Jochen Mass wurde 75: Hat er alles richtig gemacht?

Wer auf mehr als 28.000 Tage seines Lebens zurück blicken kann, hat in seinem Leben offensichtlich kaum etwas falsch gemacht. Diese „Bewertung“ kann vor allen Dingen dann getroffen werden, wenn das Geburtstagskind den wichtigen „mittleren Teil“ seine Lebens als Rennfahrer verbracht hat und heute in einer schönen Gegend Frankreichs wohnt. Das war in jener Zeit, als er beruflich diesen Sport ausübte – wie man so schön sagt – „saugefährlich“. Jochen Mass hat in der damaligen Zeit einige seiner Freunde mit zu Grabe tragen müssen!

  • Es war eine andere Zeit im Motorsport, in der sich auch Menschen zu einer anderen Art Persönlichkeit entwickeln konnten, als das heute der Fall ist.    

Jochen war einer jener Fahrer, der um seine Grenzen wusste, aber auch die der Physik respektierte, deren Grenzen sich nun mal nicht verschieben lassen. Ich kannte ihn aus der Anfangszeit im Motorsport, als er noch mit einem Alfa Romeo bei Berg- und Flugplatzrennen unterwegs war. Ab und an sind wir die gleichen Rennen gefahren. Jochen war eigentlich – aus meiner Sicht – ein ganz normaler Motorsport-Fan, der Spaß daran hatte, die Grenzen dieses Sports abzutasten und zu erfahren. - Ein sehr talentierter Fan!

Jochen ist dann mit Glück – und den richtigen Sponsoren – in der Formel 1 gelandet, hat aber auch da niemals „F1-Allüren“ an den Tag gelegt. - Jochen ist immer Jochen geblieben! - Ein Mensch, der nicht nur Spaß am Motorsport hatte, sondern dann auch – fast zufällig – sein Geld damit verdiente.

Eigentlich hatte er mal Seemann – und da natürlich Kapitän – werden wollen. So war es sicherlich „normal“, dass er – als es ihm wirtschaftlich gut ging – auch eine eigene Segel-Yacht hatte. Er hat den Motorsport immer als „die schönste Nebensache der Welt“ empfunden und ihr den Anteil in seinem Leben zugestanden, der ihr auch zu kam.

Ich bin später als Journalist mit ihm zusammen getroffen. Wir haben uns offen ausgetauscht. Ich habe meine Meinung zu Fahrern und Funktionären – oder Automobilen und Menschen – die wir beide kannten, überprüfen können. Wir haben unsere Meinungen geäußert, argumentiert und abgeglichen. Das wäre heute mit „modernen Rennfahrern“ nicht mehr möglich!

Die sind – überwiegend – vom Marketing bestimmt, haben eigentlich keine eigene Meinung - bzw. äußern sie nicht öffentlich – sind „Aushängeschilder“ von Teams, Firmen und Sponsoren.

Natürlich hat auch Jochen Mass schon mal Kompromisse machen müssen, aber im direkten Kontakt – so von Mensch zu Mensch – ist er immer der Jochen geblieben, wie ich ihn mal kennen gelernt hatte. Und wenn ein Journalist – den er gut kannte (!) - eine gute Idee hatte, dann hat er die mit umgesetzt. - So ist das Foto, stehend auf der Sitzbank seiner Kawasaki entstanden. Oder die Foto-Sequenz, bei der er sich in eine Deutschland-Fahne wickelt. - Eine Idee – wie das Kawa-Foto – des Fotografen Wolfgang Drehsen!

Als ich für ein Motor-Magazin gedanklich auf der Suche nach einer etwas ausgefallenen Geschichte war, habe ich ihn gefragt, ob er mir seine AC Cobra mal leihen könne, damit ich den Lesern dieses Magazins mal davon ein paar Eindrücke vermitteln könne, weil man die sonst nur mit dem Kauf eines solchen Ausnahme-Automobils gewinnen kann. - Er hat mir dann „seine Cobra“ mal für eine Woche überlassen.

Ich erinnere mich auch , dass er mal morgens zu Testfahrten mit Porsche am Nürburgring zu spät erschien. Jacky Ickx und er waren die Fahrer. Im Plan stand, dass er in der ersten Phase zum Einsatz kam. Aber er war an diesem Morgen spät dran, kam im letzten Moment mit seiner Kawasaki vom Hotel angebraust. Ickx hatte schon im Porsche Platz genommen. Jochen wollte aber seinen Teil der Arbeit – wie vorgesehen – erfüllen. Da ist Jacky wieder ausgesteigen, Jochen hat mir den Zündschlüssel seiner Kawa mit den Worten in die Hand gedrückt, „...wenn mal was ist“ und ist in seine erste Nordschleifenrunde gestartet.

Wir hatten uns Wochen zuvor mal darüber unterhalten, dass man am Nürburgring niemals die erste Runde schnell fahren sollte. Jochen war meiner Meinung, dass man – wenn man sicher und schnell die Nordschleife umrunden möchte - das erst in der dritten Runde tun solle.

In diesem Fall – das Porsche-Team baute noch den Funkmast auf – kam Jochen aus seiner ersten Runde nicht „pünktlich“ zurück. - Ich hatte meine Stoppuhr mitlaufen lassen. Da habe ich das Porsche-Team kurz informiert, mich auf Jochens Kawa geschwungen und habe ihn dann in der „Bergwerk-Kurve“ gefunden.

Er stand – unverletzt - inmitten der „Schrottteile“ seines Porsche-Sportwagens, den er hier in der „Bergwerk“-Kurve zerlegt hatte. In seiner ersten Runde! - Wir haben dann auf das Porsche-Team gewartet, dass einige Minuten nach mir am Unfallort eintraf. Jochen hat dann gesagt:

„Aber ich fahre die Kawa zurück! - Du kannst hinten drauf Platz nehmen!“

Ich kann nicht sagen, dass ich mich wohl gefühlt habe, obwohl ich Jochen kannte. Schließlich hatte er gerade vorher auch vergessen, worüber wir Wochen vorher noch gesprochen hatten.

Aber wenn ich nun heute – einen Tag nach seinem 75. Geburtstag – das Leben von Jochen Mass noch mal so Revue passieren lasse, dann sind mir primär nicht seine vielen Erfolge präsent, sondern mehr jene Momente, an denen es „noch mal gut gegangen ist“. Das waren schon einige.

Aber Jochen hat wohl in seinem Leben – so weit das möglich war – alles richtig gemacht!

Lieber Jochen! - Nachträglich herzlichen Glückwunsch zu deinem 75. Geburtstag!

Wilhelm Hahne

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