Land zu erleben – dann wird in Holland nicht einfach ein Grand-Prix veranstaltet, sondern dann muss zunächst die Rennstrecke Zandvoort baulich den Möglichkeiten moderner Formel 1-Renner angepasst werden: Die Eingangskurve auf die Zielgerade wird aktuell so deutlich überhöht, dass es möglich wird, mit „offenem Heckflügel“ mit Vollgas auf die Gerade zu kommen, weil die eigentlich – sonst – zu kurz wäre, um publikumswirksame Überholvorgänge zu ermöglichen!

  • Man muss den Zuschauern auf den teuren Tribünenplätzen schließlich ein Spektakel bieten!

22 F1-Rennen soll es in diesem Jahr geben. Masse statt Klasse? - Jedes Rennen ein Event! - Mit einem tollen Rahmenprogramm. Der Zuschauer muss „geködert“ werden, denn die eigentlichen Formel 1-Fans werden weniger. Wie auch die Fahrerpersönlichkeiten in der Formel 1. Die meisten sind von den Ansprüchen der (zahlenden) Sponsoren „rundgeschliffen“, vom modernen Marketing-Denken bestimmt, sondern mehrheitlich in Interviews Standardsprüche und Worthülsen ab.

Könnte es heute noch einen Mike Thackwell geben, den diese ganze Entwicklung – obwohl als Rennfahrer sehr talentiert -  schon damals „ankotzte“ und der heute in einem Wohnwagen als Außenseiter der Gesellschaft lebt?

Heute steht das Geldverdienen für alle im Mittelpunkt. Darum immer mehr Rennen. Es regiert das Gesetz der großen Zahl! Das Reglement lässt schließlich 25 Rennen im Jahr zu. Auch der FIA-Boss, Jean Todt, findet das gut und geradezu als Segen. Die, die die Arbeit leisten müssen, die Ingenieure und Mechaniker, finden das weniger, weil sie das so mehr und mehr ihren Familien entfremdet.

Auch wenn ein Jean Todt an der Spitze der Weltorganisation für den Motorsport als mächtig gilt, sollte man nicht vergessen, dass er schon zu seiner Zeit als Rallye-Beifahrer den Beinamen „die Ratte“ trug. - Aber wir leben in diesem Jahr auch im chinesischen Metall-Ratten-Jahr!

Jean Todt hat sich kaum verändert. Die Formel 1 schon. Und die technische Entwicklung trägt dazu bei, dass man sich bei den großen Automobilherstellern Gedanken macht, ob es –mit Blick auf die Öffentlichkeit – in Zukunft richtig sein wird, sich noch an dieser „Sportart“ zu beteiligen.

Auch bei Mercedes wird – nicht nur – darüber nachgedacht, sondern es werden inzwischen auch „die Weichen gestellt“. Ich persönlich sehe die Zeit kommen, in der Mercedes nur noch als Motoren-Lieferant für die Formel 1 eine Funktion haben wird. Mercedes hat sich immer angepasst, eigentlich nie „ein wirkliches Profil“ gehabt. Man ist immer im jeweiligen Mainstream mitgeschwommen!

Meine Sicht der Dinge, mein Denken mag als „altmodisch“ empfunden werden, aber es ist zumindest ehrlich.

Wenn Motor-KRITIK-Leser noch mal einen Blick zurück werfen wollen, weil sie – jung – vielleicht bisher die Meinung eines alten Mannes nicht teilen, dann sollten sie doch einfach mal einen Blick auf die 1969er F1-Veranstaltung am Nürburgring – Nordschleife! - werfen, wo bei den F1-Fahrzeugen dieser Zeit die Räder noch über ausreichende Ein- und Ausfederwege verfügten, Rennreifen noch Profil hatten.

Ich habe mal auf „YouTube“ zwei Videos ausgewählt, einmal über eine Stunde lang, einmal nur eine Viertelstunde kurz, die einen Einblick vermitteln können:

  • HIER geht’s mit einem kurzen Klick zur LANG-Version.  
  • Mit einem Klick geht‘s HIER zur KURZ-Version.

Beim kurzen Video-Beitrag erhält man einen ersten Eindruck, den man durch Genießen des langen Beitrags noch vertiefen sollte. Es gibt da keinen Kommentar, nur Einblendungen der Platzierungen. Es ist schon sehenswert, wie ein Jacky Ickx einen Jackie Stewart „nieder macht“. -

Heute werden F1-Fahrzeuge von Rädern über den Boden gezogen, weil der Abstand zur Fahrbahn möglichst gering sein muss und sich während des Renneinsatzes auch kaum verändern sollte. Der Zuschauer registriert dann dramatisch funkensprühende PS-Ungeheuer, die von geübten „Bedienern“ unter Anleitung von „F1-Einflüsterern“ über den Kurs geführt werden. - Die „Familie Feuerstein“ ist unterwegs!

Schauen Sie bei den 1969er Videos –  in leider nicht guter Qualität - einfach mal genau hin. Achten Sie auch mal auf die montierten Rückblick-Spiegel in der Startaufstellung, auf das Ein- und Ausfedern der Räder, wenn es über Hügel und Wellen geht. - Das alles ohne Leitplanken und FIA-Zaun.

  • Mit modernen F1-Boliden unserer Zeit ist die Nordschleife als Rennstrecke nicht mehr für Rennen geeignet. - Trotz Leitplanken und FIA-Zaun!

Achten Sie auch – bitte – auf das Gedränge der Zuschauer, die – z.T. per Bundesbahn – zu einem Formel 1-Grand-Prix gekommen waren. - Seit 1984, seit Eröffnung der neuen Grand-Prix-Strecke am Nürburgring gibt es übrigens keinen Zugverkehr mehr nach Adenau. Die Schienen wurden heraus gerissen. Dafür rollt aber der Lkw-Verkehr immer noch durch das Nadelöhr der Adenauer Innenstadt.

Ja, es hat – zumindest in Adenau - eine Weiterentwicklung gegeben! - Auch bei der Formel 1! - Von mir persönlich wird beides nicht als positiv empfunden.

Aber wenn „unsere“ Lokal-Politiker zusammen mit den Sportbehörden – FIA und DMSB - „Hallelujah“ schreien… - Alles wird gut?

Aber auch mit dem Ausscheiden eines Jean Todt bei der FIA wird sich in nächster Zukunft wenig ändern. - Ich glaube seinen Nachfolger schon zu kennen.

MK/Wilhelm Hahne

PS: Die vorstehende Kritik ist nur ein Beispiel. Der Motorsport ist insgesamt „krank“! Auch der Breitensport leidet. - Aktuelles Beispiel: Die „Nürburgring Langstrecken Serie“ (Ex-VLN) möchte es – zeitgemäß – allen recht machen und hat für 2020 nun 38 Klassen (in Worten: Achtunddreißig Klassen) ausgeschrieben – Wer da keinen Pokal mit nach Hause nimmt, ist es selber schuld! - Breitensport muss wahrscheinlich im Jahre 2020 so sein! - Oder? - Der DMSB muss es noch genehmigen!

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