1958: Ich durfte zum ersten Rennen nicht starten!

Am Nürburgring habe ich in diesen Tagen einen meiner Leser getroffen. Er sprach mich an, wir haben geplaudert. - Und er hat dann gefragt: „Wann sind Sie eigentlich Ihr erstes Rennen gefahren?“ - Da habe ich ihm nach kurzem Überlegen sagen müssen: „Das weiß ich wirklich nicht mehr so genau. Aber ich weiß genau, wann ich mein erstes Rennen nicht gefahren bin. Ich werde das auch deshalb nicht vergessen, weil ich dann, nachdem das Rennen ohne mich und meinen Bruder Hubert gestartet war, wütend und traurig nach Hause gefahren bin. Unterwegs habe ich noch mal in Schwetzingen angehalten, mich in den Schlosspark gesetzt und – geweint! - Ich werde das niemals vergessen! - Weil dieses Ereignis dann auch meine Aufmerksamkeit für unsportliches Verhalten von Organisationen und Funktionären auf ewig geprägt hat.“ - Nein, ich bin nicht nachtragend, aber ich kann – leider? - nicht vergessen! - So ist auch heute meine Erinnerung an dieses Rennen – das ich dann nicht fahren durfte – noch so klar, als wäre es gestern gewesen. Viele meiner Konkurrenten von damals sind lange tot und ich denke heute schon mal daran, dass ich diese „alten Leute“ damals genau so wenig ernst genommen habe, wie mich aktuell junge Leute nicht ernst nehmen. - Damals war das ein Fehler von mir! - Heute ist es der Fehler von anderen! - Aber zurück zur eigentlichen Geschichte:

1958: Ich durfte zum ersten Rennen nicht starten!

Anfang 1958 wurde in Deutschland die Verkehrssünderkartei eingerichtet. Ich war in diesem Jahr nicht nur schon 9 Jahre mit dem Führerschein Klasse 3 als Autofahrer unterwegs, sondern war auch leidenschaftlicher Motorradfahrer.

Ich hatte meine Führerscheine nach einer „Reifeprüfung“ schon mit 16 Jahren machen dürfen und ich hatte einfach Spaß am schnellen, kontrollierten Fahren. Ich war – und bin – davon überzeugt, dass jeder Fahrer „seine Reizgeschwindigkeit“ hat, die er braucht, um wirklich aufmerksam im Verkehr unterwegs zu sein, aber ich habe im Verlauf meines langen Autofahrerlebens auch erfahren müssen, dass es Verkehrsteilnehmer gibt, die offensichtlich zum „Unfaller“ geboren sind. - Der Beweis ist in jeder Versicherungs-Unfallstatistik nachzulesen.

Mein Bruder Hubert und ich wären schon gerne mal ein Rennen gefahren, aber trotz des Wirtschaftsbooms in Deutschland haben wir uns „nach der Decke strecken“ müssen. Natürlich waren wir Motorsport-Fans, haben viele Rundstreckenrennen in Deutschland an Strecken gesehen, die es heute gar nicht mehr gibt. - Oft noch nicht einmal mehr die Erinnerung daran!

Wer erinnert sich wohl noch, dass der Hockenheimring mal keine permanente Rennstrecke war. Der wurde damals – 1958 – gegen den Uhrzeigersinn umfahren und hatte eigentlich nur zwei Kurven. Das war die „Ostkurve“ und die so genannte „Stadtkurve“. Die wurde immer zu den Rennen eingerichtet und war mit Strohballen begrenzt.

Mein Bruder Hubert und ich habe sie im Jahre 1958 näher kennenlernen dürfen, als wir beschlossen hatten, unser weniges Erspartes zusammen zu werfen, um an den „12 Stunden von Hockenheim“, einer „Dauer- und Verbrauchsprüfung für Kleinwagen“ teilzunehmen. Sie war von den Ortsklubs Mainz und Wiesbaden des AvD geplant und eigentlich – dank einer „Caltex“-Wertung – mehr als eine Verbrauchsprüfung gedacht.

Ich war im Besitz eines passenden Wettbewerbsfahrzeugs, einem Fiat 500, den ich damals für 2.990 Mark beim Autohaus Müller in Düsseldorf gekauft hatte. Mein Bruder Hubert war dort Verkäufer. - Aber uns Beiden war klar: Mit einem „normalen“ 500er Fiat würden wir in Hockenheim keinen Blumentopf gewinnen können.

Mein Bruder Hubert hatte aber beim Autohaus Müller einen Kollegen, der einen Fiat 500 Abarth fuhr. Der hatte – immerhin – schon mehr als 20 PS! - Der hat uns dann schließlich zwar nicht sein Fahrzeug, aber den Motor für das Rennen in Hockenheim geliehen! - Danke!

Der musste dann in meinen Fiat 500 umgebaut werden. Weil aber so lange unklar war, ob das alles klappen würde, haben wir erst kurz vor Nennungsschluss nennen können. - Natürlich hatte mein Fiat 500 keinen „Käfig“, keinen Schalensitz, keine Trinkeinrichtung, keine Klimaanlage, kein ABS, kein ESP und wir sind auch nicht mit Slicks angereist.

Wir hatte auch keine zusätzlichen Räder und Reifen mit, keinen Monteur, keine Helfer. Wenn Hubert fuhr, würde ich den Helfer spielen, wenn ich dann unterwegs war, würde das Hubert machen. - Und eigentlich ging es uns auch nicht um die „Caltex“-Wertung, sondern ums Rennen fahren. - Es waren ja auch nur 12 Stunden!

Vor Ort sind wir dann schon nachdenklich geworden. Nein, es war nicht der Zündapp Janus, der uns mit seinen 248 ccm beeindruckte, es war auch nicht die „große Klasse“, wo BMW mit seinem „600er“ und NSU mit ihrem „Prinz“ auftrumpften. Wir waren beeindruckt vom Aufmarsch der Italiener, die mit der „Scuderia Ambrosiana“ nicht nur Werks-Fiat Abarth an den Start brachten, sondern diese Fahrzeuge auch mit – damals – so bekannten Fahren, wie dem Ex-Ferrari F1-Fahrer, Luigi Villoresi und dem Abarth-Werksfahrer Ovidio Capelli besetzt hatten.

Hubert und ich hatten nicht vor, in deren Schatten zu stehen und so haben wir es im Training „richtig brennen lassen“. Am Ende des Trainings waren wir dann auch Trainingsschnellste in der Klasse bis 500 ccm! - Hubert behauptete, er sei die schnellste Runde gefahren. Ich wusste: Die schnellste Rundenzeit kam von mir!

Ich erinnere mich noch gut, dass ich eine Runde hinter Villoresi her gefahren bin: Kein Problem ihm zu folgen. Leicht zu folgen! Und ich habe registriert, welche Fehler er machte. - Na ja, der Mann war auch schon 47, ich erst 25! - Als er dann zur Box fuhr, bin ich dann eine Runde voll konzentriert gefahren und habe z.B. den Fehler von Villoresi vermieden, in der „Ostkurve“ die Ideallinie zu fahren!

Natürlich war in so einer schnellen Kurve die „Ideallinie“ mit so einem mit gut 20 PS „befeuerten“ Automobil – das aber unter 500 Kilogramm wog! - der „kürzeste Weg“. Ich bin also immer am Innenrand der Rennstrecke vorbei gefahren, habe wahnsinnig spät gebremst (Trommelbremsen!), habe in der „Stadtkurve“ die Strohballen leicht touchiert und – war Schnellster in der Klasse.

Aufgrund der Trainingszeiten sah der Veranstalter seine als „Verbrauchs- und Dauerprüfung“ gedachte Veranstaltung den „Bach herunter gehen“. Das würde ein reines Rennen werden! Es waren zu viele „echte Rennfahrer“ dabei. Da fuhr Hans Stuck, der Vater vom „Striezel“, einen BMW 600 zusammen mit Max Klankermeier. Bis Ende 1950 war Max Klankermeier Seitenwagen-Rennen gefahren. Sehr erfolgreich. Er war es auch, der die erste BMW-Sportabteilung aufgebaut hat, war insgesamt „ein richtig schneller Ingenieur“.

Da fuhr Wilhelm Herz, der NSU-Werksfahrer zusammen mit Rainer Günzler (ZDF) einen NSU Prinz. Bekannte Rennfahrer der damaligen Zeit wie Helmut Glöckner oder Wolfgang Seidel waren mit einem 600er BMW unterwegs.

Am Ende des Trainings versuchten die Veranstalter deshalb die „Caltex-Wertung“ zu ändern, weil sie ein „richtiges Rennen“ verhindern wollten. Schließlich war das nicht im Sinne der Ausschreibung. Aber die „Scuderia Ambrosinius“ hat das erfolgreich verhindert. - Eigentlich war das auch relativ einfach: Weil nach dem Sportgesetz eine Ausschreibung nach dem Training nicht mehr geändert werden darf!

In Fall der unbekannten Hubert und Wilhelm Hahne war das aber anders. In der Ausschreibung stand zwar, dass, wenn mehr Fahrzeuge als im Streckenprotokoll zulässig das Training beenden, die jeweils langsamsten in den einzelnen Klassen herausgestrichen wurden. - Sie durften nicht starten!

Da haben am Ende des Trainings Hubert und ich gelacht. Wir hatten, da in unserer Klasse das langsamste Fahrzeug „gestrichen“ wurde (lt. Ausschreibung), einen der italienischen „Werkswagen“ von der Teilnahme „heraus gekegelt“!

Das Lachen ist dann zumindest mir ein wenig eingefroren, als ich zur Rennleitung – Entschuldigung! - damals nannte sich das „Fahrtleiter“ - gebeten wurde. Es wurde mir eröffnet, dass ich am Sonntag zusammen mit meinem Bruder nicht starten dürfe! - ??? -

Warum? - Wir sind die Schnellsten in der Klasse! - Und nur „den Letzten beißen die Hunde“!

Erläuterung des „Fahrtleiters“: „Wir haben das geändert! Der zuletzt seine Nennung abgegeben hat, darf nicht starten. Weil lt. Streckenprotokoll die Starterzahl in diesem Fall um ein Fahrzeug überschritten wird, Sie als Letzter genannt haben, dürfen Sie morgen nicht starten!“

Natürlich habe ich versucht sachlich zu argumentieren. Man ist hart geblieben, um mir dann zuzugestehen, dass ich dann nachstarten dürfe, wenn ein Fahrzeug nach dem Rennstart die erste Runde nicht beendet. - Ich habe – zähneknirschend – zugestimmt!

Da ich den Start fahren sollte, habe ich dann am Ende der ersten Rennrunde zusammen mit einem Sportkommissar die Fahrzeuge gezählt die vorbei kamen. Ich habe ein Fahrzeug weniger gezählt als der Sportkommissar. - Ich wollte starten, aber der hat mich gehindert!

Und während wir noch wegen der Differenz heftig diskutierten, kam Hans Stuck mit seinem 600er BMW langsam, mit stotterndem Motor in die Boxen gerollt. - Damit war klar, wer richtig gezählt hatte! - Und der Sportkommissar hat mir zugestanden, dass ich dann nachstarten dürfe, wenn Stuck nicht mehr von der Boxe weg käme.

Dort hat man die Zündkerzen gewechselt und Stuck ging wieder ins Rennen. Er hat dann am Ende das Rennen auf Platz 8 beendet.

Da war ich längst wieder zu Hause, hatte mir inzwischen auch ein neues, reines Taschentuch eingesteckt, das feuchte, kam in die Wäsche.

Und die Firmen BMW und Lloyd haben sich dann noch einige Zeit gestritten, wer denn nun in Hockenheim wirklich erfolgreich war. - Die Lloyd Motoren Werke hatten mit ihrem „Alexander“ (599 ccm, 19 PS) zwar das „Rennen“ mit einem Durchschnitt von 110,7 km/h gewonnen, aber die BMW 600 die „Caltex“-Verbrauchswertung der „Dauer- und Verbrauchsprüfung“-

Ich weiß wirklich nicht, wie der Streit ausgegangen ist. - Aber ich habe damals schon begriffen, dass es im Motorsport nicht darauf ankommt, dass man der Beste ist, sondern dass man den „besten Einfluss“, die besten Verbindungen hat.

Und glauben Sie mir: Die Tränen im Schwetzinger Schlosspark kamen nicht von ungefähr! - Ein Eichhörnchen, das mir beim Weinen teilnahmsvoll zugeschaut hat, ist mein Zeuge!

So war das im Jahre 1958, als ich bei meinem ersten Rennen nicht starten durfte!

Und der Motorsport ist heute noch verlogener! - Über aktuelle Beispiele wird noch zu sprechen sein!

MK/Wilhelm Hahne
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